Tag und Nacht geht die Reise, erst spät in der Nacht im Licht der Vollen Mondin wird Halt gemacht.
Nicht fern vom Feuerschein des Lagers locken die Geister „Kel el suf“. Geschichten werden am Feuer erzählt.
Wenn kein Sturm weht, orientiert sich der Führer an den Sternen, bei Tag aber an der Ausrichtung der Dünen.
Weiter geht die Reise nach Nordosten durch die helle Weite aus Sand, die am Tage so leblos scheint, doch nicht bei Nacht.
Viele Liter auf einmal trinken die Dromedare am Brunnen vor der Durchquerung auf dem alten ausgetretenen Pfad. Alle vierzehn Tage nur brauchen sie Salz, das die Salzmenschen durch Verdunsten des Wassers gewinnen.
Bewusstlos liegt dort eine Menschengestalt im Sand.
Sie heben sie auf, hüllen sie in feuchte Decken ein und geben ihr ein wenig Wasser, Salz und Datteln. So verdurstet sie nicht, sondern überlebt.
Jetzt bist du ein wenig anders als zuvor und doch im Innern unabänderlich noch immer die, die du warst: Massai- und Leopardenfrau, jetzt bist du eine von denen geworden, die nur einen GOTT kennen und das ist ALLAH.
Nein, noch hast du das große Ziel deiner Reise im Norden des Alten Kontinents nicht erreichst. Aber die Großen Pyramiden von Giseh sind nicht mehr allzu fern.
Träumend sitzt du - wenige Augenblicke nur oder Ewigkeiten? - mit geschlossenen Augen, wie es Leoparden im Liegen tun, jetzt am Mittag dieses heißen Wüstentages in deinem in Tücher gehüllten Menschenkörper im Schatten. Nicht vom Wasser, nicht von Monstren, nicht von der Liebe, sondern von der Wüste träumst du.
Die Karawane ruht im Schatten der Dattelpalmen - die hier so gut gedeihen. Sie sind es, die das salzige Wasser am besten vertragen, welches sie mit ihren Wurzeln aus der Tiefe holen. Wasser inmitten der Wüste!
Oase, das ist Erholung für die, die hier rasten dürfen. Denn Wasser ist Leben. Du ruhst dich aus, wie es auch die anderen tun, die dich fanden, die Imuhar - verschleierte Männer und unverschleierten Frauen, Moslems der besonderen Art. Einst brachten sie aus Asien die Dromedare mit. Viel Lärm machen diese jetzt hier am Wasser, durstig von der langen Reise. Sie trinken viel, füllen ihre Fettpolsterreserven wieder auf.
Ein Chamäleon sitzt dort nah bei dir auf einem Ast, schleudert seine Zunge heraus und fängt die Fliege, die nun nie mehr auf dem Fell des Dromedars, auf deiner Haut und nicht im Radnetz der Spinne landen kann, einem Netz gleich dem, das einst den Propheten Mohammed errettete, wie dir deine Herrin erzählte. Denn damals spann es eine Spinne über den Höhleneingang, so dass seine Verfolger ihn nicht im Innern suchten, wo er sich verborgen hatte. Ein Netz wie das, das in der Sure Al Ankabat für die Schwäche der Götzen und alten Götter steht, die nichts sind neben dem einen GOTT – das ist ALLAH.
Du siehst Bilder aus alten Zeiten: das Land um dich herum, wie es noch zur Römerzeit war, während der Herrschaft der Pharaonen und lange Zeit davor. Damals war hier nirgendwo Wüste. Nach und nach wuchs sie und wächst noch immer: die eine große Wüste.
Dann siehst du aus der Vogelperspektive all die anderen Wüsten dieser Erde, die es da gibt zu deiner Zeit in deiner Welt. Menschennamen blitzen auf, während du sie alle träumend überfliegst und eine Stimme sie dir flüsternd erklärt, die in der Nähe: Arabische Wüste mit Mekka und der Kaaba, die im Süden: Kalahari und Namib, die weit im Osten: Takla-Makan, Tharr und Gobi und die auf den anderen Kontinenten: Atacama, Sonora und Victoria. Dann siehst du wüste Oberflächen unseres Sonnensystems, wie sie heute sind und wie sie waren: Mondin und Mars.
„Einst war die Mondin ein Teil der Erde, dann schlug sie etwas heraus. Einst durchströmten gewaltige Wassermassen die Täler des Mars, wo heute nur Dünen aus rotem Sand sind, Staubstürme wüten und die feinen Körner aus Sand die Oberfläche der Felsen polieren. Viele Wüsten siehst du im Sonnensystem: Planeten und Monde. Wie viele es wohl in diesem Universum geben mag? Die echten und die erträumten. Einen Wüstenplaneten erträumte sich einst ein Mensch irgendwo Dort Oben und nannte ihn Dune. Trocken sind die Wüsten alle, wüst (!) und leer bei Tag. Denn Wüste ist die Welt, wo selten Regen fällt. Heute wachsen die Wüsten der Erde. Bar bela mar - Meer ohne Wasser.“ All dies spricht Er Dort Oben in dir.
