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war zwar noch für mehrere Tage ausreichend, aber gegen frische Beeren oder auch einen Vogel oder Hasen zum Nachtmahl hätte er nichts einzuwenden gehabt.

      Er blieb stehen und sah sich seit Stunden zum ersten Mal wieder bewusst im Wald um. Das Gelände stieg stetig, aber nur leicht an und er hob den Kopf, um Vögel zu entdecken, die ihrem Nachwuchs oder der männliche Vogel seinem brütenden Weibchen Nahrung brachte, und ihm dabei die Position des Nestes verrieten. Túan war sehr geschickt darin, Nester in Fallen zu verwandeln. Er hatte schnell gelernt, dass Eier eine willkommene Ergänzung seines Speiseplanes darstellten, dass die Elternvögel jedoch eine größere Mahlzeit abgaben. Túan vermied bei der Errichtung seiner Fallen immer sorgfältig, die Jungen zu berühren. Manche Vögel hatten es gar nicht gern, wenn ihre Nachkommen oder das Nest nach Mensch rochen. Sie flohen in der Regel und überließen zuweilen das Gelege ihrem Schicksal.

      Túan war etwa eine halbe Stunde mit frisch erwachtem Geist leise durch den wilden, unberührten Wald geschlichen, als er in einiger Distanz zwei neue Geräusche hörte. Das erste war das wütende Zwitschern und Gezeter zweier Kornweihen. Das zweite Geräusch war ein Winseln, in unregelmäßigen Abständen unterbrochen von einem unsicheren, aber ärgerlichen Fauchen. Túan kannte mehrere Waldbewohner, die für das Fauchen verantwortlich sein könnten, und ortete stillstehend die Richtung, aus der die Töne kamen.

      Als er sich einigermaßen sicher war, schlich er noch vorsichtiger dorthin. Er musste nur ein paar Dutzend Schritte machen, dann hatte er den Ort erreicht. Vorsichtig bog er den blattreichen Zweig eines Holunderbusches beiseite und lugte durch die Lücke.

      Die beiden zeternden Vögel waren tatsächlich Kornweihen. Ein unscheinbares, aber furchtloses Weibchen und ein prächtiges und noch zornigeres Männchen attackierten ein kleines graubraunes Fellbündel, das neben einem großen Haufen von gleicher Farbe vor ihnen in Deckung sprang. Jedes Mal, wenn einer der Elternvögel herabstieß, zuckte ein kleiner Kopf mit geöffnetem Maul nach oben und das Fauchen erklang. Die Tonlage wechselte von ängstlich bis ärgerlich, je nachdem, wie nahe ihm die Schnäbel kamen oder er selbst die Vögel verpasste. Als wieder der kleine Kopf hinter dem größeren Fellhügel hochsprang, erkannte Túan das Tier.

      Es war ein Wolfswelpe, der kleiner war als die beiden erwachsenen Vögel, welche gerade einen erneuten Angriff starteten. Beinahe hätte der männliche Vogel dem Kleinen ein Auge ausgehackt. Aber der tapfere Welpe stolperte über einen Ast und purzelte in einer rollenden Bewegung einen Mooshügel hinunter. Mit tapsigen Hüpfern korrigierte er sein Missgeschick und suchte nach den Vögeln. Die jedoch stoben wütend gackernd davon, als Túan aus dem Busch hervortrat.

      Nicht weit von seinen Füßen entfernt lagen eine tote Wölfin und dicht daneben ein weiterer toter Welpe. Der Kleine wies eine ganze Reihe an Verletzungen auf, die einwandfrei als Hiebe der Greifvögel zu identifizieren waren. Die Wölfin jedoch zeigte auf den ersten Blick keinen Hinweis, der ihren Tod erklärte.

      Túan trat näher und schob einen Fuß unter den Leib der Wölfin und drehte sie um. Dabei bemerkte er aus dem Augenwinkel, dass der überlebende Welpe langsam und mit geducktem Kopf ein paar Schritte auf ihn zu kam, stehen blieb, wieder einen Schritt machte und sich dann etwa zehn Schritte weit entfernt zu Boden hockte. Er winselte zwar leise, aber er ließ Túan keine Sekunde aus den Augen.

      Der Junge sah nun, was der Wölfin passiert war. Das rechte Vorderbein war vor einiger Zeit durch irgendein Ereignis gebrochen und die offene Wunde hatte sich entzündet. Das ansonsten magere Fleisch der Wölfin war um den Bruch herum aufgeschwollen und rot. Viele Maden krochen darin herum und verbreiteten einen ekelerregenden Geruch.

      Die Wölfin hatte nicht mehr jagen können und war schließlich völlig entkräftet hier zusammengebrochen. Die beiden Welpen hatten so lange Milch von ihr bekommen, bis nichts mehr da war. Eine leichte Beute für jeden Jäger.

