Löwentatze. Albert Hurny, Mady L. Hurny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Hurny, Mady L. Hurny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738025286
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...?“, fuhr Lily Jane zögerlich fort.

      „Ein Ball ...?“ Er fühlte sich überrumpelt, eher erschreckt als erfreut. Ich kann doch nicht einfach ... seit ich hier wohne, habe ich nur ein paar oberflächliche Redensarten gewechselt ... und überhaupt, ich habe andere Sorgen.

      „Ich danke dir für deine Einladung. Natürlich schmeichelt es mir, dass du mich als Partner für den Ball wünschst, obwohl, ehrlich gesagt, es mich wundert, dass deine Wahl gerade auf mich gefallen ist. Wir sind uns doch völlig unbekannt.“ Er wies auf den Monitor und die Unterlagen auf seinem Tisch. „Leider bin ich stark beschäftigt, du siehst ja.“

      Sie knabberte an ihrer Unterlippe, unschlüssig anscheinend, ob sie sich verletzt fühlen oder ihn als Trottel einstufen sollte.

      „Du bist aber schwierig“, bemerkte sie schließlich und blickte ihn finster an. Musternd glitten ihre Blicke an ihm herab, sie kniff die Augen zusammen und platzte heraus: „Bin ich dir zuwider? Wäre ja möglich, du magst keine Frauen. So wie du lebst. Unbekannt, sagst du? Ach ja? Du musterst mich doch jeden Morgen ziemlich gründlich, als ob ich dir ... na eben so ... sag es jetzt, vielleicht lässt sich darüber reden, wenn du was auf dem Herzen hast und dich bisher nicht trautest ... also, was ist los?“

      Ihm war, als habe sie ihn mit kaltem Wasser übergossen. Steif erwiderte er: „Du irrst dich ... sowohl als auch ... tut mir leid, wenn ich dich durch Blicke oder sonst wie belästigt haben sollte. Du siehst jemandem ähnlich, den ich gut kenne, das ist es ... mehr nicht ... entschuldige ...“ Er verschluckte sich an den Worten, hastete zur Bar und goss sich klares Wasser in ein Glas. Erst jetzt blickte er auf. „Du auch ..?“

      „Oh je ... nein ... oh, wie peinlich. Ich bin ein Trampel. Aber ich dachte wirklich ... entschuldige bitte ... und nun?“

      Sein Ärger war verraucht. Die Situation begann ihn zu belustigen. Er schmunzelte verstohlen: „Ja, und nun?“

      Sie erhob sich ebenfalls und nahm sich doch ein Glas, füllte es zur Hälfte und prostete ihm mit blitzenden Augen zu.

      „Gut. Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder du wirfst mich raus, weil ich dir zu nahe getreten bin, dir lästig falle, du mich kein bisschen leiden kannst oder wir lernen uns kennen, damit so eine Panne nicht noch einmal passiert und kommen dann in nächster Zeit vielleicht auf den Ball zurück ...?“ Verschmitzt lächelte sie ihn an.

      Adam gestand sich ein, dass ihm ihre Gesellschaft keineswegs unangenehm war. Die Arbeit läuft mir nicht weg, dachte er und staunte über sich selbst, wie leicht ihm dieser Gedanke fiel. Ich habe mir doch schon von Anfang an gewünscht, mit der Kleinen zu reden. Ich mag zwar ein Stiesel sein, wie Wanda immer behauptet, aber kein Blödian, der verscheucht, was ihm unverhofft zuflattert.

      Er streckte sich, dann verbeugte er sich zeremoniell.

      „Ich heiße Adam Zumstein, bin Historiker und arbeite hier an meiner Dissertation. Daheim bin ich ...“

      „In Europa, ich weiß“, unterbrach sie ihn lachend, sie schien seine formelle Art komisch zu finden, „du schiebst jeden Morgen ins Archiv und sollst dich dort den ganzen Tag über mit Papiermumien amüsieren. Wie du das aushältst! Ich meine, so immerzu ... mich würde das schaffen. Ach ja ... ich bin Lily Jane O’Brien, viertes Semester Landwirtschaft und wohne fünf Etagen unter dir, nicht ganz so feudal wie du.“

      Sie wirkte aufgekratzt, wie erleichtert, dass er sie nicht fortgeschickt hatte.

      „Ich hatte immer gedacht, die Leute in Europa wären anders, nicht im Aussehen, natürlich, aber im Verhalten, in der Kleidung ... irgendwie exotisch, man sähe es ihnen gleich an. Und dann kamst du und warst genau so wie wir, bloß älter und gesetzter und ziemlich unnahbar. Was glaubst du, wie genau wir dich beobachtet haben, bis wir einsehen mussten, dass nichts Aufregendes an dir ist? Komisch, was ...?“

      Sie sprach schnell, fast ohne Pause, wie in Hektik und ließ ihm keine Gelegenheit zu einem Einwurf, als treibe sie ein zwanghaftes Mitteilungsbedürfnis. Er verglich sie mit Wanda. Beide verkörpern diese zarte Schräge, wenn sie lachten, beide hatten den schlanken Hals und neigten den Kopf beim Sprechen etwas nach links. Und dann trugen sie merkwürdigerweise eine ähnliche Frisur: kurz, kleiner Stirnpony, ohrenfrei und betonter Hinterkopf. So aus der Nähe wirkten sie aber doch recht verschieden. Lily Jane war größer, kräftiger in den Schultern, stabiler im Ganzen, weniger rundlich, aber wunderbar proportioniert und hatte längere Beine, eine klassische Figur, wie eine Showtänzerin, doch nicht deren Gang. Der erinnerte eher an den einer Kugelstoßerin, ausgreifend und fest auftretend in unbewusstem Kraftgefühl. Wanda bewegte sich leichter, graziöser, weicher, mädchenhafter.

