Auf Jahrmärkten quer durch die USA und auch in Kanada wurde das Rezept seitdem begeistert adaptiert. Eine Frittierbude auf der State Fair in Iowa (deren Maskottchen seit über 100 Jahren eine lebensgroße, aus Butter gearbeitete Kuh-Skulptur ist) verfeinerte den Herzinfarkt-Lutscher um einen Zimtteig, der nach dem Ölbad mit einer süßen Soße übergossen wird, Schoko zum Beispiel. Auf Wunsch gibt es Schlagsahne dazu.
Das Problem sei gar nicht die Butter, meinte eine Kundin aufklären zu müssen, sondern der Teig drum herum – wegen der Kohlenhydrate. Für diejenigen, die trotzdem ihren Fettkonsum reduzieren möchten, wird es bestimmt bald auch »diet«-deep-fried butter geben. Die hat dann pro Portion wahrscheinlich nur noch 500 statt 1.000 Kalorien.
4 Marmite: Geteerter Toast zum Frühstück
Name: Marmite, Vegemite
Region: England, Neuseeland, Australien
Verzehr: Auf Toast gestrichen
(c) Jäger des verlorenen Schmatzes
Typischer Anfängerfehler: Beim Frühstück in England, Neuseeland oder Australien nach dem Glas mit dem fröhlichen gelben Etikett greifen und die zähe, schwarzbraune Paste darin allzu üppig aufs Toast schmieren – das hier ist schließlich keine Marmelade und kein Nutella! Und dann auch noch enthusiastisch hineinbeißen, schließlich will man den freundlichen Briten, sympathischen Neuseeländer oder lässigen Australier nicht enttäuschen, der hier gerade seine Kindheitserinnerungen und seinen allerliebsten Frühstücksaufstrich mit einem teilt. Ein bis zwei Sekunden später, wenn der unerwartete, intensive Geschmack nach Brühwürfeln sich auf der Zunge breit macht, rutscht den meisten Marmite-Neulingen das Gesicht aus und nur die Tapfersten schaffen es, den Bissen höflich herunterzuschlucken. Der sympathische Kiwi oder lässige Aussie schaut derweil mitfühlend. Oder prustet los – auch die millionste Live-Wiederholung von »ahnungsloser Tourist probiert Marmite« scheint brüllend komisch zu sein.
Beleidigt ist er hingegen selten, denn an Marmite oder Vegemite scheiden sich schon immer die Geister – sogar unter den eigenen Landsleuten. In England, dem Land des schrägen Humors, in dem der Aufstrich aus Hefeextrakt 1902 erfunden wurde, wird Marmite sogar mit »Love it or hate it«-Kampagnen beworben. Ein Werbeclip zeigt beispielsweise eine Mutter, die beim Stillen genüsslich in ein Marmite-Sandwich beißt, woraufhin das Baby im Strahl kotzt. Dank Youtube verpasst man auch solche Perlen nicht mehr.
Fans schwärmen von der zart-cremigen Konsistenz der Paste und ihrem unvergleichlichen Geschmack (immerhin darin sind sie sich mit den Hassern einig), loben ihren hohen Vitamin-B-Gehalt und ihre Wirksamkeit gegen Kater, ein vor allem in England nicht zu unterschätzender Pluspunkt. Begeistert kaufen die Briten auch Sondereditionen wie etwa Marmite Gold, dem anlässlich der Olympischen Spiele 2012 in London echte Goldflocken untergerührt wurden, oder jene Lippenpomade, die aus einem Joint Venture zwischen Marmite und Vaseline entstand. Noch Fragen?
Wer gerade seinen ersten (und womöglich letzten) Marmite-Happen heruntergewürgt hat, findet den Vergleich mit Schmieröl oder den Kosenamen »tar in the jar« (Teer im Glas) vermutlich passender. Die Hasser-Fraktion weist auch gerne darauf hin, dass es sich um ein Abfallprodukt handelt, denn die Hefe, Grundzutat für den köstlichen Frühstücksaufstrich, bleibt bei der Herstellung von Bier übrig. Für manche ist es auch einfach ein Konzentrat der ältesten Vorurteile, die über die britische Küche in Umlauf sind.
