2924 Hunde und 10 Tierheime : Roman. Manuela Dörr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuela Dörr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738084863
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ihre Bewegungen ununterbrochen in immer demselben Schema. Jeder schien auf seine Art um Aufmerksamkeit zu buhlen. Sie blieben vor einem kleingewachsenen Hund stehen. Er hob immer wieder sein Vorderbein und humpelte zu ihnen herüber.

      »Das ist Lilly, sie wird bestimmt nicht lange hier bleiben. Mitleidstiere werden zuerst adoptiert. Vielleicht, weil die Menschen denken, dass sie etwas besonders Gutes tun. Selbstbestätigung. Danach kommen die Jungen, Hübschen und nach Aufmerksamkeit Gierenden. Das hat zur Folge, dass schüchterne und aggressive Tiere am längsten im Tierheim sitzen, weil sie sich nicht zeigen und präsentieren«, erklärte Paul.

      Nein, er konnte sie unmöglich erkannt haben, so sachlich wie er blieb.

      »Das da vorne sind die Auslaufflächen. Da darf jeder Hund einige Stunden pro Tag rein. Aber wenn das Tierheim sehr voll ist, reichen die Gehege kaum aus. Neben dem Füttern und Säubern, stellen wir auch die Gruppen zusammen. Da kommen wir schnell an unsere personellen Grenzen.«

      Im Gehege raste ein schwarzer Hund an ihnen vorbei, direkt in die Arme eines Mannes. Daneben sprang ein Besenförmiger mit dreieckig abstehenden Ohren wie ein Reh über die Wiese und jagte den dicken Schwarzen. Der schnaufte und schaute durch seine Glubschaugen zum Besitzer hinüber. Schließlich knurrte er das haarige Wesen an und ergriff die Flucht.

      »Wir testen gerade, ob die beiden sich vertragen. Die Hündin aus dem Tierheim kennt den Besitzer schon, seinen Mops aber noch nicht. Wenn bei den ersten Begegnungen alles gut läuft, lassen wir den Besitzer mit seinen Hunden alleine.«

      »Und die Ausläufe?« Natalie schaute auf die Uhr. Ein wenig Zeit konnte sie sich noch nehmen. Vielleicht stieß sie noch auf eine von diesen Innovationen, an die ihr Chef glaubte. Bisher war die Ausbeute eher ernüchternd.

      »Die Ausläufe sind da hinten, auf der anderen Seite vom Tierheim. Folgen Sie mir.« Sie überquerten das gesamte Gelände, passierten das Haupthaus und die Katzengehege. Natalie bemerkte einen Hund, der hinter einem Zaun entlang trottete. Er sah aus wie einer der Schlittenhunde, die sie im Fernsehen gesehen hatte. In einer Szene wurden die Weißen mit Fleischbrocken gefüttert. Der Schnee glich einem blutigen Schlachtfeld.

      »Ich sehe die Gehege. Ich glaube, das reicht mir von hier«, bemerkte sie und blieb stehen.

      »Das ist nicht weit, sie dürfen sie auch mal streicheln. Eine ganz junge Quirlige ist das«, sagte der Tierpfleger und schloss das Tor auf. Natalie blieb einige Schritte hinter Paul stehen und zögerte.

      »Wir brauchen nicht rein … es reicht mir so. Ich sehe alles von hier.«

      »Na, zum Hund dürfen Sie sowieso nicht rein. Versicherungen … Aber wir können in den Gang gehen, da hat man einen besseren Überblick. Das brauchen Sie doch für Ihr Projekt.«

      Natürlich musste sie die Ausläufe sehen, ihr blieb nichts anderes übrig. Sie drückte die Handtasche vor ihre Brust und folgte Paul.

      Der Husky sprang neben ihnen am Gitter auf und ab. Er hastete wieder los und nahm Anlauf. Als er den Sand bei einer Vollbremsung zu einer Staubfontäne aufwirbelte, blitzten seine Zähne scharf hervor. Natalie hob die Arme vor das Gesicht. Sie griff nach den Henkeln der Handtasche und trat zwei Schritte rückwärts, bevor sie die Sandkörner von ihrem Marccain Trenchcoat strich. Das dürften die ersten Dreckflecken sein, noch besser. Sie zog den Taillengürtel enger.

      »Die Besitzer haben nicht daran gedacht, dass ein Husky viel Bewegung und Auslauf braucht. Wohnen in einer Dreizimmerwohnung im Stadtzentrum.« Er verzog das Gesicht und rief die Hündin. Unbeeindruckt entfernte sie sich weiter, nur um im nächsten Moment wieder loszusprinten. Diesmal wich Natalie rechtzeitig aus und der Dreck flog ins Leere.

      »Ich muss jetzt los«, sagte sie. Sie durchquerten das Gebäude und gingen zurück zum Eingangstor. Natalie setzte die Sonnenbrille auch zum Abschied nicht ab.

