Borderline. Frank Habbe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Habbe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847699668
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zu stürzen. Bis auf die Möglichkeiten, die ihm Ken hinsichtlich Transport und Unterkunft bot, schien er kein weiteres Interesse an der Clique zu haben. Manchmal war Claire allerdings, als ob zwischen Marten und Ken eine ganz eigene Verbindung bestand. Sie sollte bald sehen, wie richtig sie mit ihrer Vermutung lag.

      Sie waren gemeinsam für ein Wochenende nach Elands Bay gefahren. Die Bedingungen am Samstag waren nicht berauschend gewesen, und so hatten sie beschlossen, den Tag grillend auf ihrer Terrasse ausklingen zulassen. Vielleicht lag es daran, dass Claire den ersten und einzigen Joint ihres Lebens rauchte, vielleicht auch an der einen Rum-Cola zu viel. Jedenfalls lief sie später in der Nacht giggelnd über den Flur zu Kens Zimmer - das keiner von ihnen ohne direkte Einladung des Gastgebers jemals betrat. Berauscht setzte sie sich über das unausgesprochene Gesetz hinweg und schlich sich leise in den spärlich beleuchteten Raum. Der Anblick Martens, der mit gespreizten Beinen nackt vor dem ebenso unbekleideten Ken lag und sich mit geschlossenen Augen von ihm einen blasen ließ, ernüchterte Claire auf der Stelle. Eine lahme Entschuldigung stotternd, trat sie augenblicklich den Rückzug an, rannte in ihr Zimmer und raffte ihre Sachen zusammen. Dann verließ sie das Haus, bevor Ken sich etwas anziehen und ihr folgen konnte. Den Rest der Nacht verbrachte sie am kalten Strand, ehe sie am nächsten Tag einen Surfer fand, der sie mit zurück nach Kapstadt nahm. Ken sah sie nie wieder.

      Die folgenden Tage heuchelte Claire ihrer Mutter eine Grippe vor, ließ sich krankschreiben und schloss sich in ihrem Zimmer ein. Sie war nicht wütend auf Ken, auch nicht moralisch entsetzt oder angeekelt. Vielleicht war sie sogar erleichtert zu wissen, dass Kens Ablehnung nicht mit ihr persönlich zusammenhing, sondern einzig mit der Tatsache, dass sie eine Frau war.

      Dennoch fühlte sie sich traurig und leer. Ihr war bewusst, dass es für sie keinen Weg zurück in die Gang gab. Auch die Schule, insgesamt alles, was mit Ken zu tun hatte, war tabu. Da passte es gut, dass Cynthias Rückwanderungspläne in der Zwischenzeit weit gediehen waren. Für Claire stand fest: Sie würde mit ihrer Mutter fahren. Es kostete sie nicht viel Überredungskunst, und neun Wochen später reisten sie nach San Diego, zurück in Cynthias Heimat.

      San Diego klang gut für Claire. Trotz der Wellen.

      * * *

      Bei dem Gedanken an die Wellen sinkt Claire versonnen zurück in ihren Flugzeugsitz. Sie kann es kaum erwarten, dem brausenden Schlag der Wogen am Mission Beach von morgen an wieder zuhören können.

      Als die Räder auf der Rollbahn aufsetzen, reibt sich müde die juckenden Augen und ist froh, die beengte Kabine endlich verlassen zu können. Während sie über das riesige Flughafengelände zum Gate rollen, schaltet Claire ihr Mobiltelefon ein. Um sie herum ertönt ein eifriges Gepiepe und Gebrumme, mit dem all die Nachrichten auf den Telefonen ihrer Mitreisenden angekündigt werden. Auch ihr Gerät signalisiert mit einem leisen Klingeln, dass jemand eine Nachricht für sie hinterlassen hat. Eine SMS von Dave, der ihr für Montag geplantes Dinner auf morgen vorverlegen möchte.

      Umso besser. Morgen ist ihr letzter Urlaubstag.

      Mit einem Ruck stoppt die Maschine an ihrem Gate. In dem sofort entstehenden Gewusel und den sich klappernd öffnenden Gepäckfächern lehnt Claire den Kopf an die Lehne und gönnt sich einen letzten Moment der Ruhe.

      Schon kurios, dass Dave sich ausgerechnet gemeldet hat, als sie in Kapstadt war. Da, wo es vor Jahren zwischen ihnen zu knistern begonnen hat. Sie betrachtet für eine Weile das Display ihres Mobiltelefons, dann bestätigt sie Dave den Termin per SMS, ohne jedoch etwas von ihrem Aufenthalt am Kap zu verraten. Dafür wird beim Essen noch genug Zeit bleiben.

      Claires Gedanken schweifen ab in die Vergangenheit. Es war Ende 2005, als sie für zwei Monate in Simons Town bei einem Schulungsprojekt für die südafrikanische Küstenwache eingesetzt wurde, das ihr Arbeitgeber, die US Coast Guard, unterstützte. Natürlich bewarb sich Claire. Schließlich hatte sie in der Region die ersten fünfzehn Jahre ihres Lebens verbracht. Nach einigem Genörgel stellte sie Doug, ihr Boss, für das Projekt frei.