Du als Frau erfühlst die Wüsten mit deinem ganzen Körper. Deine Füße waten im Sand, der am Tag so brennt und kühlt bei Nacht. Deine Finger betasten die Körner. Dein Körper legt sich hinein und Sand dringt ein.
Wüsten aus Stein und aus Sand, heiße und kalte Wüsten. Du bist in allen, sie alle sind in dir. Im Zeitraffer wachsen sie und verschwinden auch schon wieder, werden aus dir geboren, leben, existieren, sterben, werden wiedergeboren. So ergeht es den Wüsten, so ergeht es dem Wald, so ergeht es dem Meer. Wo einst Wüste war, ist heute blühendes Land. Wo es grünte, hat Sand nun alles bedeckt, ist Stein geblieben, während die Trockenzeit Jahrtausende währt.
Eine Wüste aber, die im Südwesten dieses großen alten Kontinents mit Namen Afrika liegt, diese eine Wüste, die du nie betreten hast und niemals betreten wirst, außer in deinen Träumen. ER aber hat es getan, ER weilte einst in ihr, als sie noch nicht den Namen Namib trug – das ist gewiss. Sie ist ganz anders als die, in der du nun bist. Denn sie ist die älteste der Erde.
„Seit 80 Millionen Jahren gibt es sie. Also war sie schon da, bevor ER/ES die Erde erreichte“, flüstert die Stimme in dir. „Uralt ist sie also verglichen mit all den anderen heutigen Wüsten der Erde, also hatten die wenigen Bewohner Zeit genug sich anzupassen.“
Ach, da siehst du ja zwei kleine Wesen miteinander kämpfen: die Spinne läuft nicht davon, sondern rollt mit an den Körper angelegten und eingefalteten Beinen auf der Flucht vor der Wespe die Dünen hinab.
Du schlummerst ein wenig, schläfst traumlos oder erinnerst dich beim Erwachen am Abend nicht mehr daran.
Jetzt bricht die Karawane auf. Deine Herrin ruft nach dir.
Ein letztes Mal bückst du dich am Wasserrand, schaust hinein und wunderst dich.
Dort spiegeln sich Wolken im Wasser. Am Ufer steht ER.
Du springst zurück vor Schreck.
ER beugt sich nieder, der von vollkommener Schwärze ist.
Du atmest wieder tiefer, beruhigt, denn jetzt weißt du, dass Jahrtausende vergangen sind, seit dieses Bild entstand. Und du weißt: dies alles geschah an anderem Ort. Denn hier über der Wüste ist der Himmel wolkenlos. Dieses Wasser scheint ein Spiegel nicht nur von Raum, sondern auch von Zeit zu sein. Oder aber etwas aus mir spiegelte sich darin, fällt dir noch ein, während du schon gehst und niemals wieder in deinem langen Leben an diesen einen Ort zurückkehren wirst.
Du drehst dem Wasser den Rücken zu, jetzt, wo die Schläuche mit klarem Nass gefüllt sind. Es ist Zeit zum Aufbruch. Gedanken und Bilder rasen noch immer in dir, während du zu deiner Herrin zurückkehrst. Die Karawane bricht wieder auf. Du gehst mit den Dromedaren, immer weiter.
In dir erwachen Bilder von einem fruchtbaren Land.
Grünes Land, das ist die Zeit vor der Wüstenzeit.
Sechep (Sphinx) schaut zum Sternbild des Löwen empor.
Dann kommt die große Flut aus dem Meer, denn die Pole sind mit einem Ruck gewandert, das Eis ist geschmolzen und Atlantis ist unter dem Eis der Antarktis versunken.
Die Wüste wächst.
Du siehst in dir die Sanddünen im Rub al-Khali, dem Leeren Viertel. Nichts als Sand und Hitze bei Tag und Kälte in der Nacht. Hoch ragen die Dünen auf: rosa Sand, weißer Sand, Treibsand. Und da ist das Lachen des Dschinns, der den Reisenden quält, wenn Durst und Angst ihm seine Sinne verwirren.
Dünen aller Art siehst du in einem Augenblick in dir. Sie alle bestehen aus Sand. Wie viele Milliarden Körner mag eine Düne enthalten, die Tausende von Tonnen wiegt?
Sand ist das Endprodukt. Einst war es Gestein. Nun ist es so klein