Sofort wandte er sich ab. Er durfte es nicht hier tun. Er durfte es einfach nicht.
„Sir?“
Er hörte die Frage zwar, reagierte jedoch nicht sofort.
„Ist alles in Ordnung mit ihnen?“
Er hob seinen Kopf, konnte in die besorgten Augen eines wissenschaftlichen Offiziers sehen, und nickte dann. „Ich bin Okay!“ Er atmete einmal tief durch, bekam seinen Kopf dadurch wieder frei. „Was gibt es?“
„Sir, ich habe hier die letzten meteorologischen Auswertungen vorliegen. Ich denke, sie sollten sich das einmal anschauen!“ Der Offizier deutete ihm an, ihm in den angrenzenden Raum zu folgen.
Vollgepackt mit Elektronik befand sich dort auch die Luft- und Sonarüberwachungs- Einheit.
Als beide Männer eintraten, wurden sie von einem schmächtigen Mann mit zerzaustem, schlohweißem Haar freundlich begrüßt, das ihn deutlich älter erscheinen ließ, als er es mit seinen achtunddreißig Jahren tatsächlich war.
„Hallo Jorik!“ sagte er mit einem traurigen Lächeln und nickte ihm zu.
„Hallo Shamos!“ Auch er lächelte kurz. „Ich habe nicht viel Zeit, alter Freund. Also, was hast du für mich?“
„Ja, natürlich, das verstehe ich!“ Shamos nickte erneut. „Aber es ist wichtig. Wirklich wichtig!“ Er reichte ihm den Computerausdruck mit dem Ergebnis einer meteorologischen Untersuchung.
„Ich bin kein Wissenschaftler, Shamos. Sag mir, was da steht!“ wehrte Jorik sofort ab.
„Ähm...!“ Shamos atmete einmal tief durch. „Wie du weißt, untersuchen wir ständig den gesamten Planeten im Hinblick auf Veränderungen, die durch den Krieg hervorgerufen werden!“
„Ich weiß!“ Jorik nickte. „Du liegst uns schon lange mit der Möglichkeit in den Ohren, dass wir uns auf einer Strasse ohne Wiederkehr befinden!“
Shamos schaute Jorik einen Moment stumm an, dann verdunkelte sich sein Gesichtsausdruck zusehends. „Die Möglichkeit ist zur Gewissheit geworden!“
„Was?“ stieß Jorik geschockt hervor.
„In den letzten Jahren wurden hier Waffen eingesetzt, die teilweise extreme chemische und biologische Kampfstoffe beinhalteten. Und die Zerstörung der Atmosphärenwandler war kein Erfolg für uns, sondern hat den Vergiftungsprozess der Luftschichten noch beschleunigt! Das musste unweigerlich zu einer Reaktion der Natur führen!“ Shamos nahm eine Blechschale von einem Tisch neben ihm und reichte sie Jorik.
„Was ist das?“
„Die Reaktion der Natur!“
„Was ist das?“ fragte Jorik noch einmal, denn er konnte diese stinkende, graue, faulige Masse nicht einordnen.
„Kannst du dich noch an die weitläufigen Gemüsefelder südlich von Ara Bandiks erinnern, in denen wir als Kinder gern gespielt haben?“
„Ja, das kann ich allerdings. Und ich würde vieles darum geben, noch einmal diese herrlichen Karotten essen zu dürfen!“
„Bitte schön“ Shamos deutete auf die Blechschale. „Bedien dich!“
Jorik schaute ihn verwirrt an. „Aber..?“
„Doch, Jorik, das ist möglich. Die Natur hat reagiert. All das Gift, das wir in die Atmosphäre gebracht haben, es kommt wieder zu uns zurück. Es ist der Regen, Jorik. Hier steht es!“ Er deutete auf den Bericht. „Kein sauberes klares Wasser, sondern vergifteter, tödlicher Regen! Und er fällt überall. Auf dem ganzen Planeten!“
Jorik schaute Shamos entgeistert an, sah dann die vergifteten Karotten und dachte sofort an die Kinder, die in dem Raum gegenüber saßen. „Wie lange noch, bis...?“
„Bis alle Nahrungsmittel vernichtet sind?“
„Ja“
„Ich weiß nicht. Aber es wird geschehen, Jorik. Es ist nicht mehr aufzuhalten!“
Jorik schaute seinen Freund noch für eine Sekunde lang ausdruckslos an, dann nickte er, senkte seinen Blick, blieb so einige Sekunden reglos stehen.
