Wüsten-Berges-Himmels-Weiten. Rainar Nitzsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainar Nitzsche
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738034714
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näher betrachten.

      Schwebe ich also hin. Schon bin ich nahe, bücke mich, nähere mich mit meinen Augen an und – versinke nicht darin, das habe ich doch schon erlebt, auch wenn es damals eine Blüte war, sondern schwebe über der weiten, in allen Farben glühenden Ebene.

      Und etwas quillt dort unten aus der Schwärze des einen Kiesels, steigt aus seinem Haus, seinen Träumen auf, etwas, das mich von dort unten nach oben vertrieb, nimmt Gestalt an.

      Vor meinem geistigen Auge wird es zu einem spielenden Kind, einem kleinen, nackten Menschenkind.

      Es ist noch ein Kind, doch hat es ein Geschlecht, also ist es kein Es und auch kein Er, sondern eine Sie.

      Sie schaut mich lächelnd an. Ihre strahlend blauen Kinderaugen zeigen mir die Kieselwelt. Stolz blitzt aus ihnen, die gewaltig gewachsen sind, nun den Himmel berühren und tief in meine Seele schauen.

      „Mein“, sagen die Augen, und eine leise flüsternde Kinderstimme in mir singt die Worte mit heller, hoher Kinderstimme: „Meine Welt. Schau diese stille leere Welt. Sie ist mein. Alles in ihr gehört mir, denn es ist aus meinen Träumen geboren.“

      Ein Wort nur aus ihrem Geist genügt, hier in ihrem Reich, um meiner Seele Form zu geben.

      Ich sehe an mir herab: Jetzt bin ich ein nackter Menschenjunge, so klein, so groß wie sie.

      „Komm!“, spricht sie und nimmt mich bei der Hand. „Komm mit mir und staune!“

      So schreiten wir gemeinsam durch eine schweigende öde Welt aus grauen Steinen, die nur gelegentlich in allen Farben aufleuchten.

      „Leben!“, singen unsere Stimmen in die Stille. Klänge werden zu Wassertropfen. Und Leben beginnt zu pulsieren, sprießt zwischen den Kieselsteinen empor. Blüten öffnen sich. Und dann entsteht und wächst in unseren Ohren ein Brummen, Summen – Tausende von Bienen, Hummeln, Wespen und Schwebfliegen. Falter taumeln von Blüte zu Blüte. Dieser Duft! Baldachin­spinnen beginnen ihre Fäden zu ziehen, warten bauchober unter ihren Netzdecken, Wespenspinnen weben ihre Stabilimente tragenden Radnetze zwischen den Gräsern, Krabbenspinnen lauern gut getarnt inmitten der Blütenpracht.

      Staunend schreiten wir durch unsere leuchtende Welt.

      Die Wüste ist gegangen.

      Irgendwann winkst du mir zum Abschied zu, drehst dich rum und gehst.

      Ich wache nicht auf. Jetzt ist Leere in mir. Leere ist Heilung. Stille. Sein. Ich bin und träume nicht, jetzt nicht.

      Ich wache auf. Es ist dunkel. Ich bin müde, schließe meine Augen und ...

      „Dschinn!“, so lautete das Wort, das eine Stimme im Traum sprach, aus dem ich gerade erwachte.

      Wer war es, der da sprach? Er Dort Oben?

      Und wer war er, zu dem die Stimme sprach, den ich jetzt in meinem Traum sehe?

      War ich es selbst irgendwo und irgendwann?

      Dies sind die Bilder, die mir noch blieben: Er, dessen Gesicht ich nicht sehen kann, verharrt, steht still und zieht sein Schwert aus den sich auffaltenden Räumen. Er hält es in beiden Händen, hebt es empor, weit nach hinten über sein leuchtendes Haupt. So steht er still, bereit zum Schlag.

      Das Schwert dort oben über seinem Haupt beginnt zu glühen, wird weißes strahlendes Licht.

      So wird die vollmondhelle Nacht an diesem einen Wüstenort selbst für Menschenaugen zum Tag.

      Ich bin er. Also lautet der Name des Schwertes OM.

      Seine/meine Hände brennen, schmerzen. Ich sehe ihm/mir zu. Ich bin er und bin es doch nicht.

      Dampf steigt vom verschmorten Fleisch auf. Schwarz färben sich meine/seine Finger.

      Doch ich lasse nicht los, ich schlage zu, lasse OM mit aller Kraft niedersausen.

      Und der Schwarze Stein, der da so plötzlich wie aus dem nichts dicht vor mir erschien, zerbirst. Doch mit ihm zerspringt auch mein glühendes Schwert.