      Immerhin, stünden sie beide nebeneinander, gab es beträchtliche Unterschiede, mutmaßte er. Wanda war älter, wahrscheinlich gebildeter, aber unausgeglichen im Wesen. Sie suchte immer geistige Ebenbürtigkeit oder gar Überlegenheit zu beweisen. Bei ihr hatte er nie das Gefühl verloren, sie fürchte, sich etwas zu vergeben, wenn sie ihren Empfindungen nachgäbe. Als hindere ein Kontrollmechanismus in ihrem Kopf - bei aller Zuneigung und Anteilnahme und Lebenslust - eine bestimmte Grenze zu überschreiten.

      Von dieser Lily Jane wusste er noch nicht viel, doch sie schien nicht nur jünger zu sein, sondern auch wesentlich unkomplizierter, impulsiver, ihrem Gerede nach zu urteilen, sogar ziemlich naiv. Der Gedanke drängte sich ihm auf, mit dem frischen, unverbildeten Schätzchen ließe sich die Zeit hier angenehm vertreiben.

      Er verwies sich die aufsteigende Begehrlichkeit.

      Du hast zu arbeiten, alter Schwede, rumpoussieren ist nicht drin! Hör lieber zu, was sie sagt!

      Ihm wurde bewusst, dass ihm mehrere Passagen ihres Monologs entgangen waren. Sie sprach über sich.

      „Es ist natürlich höchst unziemlich, einen Mann auf seinem Zimmer zu besuchen. Wenn jemand das spitz kriegt, zieht mir der Heimrat die Ohren lang. Keine Sorge, ich hab aufgepasst. Und dich keifen sie sowieso nicht an, du bist honoriger Gast. Die Ratsbeschlüsse sind nur für uns Studenten bindend. Damit du nichts Falsches denkst ... weißt du, das Wetter erschlägt einen geradezu, der veränderte Luftdruck macht viele fertig, ich muss mich ablenken. So hab ich mir einfach ein Herz gefasst und bin zu dir hoch. Weil ich mir dich als Partner für den Ball heute Abend gewünscht hatte und so neugierig auf dich war, und weil ... ich hätte dich ja auch unten im Speiseraum einladen können, aber da wären die anderen dabei gewesen, und wo du so scheu bist ...“

      Sie sprach und sprach, hastig, wie gejagt. Unsortiert, frei und offen.

      Nachdem er ihr versichert hatte, dass er sich über ihren Besuch freue und ihre Einladung annähme und keinesfalls Falsches von ihr denke, beruhigte sie sich und begann ihn nun über Europa auszufragen, wollte wissen, ob die Winter dort auch so streng wären, ob in seiner Heimat noch Landwirtschaft betrieben werde, wie man dort lebe, die Zeit verbringe, welchen Interessen man nachgehe und dergleichen.

      Zuerst glaubte er, sie wolle mit ihren läppischen Fragen nur das Gespräch in Gang halten, doch ihre Einwürfe und Zwischenfragen machten ihm bald klar, dass sie trotz ausgezeichneten Schulwissens tatsächlich nur sehr allgemeine Vorstellungen von Europa hatte. Gewöhnt an die kontinentale Weite ihrer Heimat und daran, dass sich die Lebensgewohnheiten ihrer Landsleute überall glichen, wenn auch die großräumigen Klimazonen kleinere Abwandlungen bedingten, fiel es ihr schwer zu verstehen, dass in Gebieten, oftmals kleiner als ein Verwaltungsdistrikt hierzulande, in den Familien und im Kulturleben noch lokale Sprachen gebräuchlich waren.

      Nur wenige Kilometer entfernt lebende Leute verstanden einander nicht mehr, waren gezwungen, Interling zu benutzen, um sich zu verständigen, pflegten ungeachtet dessen eifrig ihre regionalen Bräuche zu bewahren, ganz bewusst, um der Nivellierung durch die moderne Technik, die viel an Schönem und Einmaligem schon verdrängt hatte, zu entgehen.

      Er sah sich genötigt, ihr Ursache und Bedeutung der Weckbewegung zu erklären, Initiator dieses Sichbesinnens auf überkommene Werte. Sie sei keineswegs, wie man hier zu meinen scheine, ein Häuflein überspannter interlektueller Typen, die sich interessant machen wollen, sondern eine einflussreiche Masseninitiative, die auch schon Asien und Afrika erfasst habe. Ihr Ziel sei, dem Glauben an die Omnipotenz der Technik - Konfession