Borderline. Frank Habbe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Habbe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847699668
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      Was Claire nicht ahnt ist, dass es sich bei ihm um Diego, den Anführer eines aggressiv expandierenden Drogenkartells aus Mexiko handelt, der ebenfalls auf der Suche nach Dave ist. Aus gutem Grund, hat dieser seiner familia doch Diamanten im Wert von 15 Millionen Dollar gestohlen. Diamanten, die Diego dringend zum Aufbau eines großangelegten Kokainschmuggels in die USA benötigt.

      Vordergründig als Freund auftretend, gewinnt der attraktive Diego Claires Vertrauen und Zuneigung, woraus sich rasch eine stürmische Affäre entwickelt. Gemeinsam, aber mit unterschiedlichen Motiven machen sie sich auf die Suche nach Dave, was Claire in den folgenden Tagen tiefer und tiefer in einen Strudel aus Lügen, Gewalt und Verrat hinabzieht.

      Prolog - oder: Und all das für ein paar Dosen

      „Ab damit!“

      „Bitte?“ Irritiert blickte Carlos zu Antonio, dem Kolumbianer. Die Füße lässig auf die gegenüberliegende Bank gestützt saß der ihm gegenüber im Heck der Yacht, spielte grinsend am Lauf seines Schnellfeuergewehrs.

      Die Motoryacht pflügte mit zwanzig Knoten durch die Nacht. Der Fahrtwind und das Donnern der schweren Dieselmaschine lärmten betäubend. Carlos fragte sich, ob er Antonio richtig verstanden hatte. Anscheinend, denn wie zur Bestätigung fuhr sich sein Gegenüber mit dem Daumen über die Kehle.

      „Na, Kopf ab! Allein die Vorstellung daran bringt die zum Reden. Wenn sie gefesselt vor dir knien, zeigst du ihnen die Kettensäge und das alte Messer. Glaub mir, sie werden dir alles erzählen, um die Sache schnell hinter sich zu bringen.“

      War er jetzt verrückt geworden? Carlos schob sich eine Haarsträhne aus der Stirn und kommentierte Antonios Vorschlag mit einem Kopfschütteln. Wie zur Bestätigung legte der Kolumbianer nach. „Doch, ich war selbst dabei! Erst bringen sie kein Wort raus. Sie wissen, dass es nicht gut für sie ausgehen wird, und das verklebt ihnen irgendwie die Zunge. Wenn sie aber sehen, dass sie am Ende eine Wahl haben, sind sie nicht mehr zu bremsen. Sie werden dir alles verraten. Ihre Verstecke, ihre Bosse, ihre Routen, was weiß ich – nur, damit sie nicht das Messer bekommen. Wenn sie fertig sind, gehst du zu dem, der dir am meisten erzählt hat, und wirfst die Säge an. Bei dem geht’s schnell, das kannst du mir glauben. Bei dem zweiten, dem mit dem Messer, da dauert’s etwas länger.“

      Carlos bedachte sein Gegenüber mit einem prüfenden Blick, dann leerte er seine Dr.-Pepper-Dose mit zwei Zügen. Warum erzählte ihm Antonio das? Um ihm Angst zu machen? Um ihn davon abzuhalten, sich an den im Unterdeck deponierten Diamanten zu vergreifen?

      Dazu braucht es etwas mehr als eine Gruselgeschichte, dachte Carlos stumm. Trotzdem, sie versetzte seinem Magen einen Stich. Er musste schlucken, was allerdings nicht allein an Antonios Erzählung lag. Der kühle Westwind hatte aufgefrischt und Carlos schloss die Windjacke. Er fröstelte, doch das lag nicht an der Kälte allein.

      Tastend fuhr er sich mit der Zunge über den trockenen Gaumen. Er brauchte noch etwas zu trinken. Gegen den ausgedörrten Mund, vor allem aber zur Beruhigung der Nerven. Er erhob sich schwerfällig und wackelte auf unsicheren Beinen aus der offenen Lounge im Heck in die windgeschützte Kabine. Er war kein Mann der See. Das war er noch nie gewesen. Und heute, da hatte auch noch das Adrenalin seinen Anteil.

      Vorsichtig schloss er die Glastür hinter sich, durchquerte den Salon und nickte im Vorübergehen Manuel zu, der die Sunseeker vom erhöhten Steuerstand aus routiniert in Richtung Norden lenkte.

      „Wie weit sind wir?“

      Der Skipper schaute nur kurz herüber, bevor er sich wieder dem Radarschirm widmete. „Höhe Point Loma, San Diego. Noch etwa drei Stunden bis Newport.“

      „Klingt gut.“ Carlos verzog zufrieden den Mund. Das klang sogar sehr gut. Die Grenze lag also bereits hinter ihnen. „Fahr bloß nicht zu schnell!“

      „Klar.“

      Obwohl ihnen die amerikanische Küstenwache bereits südlich von Ensenada einen Besuch abgestattet hatte, wollte Carlos kein Risiko eingehen. Angestrengt spähte er durch die Panoramascheibe in die Dunkelheit. Wolken hatten sich vor Mond und Sterne geschoben. Alles verlief genau nach Plan.

