»Maged ...«
[Eddie Trick]
»... Leroux«, sage ich leise.
Nathalies Nacherzählung dessen, was Benoît ihr Wissenswertes über den Clan der Lerouxs berichtet hat, ist anstrengend, macht sie mürbe, mit dem, was sie aus der Erinnerung zieht. Erschöpft sinkt die Geisterfrau zum Ende ihres Gedächtnisparcours' gegen die Bordwand der Ladefläche.
»Wie konnte er euch aufspüren? Wenn er annehmen muss, dass der Junge tot ist?«
Nathalie überlegt. »Das geschah nicht von heute auf morgen. Wahrscheinlich hätte er uns nie gefunden.« Sie erzählt mir ein Gruselmärchen zur guten Nacht, Regie führt ein verirrter Sproß von Alfred Hitchcock, zumindest ein kranker Engländer. So hört sich's an. Für die Fortsetzung von »Die Vögel« wurden Paviane ausgewählt. »Zerrissen?«, frage ich, sobald die Schauermär endet und ich die Blutmenge der Handlung verdaut habe.
»Zerrissen«, antwortet Nathalie. »Die Menschen hier, die haben ein starkes Verhältnis zu solchen Vorfällen. Sie besitzen ihre eigenen – Mythen. Das alles war furchtbar. Und eine Geschichte, die sich in Windeseile verbreitete. Bis nach Niamey. Zu Benoît Moussa. Er sandte mir eine Warnung. Eine Beschreibung der Kinder kann ihren Weg in die Hauptstadt gefunden haben. Das ist nicht sicher, nicht belegt. Denkbar ist es. Händler haben es herumgetratscht? Wer weiß? Die Kinder sind wertvoll, und was wertvoll ist, weckt Interesse. – Und jetzt sind wir hier.«
»Jetzt sind wir hier«, wiederhole ich.
»César war das Nesthäkchen. Die viele Aufmerksamkeit, die er urplötzlich bekam! Das war ihm gänzlich unbekannt. Pflege, Hygiene, Nahrungsaufnahme, Übungen, leichter Sport für den Körper, dehnen und mehr bewegen, Trinken, bequeme Kleidung, Freunde. Familie. Liebe. Nichts dergleichen schien dem Jungen bisher ausreichend oder ansatzweise zuteil geworden zu sein. Pascale und Claude nahmen den Kleinen wie selbstverständlich an. Es gab etwas harmlose Eifersucht, wenn ich zu viel Zeit mit ihm verbrachte. Das gab sich. Die Affen, Zet und Vau, positionierten sich als Puffer, sie lenkten ihre Schutzbefohlenen ab, kompensierten meine Nachlässigkeiten instinktiv. Ja, sie herzten César sogar, wandte ich mich ihnen endlich zu. Das förderte meinen Entschluss, einen dritten Affen anzuschaffen. Césars zerbrechliche Statur legte einen Gefährten nahe, der ihm zu keiner Zeit eine Last sein konnte. Ich verstieg mich auf einen Schwarzen Kapuzineraffen.« Sie räuspert sich, inzwischen heiser geworden.
Bodenwellen treten uns in den Arsch. Fühlt sich echt an. Unsere, nach ortsüblichen Verhältnissen, achtlos auf den Boden abgelegten Gewehre rappeln gegeneinander. Einer der Targi wirft uns über seinem Gesichtsschleier einen dieser strafenden Gangsterblicke zu. Gewehre sind mit Respekt zu behandeln. Er greift nach den Waffen, zieht die Magazine heraus und schmeißt sie uns in den Schoß. Sodann lädt er wie ein Ausbilder die Gewehre durch. Die Kugeln aus den Kammern werden ausgeworfen. Geschickt fängt er sie auf. Pah! Taschenspielertrick! Um die Geisterfrau zu beeindrucken. Die Patronen fliegen den Magazinen hinterdrein. Als das lehrerhafte Getue erledigt ist, legt der Targi die Knarren auf den Boden zurück. Ich versuche, ernst zu bleiben, nehme eine der Patronen und schiebe sie in eines der Magazine. Mit demselben Ernst nickt der Wüstenkrieger mir zu. Und wartet, dass Nathalie es mir nachmacht. Erst dann beugt er sich vor und verharrt in der Position, die mit der Bravour eines von buddhistischen Stoikern erzogenen Mannes während der letzten Stunden gehalten wurde.
Nathalie hat mir viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Ich betrachte ihr Profil. Sie sieht müde aus. Aber unnachgiebig.
Einer der Targi auf unserem Lastwagen stößt einen Pfiff aus. Weiter vorne wird geantwortet. Von einem der nachfolgenden Lkws schallt eine Erwiderung, mehr ein krummer Hauch von trockenen Lippen.