      Ein grün leuchtendes Wesen schießt schreiend aus seinem Gefängnis heraus in die nun wieder schwarze Nacht.

      Aha, habe ich es also befreit: nicht den Geist aus der Flasche, sondern den Dschinn aus dem Stein! Und da ich in der Wüste weile, ist es wohl ein Wüstengeist, auch Ghul genannt!? Der aber müsste eine Tiergestalt besitzen und ein Blutsauger oder Menschenesser sein.

      Das leuchtend grüne Wesen kehrt zurück, lässt sich auf den schwelenden, qualmenden Trümmern aus Stein und Schwert nieder. Es, das ein Gestaltwandler zu sein scheint - ich sehe Nebel, Esel, Kamel, Ziege und Mensch, winkt mir zu, der ich mich langsam erhebe, staunend meine schwarzen Hände schaue und schließlich ein grünes Wesen erst winken, dann voll Dankbarkeit lachend im Dunkel entschwinden sehe.

      Befreit aus dem Steingefängnis. Befreit aus dem Grab.

      Alles endet irgendwann, also auch meine Wüstentraumreise. Ich wache auf, öffne meine Augen und ... alles ist schwarz, wie es sein soll bei Nacht. Doch nirgendwo ist da die Volle Mondin, kein einziger Stern, geschweige denn ein Sternenmeer strahlt da am klaren Wüstenhimmel.

      Luft! Kann mich nicht bewegen. Krampfendes atmen, rasendes Herz.

      Ruhe bewahren. Langsam atmen, ein und aus und ein ... Erst einmal nachdenken. Ach ja, fällt mir ein, die Erde zog mich hinab in ihren Schoß.

      Aus der Erde steige ich wiedergeboren auf.

      Ich sehe es in mir - und es geschieht.

      Jetzt bin ich wieder auf der Erdoberfläche, liege auf dem Rücken im Sand. Es ist Nacht, eisig kalt hier in der Wüste. Strahlend hell erscheint mir die Welt für einen Augenblick: Mondin und Sterne. Wie wunderbar für den, der aus der Grabesschwärze kommt.

      Ein wenig Wärme wäre jetzt ganz nützlich, denke ich. Und schon wächst mir ein Fell.

      Ich stehe auf und drehe mich einmal im Kreis und sehe nun auch - blass und fern - sind meine Augen alt und schwach geworden? - meinen Leuchtenden Pfad weit nach Osten über flaches Land und Hügel hinweg und dann sich gegen Südwesten hin in Höchste Berge emporwinden.

      Weiter geht’s. Weiter gehe ich nachts und ruhe am Tag.

      Oder sollte ich dazu übergehen, meinen Körper gegen einen anderen einzuwechseln, zwei Körper alternierend zu tragen: einen für die Nacht, einen anderen für den Tag, um doppelt so schnell voranzukommen? Was aber wäre dann mit dem fehlenden Schlaf? Und warum überhaupt sollte ich es tun? Es eilt doch nicht.

      „Wir sind doch hier nicht in Hollywood“, lacht die Stimme in mir.

      Ich weiß, ich werde mein Ziel erreichen. Denn ich sehe meinen Weg vor mir. Dort leuchtet er noch immer in der Nacht.

      Morgendämmern und schon ist Tag. Kein Sonnenbrillenschwarz mehr, diese Zeiten sind vorbei. Jetzt wähle ich mir für meine Haut die Farbe des Sandes. So färbt sie sich hell wie die Wüste, nicht um wie die Schlange getarnt zu sein, von der ich weiß, dass sie da lauert, deren herausschauende Augen ich aber nicht sehen kann, sondern um so viel Licht wie möglich zu reflektieren, um mich nur wenig aufzuheizen, um nicht zu viel zu schwitzen.

      Doch mittags brennt der Sonn wieder erbarmungslos herab.

      Jetzt muss ein anderer Körper her!

      In dieser Wüste überlebt kein Mensch, ob Weißer oder Mongole, ob mit brauner oder weißer Haut, kein Mensch und auch kein Magier.

      Was für ein Körper, von welchem Tier?

      Da gibt es doch Tiere, die ... Ja, Kamele. Trampeltier oder Dromedar, das ist hier die Frage. Und ich entscheide mich für das einhöckrige Evolutionsmodell, verwandle mich in ein hervorragend an Trockenheit und Hitze angepasstes Dromedar.

      Hier oben in Kopfeshöhe und auch noch rings um den Rumpf herum ist es nicht so heiß wie auf dem Wüstenboden. Nun gut, auch aufrecht gehende Menschen – ein Pluspunkt für den aufrechten