      Leise summte Carlos eine mexikanische Ballade vor sich hin und stieg die schmale Treppe zum Unterdeck hinab. Dort beugte er sich in der kleinen Pantry zum Kühlschrank hinunter und zog die Whiskeyflasche hervor. Dann, seine Finger waren schon um den Verschluss gelegt, zögerte er. Eigentlich keine gute Idee, schoss es ihm durch den Kopf. So sehr ihm nach einem Drink war, intakte Reflexe waren jetzt einfach wichtiger. Schon gleich würde er sie brauchen, da war Carlos sich sicher.

      Seufzend stellte er die Flasche zurück und zog stattdessen ein Tütchen Koks aus der Jackentasche, legte sich auf der Arbeitsplatte eine doppelte Linie und zog sie hastig mit einem gerollten Fünfziger. Als das Boot bei der zweiten Nase eine größere Welle schnitt, ließ die Erschütterung seinen Kopf unsanft gegen die Tischplatte knallen und das restliche Kokain großflächig über den Tisch stauben. Fluchend rieb sich Carlos das schmerzende Gesicht und wischte die Krümel mit dem Handrücken auf den Boden. Dann ging er mit immer noch wackligen Knien in seine Kabine und zog die Tür sorgsam hinter sich ins Schloss.

      Der Raum war winzig und beherbergte nicht mehr als eine schmale Koje und einen Einbauschrank mit wenigen Fächern. Carlos bückte sich über das Bett, hob die Matratze an und tastete nach den drei dort verborgenen Sprengladungen. Sonderanfertigungen, via Handy auslösbar. Vorsichtig hob er sie aus ihrem Versteck und steckte sie in die Jackentaschen, danach zog er seine Remington aus dem Holster und schraubte einen Schalldämpfer auf. Für einen Moment schloss er die Augen. Er genoss die pulsierende Wirkung des Kokains, die seine Seekrankheit wohltuend überspielte. Er atmete zweimal tief durch, straffte sich und öffnete die Tür. Carlos war bereit.

      Leise schlich er nach vorne und klopfte an die Tür der im Bug liegenden Kabine. Niemand reagierte. Er klopfte noch mal, und nach einer kurzen Pause öffnete er sie einen Spaltbreit. Drinnen lagen Alfons und Irene regungslos nebeneinander ausgestreckt auf dem breiten Doppelbett. Vorsichtig näherte sich Carlos den beiden und tippte dem jungen Mann mit dem Lauf der entsicherten Pistole gegen das rechte Bein. Alfons rührte sich nicht. Er war bewusstlos. Die Remington auf den Kopf des Schlafenden gerichtet, prüfte Carlos mit der freien Hand seinen Puls. Sehr schwach, kaum fühlbar. Beruhigt ging Carlos um das Bett herum und blickte auf die leblose Frauengestalt, die in ein schwarzes Kleid gehüllt auf dem Laken lag. Wie einladend, überlegte er. Er schob Irenes Rock nach oben. Seine Finger wanderten an der Innenseite ihres Oberschenkels entlang, bis er den schwarzen String ertastete. Kleine Schlampe, dachte er, und zog den Slip beiseite. Für einen Moment betrachtete er ihren rasierten Schritt, schob einen Finger in die Spalte. Dann sah er in ihr Gesicht. Immer noch keine Regung. Carlos’ Blick wanderte weiter, hin zu den beiden halbleeren Cocktailgläsern, die auf einem Sideboard neben dem Bett standen. Gut so. Bei der Menge an Rohypnol, die er in ihre Drinks gemischt hatte, wäre es ein Wunder, wenn sie überhaupt wieder aufwachten. Trotzdem: Er würde heute kein Risiko eingehen.

      Für einen Moment hielt Carlos lauschend inne, aber außer dem leisen Stampfen der Maschine war es still. Er ging am Fußende des Bettes in die Hocke, zog den Teppich beiseite. Die darunter liegende Luke ließ sich problemlos öffnen. Carlos nahm eine der Sprengladungen und aktivierte den Zünder. Danach verschloss er die Luke, schob den Teppich zurück und ging zur Tür. Mit einem kurzen Blick versicherte er sich, dass er noch immer allein war, zog die Waffe und gab jeweils zwei Schüsse in die Köpfe der beiden regungslosen Körper ab.

      Plopp-plopp. Plopp-plopp. Sicher ist sicher.

      Zufrieden schloss Carlos die Tür und schlich sich zu seiner Kabine zurück. Dort installierte er nahe der Außenwand eine zweite Ladung. Blieb noch eine, die er an der Bar im untersten Fach des Küchenschranks hinter zwei Milchtüten versteckte. Wieder sah er die Whiskeyflasche – und wieder blieb er hart.

       Ruhe. Immer mit der Ruhe.

      Immerhin hatte er bereits Teil zwei seiner Aufgabe erfüllt. Alle Bomben waren scharf und lagen unterhalb der Wasserlinie, weit genug von den