Nathalie hebt den Kopf eine Spur eher als ich.
Unsere Wagenkolonne kommt zum Stillstand. Einer nach dem anderen halten wir seitlich des Weges.
»Ein Hubschrauber.« Nathalies Stimme ist kaum zu hören.
Ich habe von Hubschraubern die Schnauze voll. »Einer?«, frage ich misstrauisch.
»Nein«, erwidert sie. »Nicht einer. Das klingt – doppelt.«
»Also, zwei!«
Jemand bellt Befehle. Jeder der Targi scheint eine Aufgabe zu haben. Sie schnappen sich die Gewehre. Geduckt laufen sie zur Heckklappe oder springen gleich über die Seitewände nach unten. Wir Zivilisten folgen den Kämpfern zum Heck. Antoine macht den Anfang. Falls man uns aufs Korn nimmt, sollten wir nicht in einem der größten Ziele am Straßenrand hocken.
Nathalie reicht Antoine die Jungen samt der Decken an. Die Affen meistern den Abstieg allein. Bei Zet lassen sich die Bewegungsabläufe mit turnerischer Eleganz beschreiben. Vau markiert den Clown, sehr zur Freude von Claude, der ein abgehacktes Lachen von sich gibt.
Unterdessen kommen die unheilvollen und unwillkommenen Geräusche immer näher. Geschwindigkeit und Richtung zu erkennen, fällt mir in der frühen Dämmerung außerordentlich schwer. Vor dem zunehmend lichter werdenden Himmel verschwimmt unser kleines Heer in dunkelgrauen Konturen. Beinahe schwarzweiß. Gleich, so denke ich, kommt John Wayne als Fremdenlegionär um die Ecke und will sich El Shaitan schnappen. – Ist behämmert, ich weiß.
Kapitel 3: Sind das die Guten?
[Nathalie Pagnol]
Gespannt warten wir. Die Targi haben uns, die Kinder, die Affen, Antoine, Eddie und mich neben einem Felsvorsprung in Deckung getrieben. Ich ramme das Magazin zurück ins Gewehr.
Eddie macht es mir mach. Grimmig richtet er den Lauf gegen den Himmel. Es wirkt wie ein mehrfach geübter Handgriff, als er durchlädt.
Jetzt mache ich es ihm nach. Klackend rastet der Verschluss ein.
Pascale und Claude pressen sich gegen Antoine. Der Hausa umarmt die beiden fest und so mitfühlend, wie es unter diesen Umständen möglich ist. Hinter Antoines Schulter klettert Ix hervor. Der Primat ist unruhig. Hektisch wechselt das Mienenspiel von einem Grinsen zu ängstlichem Zähneblecken. Jemand, der nicht mit Schwarzen Kapuzinern umgeht, wird den Unterschied kaum bemerken. Ix zeigt seine großen Eckzähne, größer, als bei einem solch kleinen Affen anzunehmen. Aber ich weiß, dass dieses Zähnezeigen nur eine leere Drohung ist. Ix fiept eine unbestimmte Aufforderung.
Antoine deutet sie auf seine Weise. Er hebt den kleinen Primaten von seiner Schulter und legt ihn in die Armbeuge von Claude.
Sanft legt der Junge einen Deckenzipfel, ein improvisiertes Versteck, halb über den Affen.
Ix umfasst den Arm so fest, als wolle er niemals wieder loslassen. Seine dunkelbraunen Knopfaugen zucken in jede erdenkliche Richtung.
»Pascale«, sage ich im Flüsterton, »die Affen, vielleicht werden ...« Ich schaue die beiden Jungen aufmerksam an. Vielleicht werden wieder Schüsse fallen. Ihr müsst die Affen gut festhalten, ja?«
Mein Sohn bestätigt meine Frage mit einem aufgeregten Nicken. Er gibt Claude durch Vormachen zu verstehen, wie dieser auf Vau und Ix aufpassen soll. Zet benötigt keine Anweisung. Als sei es das Normalste von der Welt drückt er sich an die Brust seines Schützlings.
Selbst mit denkbar schlechtesten Augen sind nun die beiden dicht über dem Horizont kreisenden Hubschrauber zu sehen. Positionslichter blinken.
»Unvorsichtig«, kommentiert Eddie. Er legt den Lauf seines Gewehres sacht auf eine überragende Felskante, drückt den Schaft der Waffe gegen die Schulter, kneift das rechte Augen zusammen und visiert die Luftfahrzeuge über Kimme und Korn an.
Samir tritt neben uns. »Nicht!«, zischt der Targi ungehalten. »Nicht schießen! Dummer, Mr. UNO!«
»Eddie!« Forbach komplettiert unseren Reigen. »Eddie, ich will, dass du mich begleitest.«
»Aber ...«