Garantiert tödlich beleidigt sind sowohl Marmite- als auch Vegemite-Liebhaber allerdings, wenn man behauptet, das sei doch beides dasselbe. Gleiches gilt für die jeweiligen Ländereditionen: auch wenn der Aufstrich in England und Neuseeland den gleichen Namen trägt, liegen selbstverständlich Welten zwischen beiden. Der Beweis lässt sich natürlich nie führen: Alle Rezepturen sind streng geheim. Fest steht: Das Original aus dem Mutterland wurde 1910 erst in der einstigen britischen Kolonie Neuseeland kopiert (Kennern zufolge schmeckt es dort süßer) und 1923 dann in Australien auf den Markt gebracht, wo es Vegemite heißt und die Rezeptur viel schwächer sein soll (was natürlich, je nach Standpunkt, auch von Vorteil sein kann). Trotzdem ist letzteres das wohl berühmteste der drei, seit die Men at Work es in ihrem 80er-Jahre-Hit Down Under besangen.
Als die Marmite-Fabrik in Christchurch durch das schwere Erdbeben Anfang 2011 beschädigt wurde und die Produktion monatelang einstellen musste, war den Kiwis trotzdem das Mitleid der Konkurrenz sicher. »Flippt nicht aus«, flehten die neuseeländischen Zeitungen ihre Leser an, während die britische BBC die Marmite-Knappheit schlicht als »Marmageddon« bezeichnete.
5 Brennivín: In Island ist der Tod schwarz, flüssig und hochprozentig
Name: Brennivín
Region: Island
Verzehr: Eiskalt getrunken
(c) Dennis Yang unter CC Lizenz
Schwarzer Tod – das klingt nach einem sehr hässlichen Lebensende und erinnert noch dazu an eine mittelalterliche Seuche, die Teile Europas nahezu leerfegte. Wenn es sich bei dem so Bezeichneten allerdings um Hochprozentiges handelt, scheinen andere Regeln zu gelten, ganz nach dem Motto: je krasser, desto besser. Jedenfalls ist der Plan gründlich gescheitert, dem isländischen Brennivín (Branntwein) ein so abschreckendes Label zu verpassen, dass sich die Leute auch nach Abschaffung der Prohibition in Island davon fernhalten würden. Das schlichte schwarze Etikett, auf dem sich zeitweise ein Totenschädel mit überkreuzten Knochen und das Logo der staatlichen isländischen Alkohol-Verkaufsgesellschaft ÁTVR befand und mittlerweile ein Umriss der Insel, wurde vielmehr zum Markenzeichen: Es verschaffte dem Kartoffel-Kümmel-Schnaps Kultstatus und eben jenen Spitznamen.
Brennivín ist mittlerweile das inoffizielle Nationalgetränk der Isländer und gehört untrennbar zum Verzehr von Hákarl – jenem fermentierten Haihappen, dessen Ammoniakaroma schneller die Nasennebenhöhlen durchfegt als man ihn herunterschlucken kann. Dankbar kippt man Brennivín hinterher, denn der schmeckt wenigstens nur intensiv nach Kümmel und brennt mit seinen 37,5 Prozent Alkohol alle Haiüberreste aus der Kehle. Auch beim Wikingerfest þorrablót (sprich: Thorrablot), das Island traditionell Ende Januar, Anfang Februar feiert, darf das Todesgesöff nicht fehlen, um Spezialitäten wie gekochten Schafskopf, eingelegte Widderhoden und fermentierte Seehundeflossen das letzte Geleit zu geben.
Trotzdem wird Brennivín von den Isländern nicht ständig und in großen Mengen getrunken: etwa 70.000 Liter werden pro Jahr verkauft, und zwar bereits inklusive der Exporte ins (überwiegend skandinavische) Ausland. Das änderte sich auch nicht, als in Tarantinos Kill Bill 2 Brennivín getrunken wurde und die Foo Fighters in Skin and Bones davon sangen. Auch die Nachfrage aus Deutschland, wohin Bestellungen seit Anfang 2011 geliefert werden (dem Jahr, in dem Island Gastland der Frankfurter Buchmesse war), hält sich in Grenzen.
Es ist noch gar nicht so lange her, da war Island eine arme Nation von Fischern und ihr Hauptexportartikel Lebertran. Das Leben am Polarkreis war und ist hart, mehrere Monate im Jahr dauert die Nacht auch beinahe den ganzen Tag. Der Sonnenmangel schlägt vielen aufs Gemüt. Dagegen helfen das im Lebertran enthaltene D-Vitamin – und Alkohol. Früher, so erzählt es ein alter Fischer auf der Insel, wurden daher die Lebertranfässer auf dem Rückweg nach Island mit Branntwein befüllt. Der praktische Import-Export-Kreislauf hatte nur einen Nachteil: Der Hochprozentige färbte sich schwarz und bekam einen merkwürdigen Beigeschmack. So mancher Isländer, der sich mit dem aromatisierten Branntwein den langen, dunklen Winter schöngetrunken hat, ist dabei wohl einen (kleinen) schwarzen Tod gestorben.
6 Ackee: köstlich, aber giftig