      »Kann ich mehr über Ihr Projekt erfahren?«

      »Es ist erstmal nur eine Ausschreibung.«

      »Gut, dann bis in ein paar Wochen. Ich freue mich schon«, sagte Paul und verschwand wieder im Tierheim.

      Ein Schäferhund und sein Pfleger stürmten durch die Tür. Der Köter zog den Mann hinter sich her.

      »Ist das Gonzo?«, fragte Natalie.

      »Ja, genau. Sind Sie die Architektin?« Der Mann versuchte bei jedem Schritt zu bremsen, verringerte das Tempo des Tieres aber nur unbedeutend.

      »Ja, bin ich«, antwortete sie, drehte ihm den Rücken zu und hastete zum Wagen. Sie grub den Schlüssel aus der Tasche und stocherte im Schloss.

      »Ich bin hier Ein-Euro-Jobber und gehe regelmäßig mit den Hunden Gassi. Damit die Bewegung haben und mal was anderes zu Gesicht bekommen«, fügte er hinzu, doch Natalie schwang sich schon in ihren Wagen und knallte die Tür gerade rechtzeitig vor Gonzos Nase zu. Er schreckte zurück und schnupperte an den Reifen.

      Genug Tierheim, dachte Natalie und startete den Motor. Zeit für das Museumsprojekt.

       Büro Hofenkamp & Meyer

      »Frau Feldt, auch Fakten wie ‚Gesundheitszustand der Tiere‘ müssen Sie berücksichtigen! Solche Kleinigkeiten ebnen den Weg zu guter funktionaler Architektur. Gute? Hervorragende! Und warum haben sie geschrieben, dass die Außengehege an mehreren Orten verteilt sind? Das Warum muss da stehen.«

      Ihr Chef schleuderte den Bericht auf Natalies Schreibtisch. Der sorgsam arrangierte Stapel mit den Unterlagen des Museumsprojektes hob ab und die Zettel landeten wie vertrocknetes Laub wirr auf dem Boden. Das Rascheln der Nachbarschreibtische verstummte. Aus dem Augenwinkel sah Natalie, wie ihre Kollegen angestrengter als sonst auf ihre Monitore starrten. Natürlich stellte er sie vor allen bloß, was hätte sie anderes von ihm erwarten sollen?

      »Sie müssen noch viel lernen. Der Pfleger hat die Tiere durch das Gitter gestreichelt? Vielleicht lässt sich daraus ein besonderes Detail entwickeln. Eine Streichelluke oder was weiß ich! Fragen Sie Spezialisten. Finden Sie heraus, ob sich Katzen den ganzen Tag sonnen wollen, Hunde ihre Besucher lieber gleich sehen oder sie erst schnuppern möchten. Und mögen die Tiere es, wenn Menschen sie von oben herab betrachten?« Er holte Luft. »Fahren Sie nach Berlin, da ist das größte Tierheim Deutschlands. Es ist ein neuer Bau, von Dietrich Bangert.« Er drehte sich um und marschierte den Gang zwischen den Schreibtischen entlang.

      In fetten Buchstaben prangte ‚Neu bis Freitag‘ auf dem Titelblatt ihres Berichtes. Sie schlug die erste Seite auf. Rote Striche schlängelten sich um ihre Wörter, vernichteten sie.

      »Frau Feldt!« Sein wulstiger Kopf lugte aus dem Büro heraus, die spiegelnde Scheibe verzerrte seinen Körper unvorteilhaft. Glaskasten nannten sie den Raum, in dem nichts unsichtbar blieb, jede Lippenbewegung der Sprechenden ablesbar war.

      »Haben Sie mit Frau Leistner gesprochen?« Natalie erntete einen mitleidigen Blick von Theresa, die am Schreibtisch neben ihr saß.

      »Noch nicht. Gleich …«

      »Jetzt!« Sein Kopf verschwand. Was blieb ihr anderes übrig? Berlin, das wäre machbar und Spanien … ihr blieb keine Wahl. Sie würde die beiden Orte besuchen, die Fehler im Bericht ausmerzen und Lösungsansätze einbauen. Als sie gestern Abend noch im Büro gesessen und Gedanken aufgeschrieben hatte, hatte Theresa ihr ihre Hilfe angeboten.

      »Nein, ich schaffe das alleine.« Natalie hatte sich nicht einmal umgedreht, sondern weiter auf den Bildschirm gestarrt.

      »Hüte dich davor, zu viel Zeit zu investieren«, hatte Theresa ihr geraten. Schließlich sei es nur ein unbedeutendes Projekt, ein Test vom Chef, und sie wollten doch gemeinsam mit dem Museumsprojekt erfolgreich werden. Noch hatten die Kollegen den Museumsbauplan fast so belassen. Einige Türen und Gänge seien leicht versetzt worden. Ja, noch hatte sie Zeit zurückzukehren.

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