      Beruflich wurde es eine entspannte Zeit. Es ging um die Einweisung in neue Sonar- und Radaranlagen, die die südafrikanische Küstenwache zur Aufrüstung ihrer Flotte von den Amerikanern gekauft hatte. Eine Technik, die auf den Booten der Coast Guard seit Jahren problemlos lief. Sie installierten das neue Equipment auf einem Marineschnellboot. Mit diesem fuhr Claire mehrmals die Woche in die False Bay, wo sie die Crews in der Handhabung des Geräts unterwies. Die Teams bestanden zum Großteil aus Marineoffizieren und Ausbildern, die im Anschluss die Schiffsbesatzungen der Küstenwache einarbeiten sollten. Alles Männer und Frauen also, die etwas von der Materie verstanden und Claire nicht durch pausenlose Fragerei nervten. Ein definitiver Pluspunkt. Ein weiterer war, dass sie ihr Programm meist bereits am frühen Nachmittag beenden konnten. Oft machte der Kapitän auf der Rückfahrt noch einen kleinen Abstecher in Richtung Gordons Bay. Claire stand dann meist an der Reling, ließ sich das Haar vom frischen Wind zerzausen und schaute auf die so vertraute Küstenlandschaft. Manchmal gesellten sich einige der Ausbilder auf eine Zigarette dazu und fragten sie über ihr zweites Leben in den Staaten aus. Es fiel ihnen schwer zu verstehen, warum sie ihr naturgewaltiges Heimatland verlassen hatte. Wobei sie zugeben mussten, dass Südkalifornien eine akzeptable zweite Wahl darstellte.

      Anders als in der konzentrierten Arbeitsatmosphäre während der Schulungen war die Stimmung während dieses Teils der Tour stets gelöst. Es hätte nur gefehlt, dass sie Boote zum Wasserskifahren ausgesetzt hätten. So weit ging die Freizügigkeit allerdings nicht. Außerdem lag Claire nicht unbedingt daran, in Gewässern mit hungrigen Weißen Haien baden zu gehen.

      Nach ihrer Rückkehr in den Hafen trank Claire meist noch einen Kaffee am Pier. Danach ging sie in ihr auf dem Stützpunkt gelegenes Appartement, wusch sich das Salz aus den Haaren und machte sich fertig zum Abendessen. Obwohl sie Zugang zu dem Offizierskasino hatte, ging sie immer in eine der an der Hauptstraße am Hafen gelegenen Pizzerien oder Fisch-Buden. Nach dem täglichen Überfluss an beruflichen Kontakten und Kommunikation sehnte sie sich abends vor allem nach einem: Ruhe. Noch mehr Gespräche über Funknetze und Schiffskennungen waren das Letzte, was sie beim Essen brauchen konnte. Wenn ihr danach war, fuhr sie auf ein abschließendes Bier nach Fish Hoek. Und dort, in Papa Jo’s Pub, traf sie eines Abends Dave.

      Es war Mitte Dezember und Claire seit vier Wochen am Kap. Überall herrschte eine vorweihnachtliche Stimmung, und selbst Piet, der wortkarge Barmann bei Papa Jo, trug seine Weihnachtsmannmütze mit einem leicht verschmitzten Gesichtsausdruck.

      Das ganze Gewese um Weihnachten war Claire reichlich egal. Es brachte ihr nichts, störte aber auch nicht. Vielmehr missfiel ihr, dass sie seit über vier Monaten solo war, und seit mindestens vier Wochen keinen Sex mehr gehabt hatte.

      Etwas, dass sie ändern wollte. Die Kollegen waren für sie tabu. Unter keinen Umständen wollte sie sich dem Gerede aussetzen, wenn sie sich mit einem der Offiziere oder Ausbilder einließ. Und wie sie die in der Einheit gepflegte Kameradschaft einschätzte, würde genau dies sofort geschehen.

      Also strich Claire an jenem Freitagabend ihren nachmittäglichen Kaffee und ging direkt in ihr Appartement. Dort nahm sie ein ausgiebiges Bad, rasierte sich einen Landing Strip in die Bikinizone, wo inzwischen ein ansehnlicher Busch gewachsen war, und machte sich dann auf die Suche nach halbwegs ansehnlicher Unterwäsche. Nicht, dass sie Rasur und Dessous übermäßige Bedeutung beimaß, aber Männer machte es an und verleitete sie so zu mehr als prüdem Blümchensex, selbst bei einem One-Night-Stand. Und das war ein Detail, dem Claire dann doch Beachtung schenkte.

      Als Claire beim Pub eintraf, sah sie diesen umlagert von einer Horde Männer um die zwanzig - Studenten und die Besatzung einer am Nachmittag eingelaufenen Fregatte. Beide Gruppen, die leicht durch die stark divergierenden Haarschnitte zu unterscheiden waren, einte offensichtlich die Absicht, den Beginn des Wochenendes mit einem Höchstmaß an Alkohol zu feiern. Viel zu junges Publikum für Claires Geschmack. In jederlei Hinsicht. Immerhin schien der Betreiber des Pubs den Ansturm geahnt zu haben, denn neben der Tür war ein provisorischer Tresen errichtet worden, hinter dem zwei Angestellte kaum mit den Bierbestellungen nachkamen. Aus den über ihren Köpfen angebrachten Boxen schepperte eine Mischung aus Rock und Rap.

      Vorsichtig schlängelte sich Claire durch die Menge und warf einen Blick