„Ich muss dir auch etwas sagen.“ Leyla sah ihn mit ihren klaren blauen Augen an. „Zuerst habe ich dich gehasst, weil du mich gezwungen hast, deine Geliebte zu werden. Dann war es mir egal, ich wollte bloß die Arbeit nicht verlieren, an die ich mich gewöhnt hatte. In der letzten Zeit aber fühle ich mich wohl mit dir, das spürst du zweifelsohne.“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Du weißt von all dem Unglück, das meine Familie getroffen hat. Wenn ich bei dir bin, vergesse ich wenigstens, dass alles den Bach runtergeht. Ich kann dich nicht dazu bringen, mich zu lieben, aber wollen wir nicht alles beim Alten belassen?“
„Nein, Leyla, ich möchte meine Frau nicht betrügen, ich will mein Familienleben nicht mit einer Lüge anfangen.“
„Aber mich hast du gezwungen …“
„Ich bin ein Mann und entscheide selbst, wann und mit wem ich mich wohlfühle. Deine Zeit ist vorbei und Schluss damit.“
Zum zwanzigsten Geburtstag ihres Sohnes fuhr Leyla in das dreißig Kilometer entfernte Gefängnis, um Grischa zu besuchen. Nachdem sie frühmorgens aufgestanden war und eine Tasche mit Geschenken gepackt hatte, fragte sie ihren Mann noch einmal:
„Willst du nicht mitkommen? Grischa ist doch auch dein Sohn.“
„Er ist nicht mehr mein Sohn. Er ist ein Verbrecher“, sagte Alexander und wandte sich ab.
Innerlich hohl nach dem Wiedersehen mit ihrem Kind, kam Leyla erst spät nach Hause. Das Haus empfing sie mit Dunkelheit und einer unheimlichen Stille.
„Alexander, bist du da?“ Sie rief einmal, dann noch einmal, bekam aber keine Antwort.
„Komisch, wohin konnte er so spät noch gehen?“, dachte die müde Frau, während sie die Tür zur Speisekammer öffnete, um ihre Tasche dort abzustellen. Als sie auf den Lichtschalter drückte, schrie sie vor Entsetzen auf: An einem an der Decke befestigten Haken hing der Körper ihres Mannes, der seine Offiziersuniform trug.
Unter den schwach schaukelnden Füßen in den auf Hochglanz polierten Schuhen lag Alexanders schwarz-weiße Dienstmütze mit dem schweren Emblem, die von seinem Kopf gefallen war.
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