SAVANT - Flucht aus Niger 3. Michael Nolden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Nolden
Издательство: Bookwire
Серия: SAVANT - Flucht aus Niger
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752909128
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Moussa hat dir gleich zwei Jungen vermittelt?«

      »Vermittelt? Nicht wie es von anderen Ländern her gebräuchlich ist. Ich wollte ihm sagen, ich habe keinen Platz. Keine Luft mehr für ein weiteres Kind. Aber ich sagte natürlich, er solle mir mehr erzählen. Ein paar Tage darauf trafen wir uns in Niamey. Ein einfaches Haus erwartete uns von außen. Von innen war es pompös ausgestattet. Bedienstete, ausschließlich Frauen, ältere Frauen und eine Dame des Hauses, die in meinem Alter war, kann sein auch eine Handvoll Jahre älter. Sie ließ Benoît reden. Er stellte sie als ...«

      »Ja?« Höflich wartet Eddie ein paar Atemzüge ab, bevor er nachfragt. »Ist alles in Ordnung?«

      Ich wackele nervös mit dem Kopf. Ein Nicken ist es nicht wirklich. »Die Frau hatte einen Sohn. Noch eine Schande. Auf die eine oder andere Art sind sie immer eine Schande, eine Bürde, eine Last. Sie hielt sich im Hintergrund. Schlank und zierlich, recht groß. In ihrem Seidenkleid wirkte sie auf mich wie eine Statue, ganz glatt und unecht. Daneben kam ich mir grob, wie unbehauen vor. Benoît erklärte, sie sei die Dame des Hauses. Sie habe einen Sohn, der eine besondere Belastung für sie sei, da er sie vor ihrem Mann in arge Schwierigkeiten bringe. Benoît sprach wie ein Museumsführer. Sie liebe ihren Sohn und wolle ihn in guter Obhut wissen. Dazu gelte es, das Kind vor der Raserei ihres Mannes in Sicherheit zu bringen. Ich hörte bloß zu. Es stehe Geld zur Verfügung, eine großzügige Summe, eine Einmalzahlung von zehntausend Dollar. Für hiesige Verhältnisse ein unglaubliches Vermögen. Man muss hier nicht weit fahren, um deshalb die Gurgel durchgeschnitten zu bekommen.«

      Eddie sieht mich lange an. »Darf ich raten, wie der Junge hieß?«

      [Eddie Trick]

      »Ayman?« Gespannt warte ich auf ihre Reaktion. Als nichts geschieht, Nathalie sich in ihrer Rolle als reglose Figur zu gefallen beginnt, unbehauen oder nicht, halte ich absichtlich meine verletzte Hand in die Höhe. Die braunen Flecken, das Blut, das durch die Bandagen gesickert ist, sind mein Pfand für mehr Informationen. Ein zittriges Lächeln ist die erste Antwort, und ich schäme mich für dieses Bauernspielchen.

      »César«, lautet die zweite Antwort, mit extra fester Stimme gegeben.

      »César«, sage ich tonlos. »César ist Ayman. Dann ist César ...« In rodinscher Haltungsqual verfalle ich in grüblerisches Schweigen. Natürlich ist da eine Ahnung. Bertrand, mit seiner überquellenden Lust an pikanten Details, hätte die Pointe längst erraten. Nathalie soll den Satz vollenden.

      »Der Sohn von Maged Leroux.« Nathalies Stimme ist ein Hauch. Getragen von Angst. »Du hast gesehen, welche Macht er besitzt ...«

      »Macht?«

      »Ja, Macht. Er schert sich nicht um Gesetze!«

      »Ich habe genug von diesem Kontinent gesehen, um das zu wissen. Ich habe Maged Leroux persönlich erlebt, um das zu wissen. Leroux schert sich um Leroux. Sonst nichts.« Das ist null, nada, nothing von beruhigend, soll es aber auch nicht sein. Ich will nur diese Jammerei brechen. Das häuft sich schon reichlich auf der anderen Seite der afrikanischen Waagschalen. Und macht's denen mit Macht leicht. Jammerer wehren sich nicht.

      »Damals«, nuschelt Nathalie gegen den Fahrtwind, »wusste ich nichts von einem Maged Leroux. Ich kannte kein Bild, hatte niemals den Namen gehört. Die Frau machte auf mich den Eindruck einer typischen Reichen ohne eigenes Vermögen. Gemäß des Glaubens oder einer Interpretation desselben, einer der vielen Auslegungen, derer man irgendwann müde wird nachzufragen, befahl sie solange im Haus, wie der Mann nicht da war. Unbewegt hörte sie den Ausführungen von Benoît zu, auf Französisch, wie er mich und meine Fertigkeiten empfahl, mein Einfühlungsvermögen bei Kindern mit einer unüblichen Entwicklung, wie Menschen ihres Schlages es als solche empfinden. Während des Monologes hatte ich den Jungen nicht zu Gesicht bekommen. Wenig später wurde der Kleine in einem Rollstuhl sitzend hereingeschoben. Inmitten des Protzes, des goldenen Prunks, der Möbel aus rötlichem Holz, der Wandbehänge, dieses orientalischen Ambientes sah der Junge völlig fehl am Platz aus. Er sah aus – ja, sah aus, als ob er sich in sich selbst verkriechen wollte, um noch winziger und unsichtbarer zu werden.«

      Jeder verlorene Satz ließ die Krümmung ihres Rückens schwinden. Von Wort zu Wort saß sie aufrechter da. Die Erinnerungen waren Ballast, den sie ungeteilt in sich hineingefressen hatte. Vielleicht hatte sie die Jungen deswegen so gut verstehen können? Als kindliche Spiegelbilder.

