Kurzes Intermezzo aus der Studienzeit
Gut, ja sehr gut erinnert sich Cornelia Nicolai an den Tag in der Mensa, als sie gemeinsam mit Anke wieder einmal die Kartoffelpuffer mit Apfelmus wie ein Festmahl zelebrierten. Und das ist nunmehr auch schon wieder 7 Jahre her. Ihr ist die kleine Episode niemals so richtig aus dem Kopf gegangen. Beide befinden sich im letzten Semester - Anke als Jurastudentin und sie hatte sich für Betriebswirtschaftslehre entschieden. Beide sind unsterblich verliebt - Anke in den gut aussehenden Medizinstudenten Andreas und sie in Bernd, der ein Semester unter ihr die gleiche Fachrichtung belegt. Lachend stößt Anke sie an und sagt: „Schau mal, da steht dein Traummann“, prustet sie los und nickt mit dem Kopf Richtung Einganstür, „bestimmt erstes Semester … du stehst doch auf jüngere Männer.“
„Ist das wieder einmal eine deiner kleinen Anspielungen auf meinen Bernd? Er ist nun einmal nicht der Adonis der Männerwelt … dafür aber so liebevoll und zärtlich, dass ich ihn gegen keinen Anderen eintauschen würde … du kannst schon manchmal ziemlich gehässig sein … aber sonst bist du schon eine tolle Freundin“, fügt sie besänftigend hinzu. In den nächsten Wochen sehen sie diesen Studenten noch mehrmals. Cornelia Nicolai drängt es ungewöhnlich oft in die Mensa. Und immer zur gleichen Zeit.
Anke bleibt das eigenartige Verhalten ihrer besten Freundin nicht verborgen und so sagt sie eines Tages unverhofft zu ihr: „Wirst langsam alt … meine Liebe“
Was soll den dieser blöde Spruch?“, erwidert Cornelia Nicolai, „werden bei mir schon die ersten Fältchen sichtbar … das ist gemein von dir.“
Lachend entgegnet ihr Anke: „Hab dich mal nicht so … hat nichts mit deinem Aussehen zu tun.“
„Nun sag schon … was du mir damit Großartiges mitteilen willst?“
„Hm … mir ist aufgefallen, dass wir uns in den letzten Tagen immer zur gleichen Zeit zum Essen verabreden … das kenne ich nur von meinem Großvater … da muss das Essen auch täglich zur gleichen Stunde auf dem Tisch stehen … Punkt zwölf.“
„Ach so … ist mir gar nicht aufgefallen“, bedient sich Cornelia Nicolai bewusst einer kleinen Notlüge. Sie hat sich selbst dabei ertappt, wie sie um die Mittagszeit öfter auf die Uhr schaut - immer in der Hoffnung, dass sie den Student wieder zu Gesicht bekommt. Obwohl sich beide Freundinnen sonst eine Menge erzählen, schweigt sie dieses Mal über ihre eigenen heimlichen Wahrnehmungen. Das kleine Zwischenspiel ist rasch vorbei. Leider gelingt es Cornelia Nicolai trotz äußerst akribischer Zeitplanung nicht, diesen Studenten nochmals zu sehen. Und dann gibt es kein Atemholen mehr. Der Studienabschluss und die bevorstehende Hochzeit mit Bernd bestimmen jetzt ihren Tages- und Wochenablauf. Da ist kein Platz für romantische Träumereien oder bestimmte Wunschvorstellungen nach dem Motto: Was wäre wenn?
Mit einem Blick auf die Uhr wird sie jäh aus den Gedanken an die Studienzeit herausgerissen und sagt leise vor sich hin: „Verdammt, jetzt muss ich mich aber beeilen.“ Hastig trinkt sie ihren Kaffee aus, ergreift ihre Handtasche und den Aktenkoffer und geht schnellen Schrittes die Treppe hinunter zum Parkplatz.
Der Werbespruch am Heckfenster ihres Autos - „einfach riesig, der Kleine“ - findet sie immer wieder witzig. Sie denkt: Wirklich einer der wenigen Slogans, die man auch im Kopf behält - so etwas Ähnliches müsste mir für meinen „Schlehenzauber“ einfallen. Mit gekonntem Schwung landen Tasche und Aktenkoffer auf dem Beifahrersitz und sie nimmt hinter dem Lenkrad Platz. Beim Schuhwechsel fällt ihr Blick auf die Ablage unterm Armaturenbrett und die Innentaschen der Türen.
„Könnten mal wieder eine Aufräumaktion vertragen“, spricht sie leise vor sich hin.
Sie ist sich jedoch sicher, dass es wieder einmal nur eine nicht erfüllte Absicht bleiben wird. Bevor sie startet kommt ihr flüchtig der Gedanke, ob der junge Mann wohl mit bei der Besprechung dabei sein wird? Damit meint sie Tim Sander, einen Angestellten der Marina. Wie es der Zufall im Leben so manches Mal will - es ist der unbekannte Student aus der Mensa.
Das Wiedersehen
Erstmals hat Cornelia Nicolai ihn an der Anlegestelle im Hafen der Marina wiedergesehen. Eigentlich hat sie nur Appetit auf einen Eisbecher - einen „After Eight.“ Den gibt es in solch einer hervorragenden Qualität nur im Cafe am Hafen, welches zur Marina gehört. Es ist der einzige Grund, weshalb sie den zwanzig Minuten dauernden Fußmarsch von ihrer Wohnung zum Hafen in Kauf nimmt. In Vorfreude auf die herrliche Erfrischung mit Pfefferminzlikör und den Schokoladenstückchen schlendert sie ungezwungen auf der Kaimauer entlang. Fast wie angewurzelt bleibt sie plötzlich stehen. Schon von weitem ist ein junger Mann mit kahl geschorenem Kopf und schwarzer Kleidung zu erkennen. Da ist er ja wieder - hätte sie fast laut gerufen. Auf dem Anlegesteg steht Tim Sander. Er lehnt lässig an den Elektroaufladekasten für Bordbatterien und unterhält sich angeregt mit einer ihr unbekannten männlichen Person. Entsprechend der Gesten zu den großen Yachten im Hafen scheint es sich um einen Bootsbesitzer oder einen Charterkunden der Marina zu handeln. Die erste freudige Verblüffung ist vorbei und sie nähert sich langsam dem Bootssteg. Jetzt ist er deutlich zu erkennen. Sein Gesicht und die nackten Arme haben eine wunderbare bronzene Färbung. Man sieht ihm an, dass er sich viel an der frischen Luft bewegt. Mit dem Goldkettchen um den Hals, dem schwarzen T-Shirt und den schwarzen Shorts ist er eine interessante Erscheinung. Lässig schnippt er die Zigarettenkippe