Erben der Macht. Christine Stark. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Stark
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742777645
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raubte ihr die Worte.

      „Wie ist dein Name?“, fragte er noch einmal. Seine Finger glitten über ihre Wange, sein Daumen strich über ihren Mund. Maya musste schlucken.

      „Maya“, brachte sie schließlich hervor.

      „Maya“, wiederholte er „Ich bin Sebastian.“

      Dann packte seine Hand sie fest im Nacken und sein heißer Atem strich über ihre Kehle, als er begann sie auszuziehen.

      Der Unterschied könnte wirklich nicht größer sein. Sebastian betrachtete die schlafende Frau in seinem Bett. Maya hatte sich in das weiße Laken gewickelt. Nur ihre Schultern, ihr Kopf und die dunklen Haare waren zu sehen. Aber was gestern noch erdfarben und glatt über ihre Schultern geflossen war, lag jetzt wirr und zerzaust auf dem Kissen. Ihr Gesicht sah so friedlich aus. Ihre Lippen, voll und weich, hatten noch vor kurzem hart und verzweifelt nach den seinen gesucht und Sebastian spürte die Stelle an der Schulter, an der sie ihn gebissen hatte. Vorsichtig berührte er die beiden roten Halbmonde auf seiner Haut. Er versuchte, kein Geräusch zu machen, um sie nicht zu wecken. Zu faszinierend war die völlige Veränderung dieser Frau. Ihre Finger hatten sich in seinen Rücken gekrallt, ihre Beine seine Hüften an den ihren gehalten. Und nun lag Maya so entspannt vor ihm, als wäre ihre Wut vollständig verraucht. Manche Menschen, so dachte er, nahmen ihre Probleme mit in den Schlaf, bissen sich auf die Lippen oder legten die Stirn in Falten. Aber ihr Gesicht war so glatt und ruhig, als wären die Probleme der Welt weit entfernt oder existierten einfach nicht.

      Es war so leicht gewesen, sie in seine Wohnung zu bekommen. Nicht, dass es jemals wirklich schwer gewesen wäre, stellte er fest. Aber beinahe hatte er das Gefühl, sie hätte ihn abgeschleppt und nicht umgekehrt.

      Selbstverständlich wusste er, dass es Zeit war, sie zu wecken. Die Frauen, die in seine Wohnung kamen, blieben nie zum Frühstück. Irgendwann einmal würde er eine Frau haben, die er heiraten würde. Eine Frau, die seiner Familie und seinen Verbindungen von Nutzen sein würde. Sie würden Kinder haben und die Familie erhalten. Die Familie und das Geschäft. Doch noch war es nicht soweit. Und bis dahin war es nicht sinnvoll sich an eine Frau zu binden. Gefühle zu investieren lohnte sich nicht für ihn. Und doch bewegte er sich keinen Millimeter. Er unternahm nichts, um ihren Schlaf zu stören. Vielleicht weil er ahnte, dass sie schneller verschwunden sein würde, als er sie aus dem Appartement bitten konnte. Sie war betrunken gewesen, erinnerte er sich. Aber nicht so sehr, um die Kontrolle zu verlieren. Sie hatte ihn benutzen wollen und hatte es getan. Maya war wütend gewesen und hart. So, als würde es sich auch für sie nicht lohnen, Gefühle zu investieren.

      Sebastian schloss die Augen. Hier lag er nun und dachte über Gefühle nach. Wie erbärmlich. Er musste sie wecken, sich an die Regeln des One-Night-Stands halten. Keine Gefühle, kein Frühstück, keine Telefonnummern. Entschlossen drehte er sich zu Maya und gönnte sich noch einen letzten Blick auf ihr friedliches Gesicht. Maya musste seine Bewegung gespürt haben, denn sie öffnete die Augen und das grün ihrer Iris schien verschwommen und weich. Zum Teufel mit den Regeln!

      „Zeit zu verschwinden“, murmelte sie und begann sich aus dem Laken zu befreien.

      Sebastians Stimme klang seltsam heiser in seinen Ohren. „Nein, bitte bleib.“

      Maya hielt mitten in der Bewegung inne. Einige Sekunden verstrichen. Dann lächelte sie. Ganz sanft drückte Sebastian sie zurück in die Kissen, beugte sich über sie und küsste dieses Lächeln.

      1

      Du sitzt hier doch genauso fest wie ich

      5 Jahre später

      Die Sperrstunde war bereits verstrichen und Maya wünschte sich, die drei verbliebenen Gäste würden endlich zahlen und ihr Café verlassen. Nicht nur, weil es spät war. Es lag auch an dem Thema, um das es sich an diesem Tisch bereits den ganzen Abend drehte. Maya konnte sich keinen Ärger leisten. Und in Zeiten wie diesen war es so einfach, sich Ärger einzuhandeln. Da reichte es schon, wenn irgendjemand ausplauderte, dass man Gäste in seinem Laden duldete, die die falschen Gedanken dachten. Die Mocovic–Brüder hatten schon Leute für Weniger einsperren oder schlicht verschwinden lassen. Wie immer bei dem Namen Mocovic stellten sich sämtliche Härchen an Mayas Körper auf. Wenn sie sich vor ein paar Jahren dem Willen ihrer Familie gebeugt hätte, wäre sie jetzt auch Teil der Mocovics. Wäre dann alles anders gekommen? Das fragte sie sich oft. Aber die Tatsache, dass die Dinge sich so entwickelt hatten, konnte nicht alleine an ihrer Entscheidung gelegen haben. Zu viel hatte sich verändert, seit ihre Familie – die Familie Stratov – den Kampf um die Vorherrschaft in der Stadt Oziljak verloren hatte.