      »Benoît hatte der Frau von meinen Bemühungen berichtet. Ohne Namen zu nennen. Genauso wenig erfuhr ich ihren Namen an diesem Tag. Es gehe einzig um das Wohl des Kindes, konstatierte Benoît, ganz ausgebildeter Diplomat. Sie hörte zu, ich hörte zu. Ich nickte immerhin. Sie war und blieb eine Eisheilige. Ich wollte eine Reaktion sehen, doch es hatte den Anschein, als habe die Mutter schon mit César abgeschlossen. Sie sah stur geradeaus, hin zu Benoît, der meisterlich die Geschichte weiterspann. Man werde dem Vater berichten, das Kind sei verstorben. Er versicherte mir, der Vater habe zu Lebzeiten des Kindes kein rechtes Interesse gezeigt, also warum, so die kluge Schlussfolgerung, sollte er sich im Todesfall kümmern? Ich stand versteinert da. Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. In Gegenwart des Jungen! Diesen Menschen standen alle Mittel zur Förderung ...«

      [Nathalie Pagnol]

      »... des Jungen zur Verfügung! Aber Benoît ging noch weiter. Eine offizielle Adoption werde demnach nicht erfolgen. Er versprach mir stattdessen, dass niemals jemand nach dem Kind suchen werde. Der Vater werde den Tod des Jungen nicht bedauern, noch werde er ihn vermissen.« Ich wende mich Eddie zu. »Unter diesem Bombardement der Herzlosigkeit rührte sich – César – gar nicht. Ich kniete mich vor ihn hin und versuchte in seine Augen zu sehen. Als ich nach seiner Hand griff, damit ein erster Kontakt entstand, zuckte er zusammen und jammerte mit Worten, die wie Worte klangen und ich doch keiner Sprache zuordnen konnte. Mir schwante, dass der Junge überhaupt nicht richtig sprechen gelernt hatte. Man war mit ihm wie mit einem Gefangenen verfahren, hatte ihn in ein graues Hemd, eine graue Hose und kleine schwarze Schuhe gesteckt. Alles war viel zu groß für ihn und schlotterte an ihm herum. Ich versuchte ihn anzusprechen, er rümpfte bloß die Nase. Ich fragte Benoît nach dem Jungen, Einzelheiten, Gesundheitszustand, Alter, Geburtstag. Das meiste blieb unbeantwortet. Benoît holte sich die Informationen in einem leisen Gespräch von der Mutter. Ich kann nicht sagen, dass ich ihre Stimme gehört hätte. Ich betrachtete sie von unten herauf. Der Gegensatz zwischen uns war dramatisch. Pechschwarzes Haar. Weißes Haar. Dort die – Rabenmutter. Hier die – Geisterfrau. Ich verzichtete auf jede weitere Frage. Ich nähme das Kind in meine Obhut, erklärte ich Benoît. Unter der Voraussetzung, es käme nie wieder zu einem Kontakt. Niemals! Meine Worte drangen zu der Frau durch, deren Augen feucht zu schimmern begannen. Bevor die Tränen offensichtlich wurden, drehte sie sich um und marschierte aus dem Raum. Benoît schaute ihr sprachlos hinterher. Das war eine bedrückende Szene für ihn wie für mich.« Wie bedrückend es war, merke ich heute noch. Mein Atem stockt. »Die Angestellten brachten Kleiderbündel, alles schmucklos, farblos, mit einer Kordel zusammengebunden, häuften sie in Benoîts Arme und auf den Schoß des Jungen. Mir gaben sie noch ein Paar verstellbarer Krücken in die Hand. So beladen geleiteten sie uns zum Hintereingang, durch den wir auch das Haus betreten hatten. Jemand hatte einen alten Schulbus oder etwas ähnliches organisiert. Die Fenster waren mit Vorhängen verdeckt. Wir bugsierten uns durch die Hecktür hinein und wurden zur Stadt hinausgefahren. Der Fahrer sah nur ab und an im Rückspiegel nach hinten. Benoît mahnte mich zur Ruhe. An einer Hütte am Stadtrand von Niamey setzte man uns ab. Benoît rief mit einem Mobiltelefon einen anderen Wagen herbei, diesmal sogar ein offizielles Ministeriumsfahrzeug. Ein Anzeichen für mich, dass er mittlerweile in der Hierarchie nach oben gefallen war. Der Fahrer des Wagens machte sich zu Fuß auf den Rückweg. Oder rief sich ein Taxi. Ich weiß es nicht mehr. Mir brannten unbeantwortete Fragen auf der Zunge. Natürlich war ich neugierig! Wer war die Mutter? Wer der Vater? Welche Nationalität besaßen sie? Sie stammten nicht aus Niger. So viel reimte ich mir zusammen. Ich traktierte Benoît mit meinen Fragen. Und der arme Kerl wurde zusehends nervöser. Obwohl wir uns kontinuierlich von Niamey entfernten. In die vermeintliche Sicherheit. Er klappte die Sonnenblenden herunter. Tastete das Fach für die Sonnenbrillen ab. Fingerte um den Sitz herum. Er suchte – ja, was? Wanzen? Damals hielt ich es für eine lächerliche Vorstellung. Heute klingt es nicht mehr so abwegig. Ägypter.