Löwentatze. Albert Hurny, Mady L. Hurny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Hurny, Mady L. Hurny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738025286
Скачать книгу
Altar, ein Dutzend Andächtige auf den Knien beim Beten. Wir fielen natürlich auf, und der Pfarrer hat uns hinterher gefragt, wer wir wären und warum wir gekommen seien. Ich hab’s ihm erklärt, und da hat er den Kopf geschüttelt und gesagt, davon wüsste er nichts, aber unser Besuch freue ihn trotzdem - er hat uns kein Wort geglaubt.“

      Der Servant brachte ihr Frühstück.

      „Endlich“, murrte Giona, „mein Gott, hab ich einen Hunger. Das hat ja gedauert, als hätten sie es erst machen müssen.“

      „Werden sie wohl auch“, meinte Lilly Jane. „Wahrscheinlich haben sie nicht vermutet, dass noch jemand käme.“ Sie sah sich um. „Wir sind wirklich die Letzten.“

      „Das klingt, als fehlte dir was“, stichelte Giona mit vollem Munde.

      „Verschluck dich nicht ... ich wüsste nicht was...“

      „Na, das Augenspiel jeden Morgen ... er sieht her und wenn du aufsiehst, schaut er schnell weg. Ich spanne jedes Mal, ob er es wieder tut ... und tatsächlich ... warum wirst du rot?“

      „Unsinn...!“ Scheußlich, wenn man so leicht errötet. Sie hatte natürlich sofort gewusst, worauf Giona anspielte.

      „Wir sitzen uns gegenüber; soll er sich den Hals verrenken, bloß, um mich nicht ansehen zu müssen ...?“

      „Kein Unsinn“, beharrte Giona. „Ich bin doch nicht blind. Irgendwas an dir törnt ihn an, darauf könnte ich schwören.“

      „Du mit deiner verdorbenen Fantasie!“

      Dory, die inzwischen nach der zweiten Schale Haferbrei gelangt hatte, unterbrach ihr Geplänkel.

      „Sprecht ihr von dem Herrn aus Europa? Also, mir ist er ein Rätsel. Mein Gott, der Mann kommt von weit her, von einem anderen Kontinent, aus einem ganz anderen Milieu, er müsste sich doch selber sagen, dass alle neugierig sind, was über ihn, über seine Arbeit hier, seine Eindrücke, über das Leben bei ihm zu Hause, zu erfahren. Aber anscheinend kommt ihm das gar nicht in den Sinn. Er lebt wie ein Hotelgast zwischen uns: Fremder unter ihm gleichgültigen Fremden. Die Jungs laden ihn jedes Mal ein, wenn bei uns abends gehopst oder sonst was Nettes gemacht wird, doch er ... tut mir leid, ich habe zu arbeiten ... und Tür zu. Wie findet ihr das? Abgesehen davon, dass sein Verhalten viele vor den Kopf stößt - mich auch, so was gehört sich einfach nicht - er muss doch allmählich rapplig werden, wenn er sich ewig in seiner Bude vergräbt. Ich denke, es wird Zeit, was zu unternehmen, damit er endlich merkt, dass wir ihn für die Dauer seines Hierseins als einen der Unsrigen betrachten.“

      „Wie es aussieht, sind wir ihm nicht zünftig“, wandte Giona ein. „Er wirkt viel älter als wir, bestimmt bald dreißig und bildet selber Studenten aus ... dreißig, wenn ich mir das vorstelle ... ich käme mir vor wie meine eigene Mutter.“

      „Den Eindruck habe ich nicht. Ich meine, dass er überheblich und eingebildet ist ... eher dürfte er von Natur aus ungesellig sein ... oder er ist in festen Händen und ein ganz Braver. Stell euch vor, er schreibt und bekommt selber Briefe ... wie im Mittelalter. Ist das nicht ... romantisch? Denkbar auch, dass man ihn mit unserer Heimordnung so geschockt hat, dass er sich zu strengster Zurückhaltung verpflichtet fühlt. Diese Europäer, das weiß man doch, haben einen unheimlichen Horror davor, gegen jede Art von Vorschriften zu verstoßen. Doch was immer der Grund sein mag, wir müssen einen Weg finden, ihn aus der Reserve zu locken. Das Problem ist, dass er niemanden an sich heran lässt.“

      „Und wenn der Heimrat ihn offiziell aufforderte, einen Vortrag zu halten?“

      „Das habe ich auch schon erwogen. Aber da ist das Argument, mit dem er die Jungs immer abfrühstückt. Es sähe aus, als respektierten wir seine Arbeit nicht, nachdem er so oft und nachdrücklich auf sie verwiesen hat, wenn wir ihn trotzdem nötigten, sie unseretwegen zu unterbrechen. Besser wäre, wir könnten ihn irgendwie bewegen, selber die Initiative zu ergreifen.“

      „Wie wäre es, wenn wir ihm einen Paten verordneten, der ihm mit dem gebotenen Fingerspitzengefühl beibiegt, dass er hier auch Pflichten hat?“

      Dory überlegte und nickte dann.