      Maya hatte sich geweigert, Victor, den jüngeren der beiden Mocovic-Brüder zu heiraten. Ohne ihn vorher auch nur ein einziges Mal gesehen zu haben. Jetzt wusste sie natürlich, wer Viktor Mocovic war. Sein Bild war ständig in allen Zeitungen. Schließlich war er der neue Patron der Stadt. Ein junger Patron, ein brutaler, gnadenloser Patron. Anders, als es zuvor ihr Vater gewesen war.

      Die Stratovs hatten ihr Geld mit einem undurchschaubaren Geflecht von Geschäften gemacht, hatten klug taktiert, Bündnisse geschlossen und waren zur ersten Familie Oziljaks aufgestiegen. Mit mehr Einfluss, als es zuvor jemals eine Unternehmerdynastie gehabt hatte. Alle hatten nach der Pfeife ihres Vaters getanzt. Politik, Justiz, Medien. Er hatte sie alle bezahlt und die Stadt als „guter Patron“ quasi regiert. »Mafiöse Strukturen« hatten einige Kritiker angemerkt. Sicher. Denn Markus Stratov hatte im Schatten die Fäden gezogen. Die Menschen hatten lange nicht gemerkt, wer eigentlich über sie bestimmte. Doch als sie es begriffen hatten, hatte sich niemand mehr gewehrt. Zu gut war es vielen seither gegangen. Denn die Gewinne ihres Vaters waren gestiegen. Das hatte den Menschen in Oziljak Arbeit verschafft und niemand konnte oder wollte sich gegen ein System wehren, das Arbeitsplätze schaffte - selbst, wenn es undemokratisch war. Die Zeitungen hatten von rosigen Zeiten berichtet. Die nicht so strahlenden Seiten seiner Regentschaft hatte er seinem neuen Freund Gabriel Mocovic und dessen Familie überlassen. Sie hatten die schlimmen Ecken gesäubert, hatten für Mayas Vater aufgeräumt. Die Männer fürs Grobe. Eine eigene Schutztruppe - zusätzlich zur gekauften Polizei. Doch Gabriel Mocovic war nicht dumm gewesen. Er hatte gewittert, dass bei Mayas Vater mehr zu holen war, als nur Geld. Er hatte Einfluss haben wollen. Und ihr Vater war bereit gewesen - oder auch gezwungen - Mocovic mehr zu geben. Seine jüngere Tochter für Mocovics jüngeren Sohn. Als Maya sich geweigert hatte, waren die Dinge in Schieflage geraten.

      Aber wie hätte Maya sich auch nicht weigern können? Schließlich hatte sie nicht die geringste Ahnung gehabt, wie die Dinge in Oziljak liefen. Vier Jahre war sie im Ausland gewesen, hatte studiert, sich ihrer Kunst gewidmet und nicht einen Moment an ihre Familie gedacht. Es war ihr schon immer suspekt gewesen, Mitglied einer so einflussreichen Dynastie zu sein. In Ihrer Kindheit hatte ihr Vater sie und ihre Geschwister benutzt, um seinem Aufstieg ein menschliches, weiches Gesicht zu verleihen. Ständig waren Michael, Mia und Maya für die Gazetten der Stadt abgelichtet worden. Mia als „die Große“, Michael als „der Nachfolger“ und Maya als Nesthäkchen. Es war ihr unangenehm gewesen, fotografiert zu werden. Dann, als Maya vierzehn Jahre alt war, war ihre Mutter an Krebs gestorben und Maya hatte begonnen, sich abzukapseln. Sie hatte gegen den Drill ihres Vaters rebelliert und bei der ersten Gelegenheit Reißaus genommen. Ihr Vater hatte ihr, scheinbar kommentarlos, ihren Willen gelassen. Sie hatte im Ausland eine Kunstschule besuchen dürfen, war nicht zu Familienfesten zitiert worden und fortan auch nicht mehr Gegenstand der Klatschpresse. Die Tatsache, dass diese Freiheiten ihren Preis haben würden, und dass ihr Vater diesen Preis einfordern würde, hatte sie verdrängt. Ahnungslos war sie zurückgekommen. Und war aus allen Wolken gefallen, als ihr Vater ihr seine Pläne erklärte.

      „Ich brauche dich. Du wirst das für die Familie tun!“, hatte er gefordert. Maya konnte sich mühelos ins Gedächtnis rufen, wie ihr Vater in der Bibliothek des riesigen Stratov-Anwesens vor ihr gestanden hatte. Unnachgiebig und autoritär. Dabei war er nicht einmal sehr groß oder sehr stark gewesen. Seine Haltung hatte es ausgemacht. Und sein messerscharfer Verstand. Solchen Menschen widersprach man nicht.

      „Ich weiß nicht, was du hast“, hatte es ihr Bruder Michael versucht. Um einiges sanfter als ihr Vater.