Löwentatze. Albert Hurny, Mady L. Hurny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albert Hurny, Mady L. Hurny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738025286
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anhören, vernahm Andeutungen über bevorstehende Aktivitäten. Er hatte Mühe, ihnen zu folgen, war recht unaufmerksam.

      Er empfand in der Folgezeit ein zunehmendes Bedürfnis nach Abgeschiedenheit, zu schwer belastete ihn diese innere Unruhe, die mit den Arbeitsfortschritten an seinem Projekt zusammenhing.

      Beim unumgänglichen Morgenschwatz mit den Archivarinnen erwähnte er, dass die jungen Leute mit ihrer Umtriebigkeit, ihn ständig zu irgendwelchen Kursen, Vorträgen oder Ähnlichem überreden zu wollen, anstrengen würden, und er sich im Moment sogar etwas belästigt fühle.

      „Also, nein“, sagte Trudy, blond, rundlich, die andere, Mary, dunkelhaarig und hager, beide längst jenseits der sechzig. „Ich finde es reizend, dass sich die Kinder so um Sie bemühen.“

      „Und sich einzuspinnen, kann gewiss auch nicht das Richtige sein ...“, sekundierte Mary.

      „Fröhliche Unterhaltung am Abend entspannt, die Arbeit fällt am folgenden Tag dann leichter ... jeder Psychologe kann Ihnen das bestätigen.“

      Da habe ich den lieben Tanten aber ein Stichwort gegeben, dachte er belustigt, nur schnell Einsicht zeigen, sonst nerven sie mich endlos.

      „Wie recht Sie haben“, pflichtete er bei. „Ich täte nichts lieber, schon um Abstand zu gewinnen, wenn’s mal hakt, wenn’s nicht richtig voran gehen will. Aber ich wag es einfach nicht. Wer einmal mitmacht, soll es immer wieder tun. Junge Leute kann man nicht nach Belieben an- und ausknipsen ... es wäre anders, hätte ich einen Platz, zu dem ich flüchten könnte, wenn ich ungestört, in Klausur sozusagen, arbeiten will. Doch weil ich nun mal nur mein Zimmer habe, muss ich darauf bedacht sein, dass my room my castle bleibt. Es ist Notwehr, wenn Sie so wollen.“

      Damit glaubte er, den Disput beendet zu haben. Die beiden Thesaurushüterinnen indes schienen plötzlich aufzuhorchen. Sie blickten sich bedeutungsvoll an und nickten sich dann zu, als hätten sie beide den gleichen Gedanken.

      „Das ist überhaupt kein Problem“, sagten Trudy und Mary lebhaft. „Wir haben einen Bungalow, eine Hütte, tief im Walde versteckt sozusagen, für Besucher, die unerwartet übernachten müssen. In der Anfangszeit kam das häufig vor, aber jetzt schon lange nicht mehr. Sie können sie benutzen, so oft Sie wollen.“

      Sie sahen ihn erwartungsvoll an, überzeugt anscheinend, er werde darüber in Jubel ausbrechen.

      Das Anerbieten brachte ihn in Verlegenheit. Er hatte ihnen nur seine Lage verdeutlichen wollen; an eine Nebenbleibe hatte er nie ernsthaft gedacht. Sein Zimmer genügte ihm, da hatte er alles zur Hand, was er zur Arbeit brauchte. Vor allem erschreckte ihn der Gedanke an die Kosten, aber Mary und Trudy waren so rührend in ihrem Eifer, ihm zu helfen, dass er es nicht übers Herz brachte, rundweg abzulehnen.

      Mit der von ihm erwarteten Glückslos-Gewinner-Miene bedankte er sich für das wunderbare Angebot, das ihm wirklich sehr gelegen komme, wenngleich ...und dann leitete er diplomatisch den Rückzug ein, indem er Bedenken äußerte ... die Heimordnung schreibe feste Essenzeiten vor, die Technik, unverzichtbar für seine Arbeit, müsse hin- und her transportiert werden ... bis er meinte, sie seien reif für sein Hauptargument.

      Natürlich, seine Stimme nahm einen zögerlichen Ton an, lasse sich das alles in den Griff kriegen ... aber:

      „Um die Wahrheit zu sagen“, er senkte seine Stimme, „ich fürchte, ich kann es mir nicht leisten. Sie verstehen?“

      Jane und Mary lächelten fein. „Wovon reden Sie? Sie müssen besser zuhören - die Hütte steht leer. Also benützen Sie sie in Gottes Namen! Trudy, gib ihm die Codecard. Verbummeln Sie sie nicht; das ist alles, was von Ihnen verlangt wird. Klar?“

      Adam sog geräuschvoll die Luft ein. „Also, was soll ich sagen, das ist ... fantastisch ... und vielen Dank!“

      Wenn es so ist, will ich ihnen das schöne Gefühl, mich bewohltatet zu haben, nicht vermiesen. Im Grunde ja egal, ob die Codecard im Archivsekretariat oder von mir aufbewahrt wird, befand er.