      Túan blickte sich in den Wipfeln um und fand nach kurzer Suche das Nest der Kornweihen, deren Augen böse auf ihn herunterfunkelten. Wahrscheinlich war es Zufall gewesen, dass die Wölfin ausgerechnet direkt vor deren Nest ihr Leben ausgehaucht hatte und sie die Vögel ungewollt noch im Todeskampf zur Verteidigung des Nestes provozierte. Auch ihr Körper wies einige Schnabelwunden auf, doch keine war lebensbedrohend oder für den Tod der Wölfin ausreichend gewesen. Der tote Welpe ging aber allein auf das Konto der Vögel.

      Nun, so ist das Leben, dachte Túan und hob ganz sachte seine rechte Hand in den Nacken. Er empfand Verständnis und Wut zugleich.

       Die Vögel haben nur ihr Nest beschützt. Dabei haben sie aber einen Welpen getötet, der niemals eine Bedrohung ihres Nestes dargestellt hatte.

      Seine Finger tasteten nach dem Griff des langen Messers, das in einer Lederscheide steckte. Er drehte seinen Oberkörper noch langsamer und nahm Ziel.

      Der Wurf kam so blitzschnell, dass die Klinge den Hals des Männchens an den Baumstamm nagelte und seine Gefährtin ein erschrockenes Tschit-it-it-it-et-it von sich stieß. Sie behielt den entsetzten Blick noch bei, als der Stein, den Túan vor seinen Füßen aufgenommen und seinem Messer hinterhergeschickt hatte, sie mitten in die Brust traf.

      Die Kornweihe fiel aus dem Nest und landete nicht weit entfernt von dem wartenden Wolfswelpen. Der sah zuerst zu Túan, und ihre beiden Blicke versanken für einen sehr langen Moment ineinander, dann siegte der Hunger.

      Der kleine Wolf tapste zu dem toten Greifvogel und begann gierig dessen Blut aus der aufgeplatzten Brust zu lecken. Nach kurzer Zeit jedoch verlegte er sich darauf, Fleischfetzen abzureißen und rasch in seinem kleinen Maul verschwinden zu lassen.

      Túan grinste und kletterte den Baum zum Nest hoch, schnappte sich das Männchen und die drei unversehrten Eier, die darin lagen, und rutschte behutsam mit seiner Beute wieder zu Boden. Es dauerte nicht lange, bis ein Feuer in einer Mulde knisterte und der Hahn sich an einem hölzernen Spieß drehte.

      Während er den Vogel briet, beobachtete Túan den Welpen, der – umringt von einem Haufen mittelbrauner Vogelfedern – immer noch in Sichtweite dasaß und jeden seiner Handgriffe und Bewegungen mit höchster Konzentration verfolgte.

      Von der weiblichen Kornweihe war außer den Federn und den Knochen nichts übrig geblieben. Doch der Kleine leckte sich unentwegt das Maul und sein Blick wechselte zwischen Túan und dessen Geflügelbraten, der verführerische Düfte von sich gab, hin und her.

      Túan grinste, drehte den Vogel ein letztes Mal und hielt ihn sich dann vor die Nase.

      »Riecht gut, nicht wahr?«, sagte er leise und der Wolfswelpe spitzte die flauschigen Ohren. Seine Zunge leckte erneut übers Maul.

      Túan nahm sein Messer und schnitt ein Stück Fleisch ab, führte es zum Mund und prüfte vorsichtig die Hitze des Bratens. Dann schob er es hinein und kaute genüsslich.

      »Hmm … was meinst du? Belassen wir es dabei? Du hast Mama gefressen und mir gehört Papa?«

      Der kleine Wolf legte den Kopf schief.

      »Oder möchtest du noch einen Nachschlag?«

      Der Junge steckte den Braten samt Spieß schräg in den Boden und zog eine flache Holzschale aus seinem Sack. Er nahm die drei Eier, schlug sie hinein und schob die Schale langsam in Richtung des Welpen. Dann zog er sich ans Feuer zurück und widmete sich seinem Abendmahl.

      Túan nagte gerade am letzten Knochen, als die Vorsicht des Welpen von dem lockenden Duft der Eier überwunden wurde. Wieder machte der Kleine drei Schritte, blieb stehen, musterte Túan, der überdeutlich schmatzte und scheinbar wegblickte, um dann wieder ein paar Schritte zu machen.

      Als er allerdings die Schüssel erreicht hatte, schmatzte er nicht minder genießerisch als der Mensch vor ihm, der sich seine weit auseinander stehenden Mundwinkel wischte und nun offen den Welpen ansah.

      »Endlich satt?« Túan bemühte sich, ruhig zu sprechen und sich nicht hastig zu bewegen.

      Der kleine Welpe schnuffelte noch mal in der leeren Schale und setzte sich dann auf seine Hinterbeine.

      »Also, ich leg mich jetzt hin, mein Freund«, sagte Túan müde und warf einen Blick auf das verlöschende Feuer.