„Doch das ist noch nicht das Schlimmste!“ meinte Shamos dann.
Jorik hob seinen Blick, zog seine Augenbrauen zusammen und starrte seinen Freund ungläubig an. „Was?“
„Heißes Plasma, Jorik!“ erwiderte Shamos. „Erinnerst du dich an den Versuch, die erste Anomalie über Ara Bandiks mit heißem Plasma zu vernichten?“
„Ja!“ gab Jorik säuerlich zurück. „Es war ein Fiasko!“
Shamos nickte. „Ein Fiasko mit ungeahnten, aber schrecklichen Folgen. Diese teuflische Substanz hat nie aufgehört zu arbeiten und sich unaufhörlich immer weiter in die Tiefe gefressen. Und als wir vor einem Jahr die Atmosphärenwandler im Stadtgebiet zerstört haben, gelangte das Gift in ihnen auch in den Krater, in dem sich das heiße Plasma befindet. Das führte, wie wir alle noch zu gut wissen, zu einer verheerenden Explosion im Planeteninneren. Doch was wir nicht wussten, war, dass sich beide Stoffe dabei miteinander verbunden haben und etwas Neuartiges daraus entstanden ist, was sich wesentlich schneller in die Tiefe frisst!“
„Und?“
„Die Art und Weise, wie sich diese unbekannte Substanz durch unseren Planeten frisst, dabei alle Schichten jeglicher Art und Beschaffenheit durchdringt und zerstört, lässt darauf schließen, dass es ihm gelingen wird, bis in den Kern vorzudringen...!“ Er wartete, bis Jorik ihn ansah, dann fügte er hinzu. „...und ihn zu zerstören!“
„Aber, das ist ja...!“
„Ja!“ stimmte Shamos zu. „Das ist das Ende aller Tage. Die Apokalypse, die globale Vernichtung. Das Ende der Menschheit und das Ende Santaras. Die Folgen werden den gesamten Planeten zerstören und ihn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vollkommen aus dem Universum fegen, sodass nichts mehr zurückbleiben wird, außer Staubpartikel!“
Jorik starrte seinen Freund zutiefst entsetzt an. „Wie...?“ Er musste schlucken. „...lange noch?“
„Bei der jetzigen Geschwindigkeit der Substanz in dem Krater...!" Shamos Blick wurde säuerlich, während er tief durchatmete und dann in den Achseln zuckte. "Maximal ein Jahr!“
Für einige schmerzhafte, quälende Momente wurde es sehr still um sie herum.
„Ich...!“ begann Jorik stockend, atmete hörbar ein, hob dann seinen Blick wieder und atmete aus. „Ich danke dir Shamos, aber ich muss jetzt zu einer Besprechung“ Er nickte seinem Freund zu, drehte sich um und ging aus dem Raum.
Shamos sah ihm nach, konnte erahnen, was in ihm vorging und wollte um nichts in der Welt in diesem Moment mit diesem Mann tauschen.
¤
Jorik konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sein Kopf war wie leergefegt.
Wie in Trance ging er langsam den Gang entlang Richtung Besprechungsraum.
Alles, was er vor seinen Augen sah, waren noch immer diese Kinder, die er gesehen hatte.
So nahm er nicht wahr, dass er an der provisorisch eingerichteten Krankenstation vorbeikam, in der gerade große Aufregung herrschte.
Auf einem Behandlungstisch lag eine junge Frau, schweißnass, stöhnend, schreiend.
Um sie herum eine Schwester und ein Pfleger.
Am Fußende des Tisches zwischen den gespreizten Beinen der jungen Frau die Ärztin.
„Pressen!“ rief sie. „Kommen sie schon. Nur noch ein bisschen. Ich kann den Kopf schon sehen. Pressen sie!“
Die junge Frau fluchte etwas, was am Ende gar nicht so böse gemeint war, sondern lediglich dazu diente, den Schmerz zu ertragen.Dann spannte sie sich an und presste,