      „Kein schlechter Gedanke ... ja, hört sich gut an. Es müsste jemand vom Heimrat sein, das gibt ihm eine gewisse Autorität ... vor allem aber jemand, bei dem unser Sorgenkind nicht gleich den Vorhang fallen lässt. Ich weiß auch schon, wen ... klar, Lily Jane, dich meine ich. Die morgendliche Äugelei prädestiniert dich doch geradezu zum Paten dieses schwierigen Herrn.“

      Lily Jane, die dem Hin und Her der beiden aufmerksam zugehört hatte, fühlte ihr Herz plötzlich stärker klopfen. Nicht, dass die ihr von Dory zugedachte Aufgabe sie geschreckt hätte, sie war natürlich ebenfalls neugierig auf den interessanten Mann und würde ihm gern mal den Puls fühlen, aber wie nähme er es auf? Und das Gerede ... zumindest sollten Dory und Giona nicht denken, dass sie drauf flöge.

      „Nein, nein“, sie hob abwehrend beide Hände. „Das schlage dir aus dem Kopf. So was liegt mir nicht. Ich wüsste auch gar nicht ... soll ich ihn im Lift abfangen? Pardon, Kumpel, wir müssen mal ernsthaft reden? Der würde mich schön abfahren lassen.“

      „Glaube ich nicht. Andere ja, dich nicht. Du musst dir einfach ein Herz fassen. Er wird dich schon nicht auffressen.“

      „Hätte ich dir gleich sagen können, dass sich Fräulein Zimperlich nicht traut“, stichelte Giona. „Ich wette, wenn er sie anspräche, kriegte sie einen roten Kopf und liefe davon.“

      Lily Jane tat, als ärgere sie sich, in Wirklichkeit kam ihr Gionas Spott ganz gelegen. Das durfte sie keinesfalls auf sich sitzen lassen.

      „Ich mich nicht trauen? Lächerlich! Wetten, dass er ...?“

      „Worum?“ Gionas Augen glänzten.

      „Um zwei Flaschen vom dem herrlichen Kribbelwasser! Dass ich es schaffe, ihn zum nächsten Ball mitzulotsen!“

      „Abgemacht!“ Giona streckte die Hand hin. „Dory schlägt durch!“

      Lily Jane hatte Mühe, ein zufriedenes Lächeln zu unterdrücken; die kindische Wette legitimierte sie, zu tun, was sie sich längst heimlich gewünscht hatte. Sie wusste noch nicht, wie sie es anfangen könnte, doch was sie auch unternähme, Dory und Giona mussten jetzt bestätigen, dass sie sie trotz heftigen Widerstands dazu genötigt hatten.

      Sicherheitshalber vergewisserte sie sich: „Ich hab also freie Hand? Und keiner knurrt mich an, wenn der Typ sauer reagiert?“

      „Hast du“, bestätigte Dory, „Hauptsache, du schaffst es. Wenn nicht, wird’s teuer ...“

      Als Adam eben begann, Kreise und Verbindungslinien zu beschriften, pochte jemand an seine Tür. Unwillig über die Störung, er glaubte, der Servant wolle irgendwelche Veranstaltungen anbieten, rief er ohne sich umzuwenden: „Schon in Ordnung, Mathilde, ich hab sowieso keine Zeit für deinen Tinnef ... zieh ab!“

      Dennoch rollte hinter ihm die Tür, er sperrte sie nur selten zu, und Lily Jane trat vorsichtig näher.

      „Du hast aber eine originelle Art, Gäste zu begrüßen. Störe ich?“

      Er fuhr herum und sprang auf. Das Mädchen, das Wanda ähnlich sah, stand vor ihm.

      „Nein ... nein ...“, log er verwirrt.

      Besuche auf den Zimmern waren verpönt, wusste sie das nicht?

      „Bitte, wenn du Platz nehmen möchtest, hier ....“, er wies auf einen kleinen Sessel neben seinem Arbeitstisch.

      „Danke, lohnt nicht“, wehrte sie ab, offenbar ebenso befangen wie er, „ich will ja nur ...“, und setzte sich nach kurzem Zögern doch, als er ihr den Sessel zurecht schob.

      Er sah sie erwartungsvoll an.

      „Na ja“, sie räusperte sich und errötete, was ihr reizend stand, „eigentlich, es gehört sich nicht und wenn es jemand merkt ..., aber du kommst abends nie nach unten ... ich dachte, das müsste ich dir persönlich sagen ... und wir ... ich möchte dich dazu einladen ... als