      Verbissen arbeitete sich Adam durch riesige Materialberge, fügte zusammen, was auf den ersten Blick widersinnig schien und nun plötzlich eine neue Dimension freigab, erlaubte sich keine Schlussfolgerungen, untermauerte aber mit kaum widerlegbaren Indizien und teilweise eindeutigen Fakten, bis die Rohfassung komplett vor ihm lag.

      Nachdem er den Servanten abgeschaltet hatte, saß er eine Weile wie benommen, starrte vor sich hin, bis er sich ermannte, seinen Mantel griff und aus dem Haus stürmte, um an der frostklaren Luft dem Gedankenkarussell zu entrinnen, das ihn gefangen hielt.

      Er rannte wie blind abseits der öffentlichen Wege umher, stiefelte durch hohen Schnee und sah sich unvermittelt einem Reh gegenüber. „Hallo, mein Freund ...“, flüsterte er und lächelte überrascht. Das Reh verharrte bewegungslos. Adam ließ sich mit ausgebreiteten Armen in den Schnee fallen, wedelte mit den Armen auf und ab, bis er die Kälte spürte. Er rappelte sich auf, was das Reh als Signal zum Aufbruch wertete und mit hohen Sätzen im nahen Gebüsch verschwand, eine Schneewolke hinter sich her ziehend.

      Adam lachte lauthals. Die Anspannung war gewichen, hatte der Entscheidung, nun endlich den Professor zu unterrichten, Platz gemacht.

      Am folgenden Morgen ließ er sich eine Stunde früher wecken und wählte die bekannte Nummer. Es dauerte einige Minuten, ehe sein Mentor, Professor Delgare, aufgebracht am Bildschirm erschien, noch die Serviette in der Hand, offenbar hatte er ihn vom Mittagstisch geholt. Die leidige Zeitverschiebung.

      „Hallo, Adam! Was ist passiert? Ich hoffe für Sie, es geht um Leben oder Tod, sonst haben Sie kalt gewordene Rouladen und einen wütenden, weil halb verhungerten, Mentor auf dem Gewissen!“

      „Entschuldigen Sie, Herr Professor, hier ist es kurz nach sieben, und ich hab nicht bedacht - nein, passiert ist nichts, das heißt doch, schon, sonst hätte ich mir nicht erlaubt ... also, ich brauche Ihren Rat: Sie haben seinerzeit meine Konzeption gebilligt, jetzt bin ich aber zu Ergebnissen gekommen, die bisher noch nie abgehandelt wurden ... und die weitreichende Folgen haben könnten, die alles über den Haufen werfen, was bisher als gesichert angenommen wurde und daher ... übrigens, Rouladen hatte ich ewig nicht, wie schmecken die? Und einen verhungerten Mentor, Hilfe! Soll ich Ihnen ein Päckchen mit Haferbrei schicken, davon gibt’s hier reichlich, Herr Professor ... Kurz und gut: Meine erste Fassung zielt auf schockierende Ereignisse, völlig anders als angenommen - ich brauche wohl mehr Zeit, dies alles zu verarbeiten, möchte das Thema mehr eingrenzen.“

      Professor Delgare zog die weißen Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, Adam, ob das gut wäre. Ihr Thema verlangt nach Breite, dadurch wird es erst attraktiv. Darüber waren wir uns doch einig. Woran dachten Sie denn?“

      „An das Löwentatzendrama, genauer, an dessen Ausklang, den Abschnitt zwischen Ultimatum und Abschluss der Vernichtungsaktion - hier gibt es ganz neue Erkenntnisse.“

      „Ist das nicht etwas wenig?“, zweifelte der Professor. „Über diese Periode liegt doch alles vor.“

      „Das eben bestreite ich, im Archiv habe ich Hinweise entdeckt, die mir die Haare zu Berge stehen lassen.“

      „Unsinn“, unterbrach ihn der Professor gereizt, „Sie haben sich vexieren lassen. Ich kenne das Archiv.“

      Er verstummte und sah ihn misstrauisch an. „Ohhh ... Sie denken doch nicht etwa daran, mit dem blödsinnigen Zeitungsquatsch zu operieren?“

      „Doch“, erwiderte Adam fest, „genau das habe ich vor. Dieser Blödsinn, wie Sie sagen, scheint mir den Schlüssel zu Vorgängen zu liefern, die ich nur als sensationell bezeichnen kann. Ich habe gerade erst die Rohfassung fertig, aber wenn ich weiter ...“.

      Der alte Herr rang nach Fassung. „Adam, mein Lieber ... ich bitte Sie von Herzen ... sensationell ... du liebe Güte ... was wäre das?“

      Einen Augenblick war Adam versucht, damit herauszuplatzen. Er zögerte, wer gackert, ehe das Ei gelegt ist, landet leicht im Kochtopf. Und das gilt nicht nur für Hühner.

      „Tut mir leid, Herr Professor, das möchte ich