Auch Schmetterlinge können sterben. Martina Decker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Decker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738098952
Скачать книгу
Rückspiegel. »Ich erzähle es ihm morgen. Oder wenn die Spanier wieder weg sind.« Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass Roman bis zum Ende der Verhandlungen mit seinen Gedanken nicht bei ihr und ihren Geschichten sein würde. Da gingen ihm nur wirklich wichtige Dinge durch den Kopf und für ein paar abstruse Storys aus der Vergangenheit wäre weder Platz noch Muße.

      8

      Roman verließ gegen 17:45 Uhr die Kanzlei. Felizitas hatte ihm dezent, aber unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es jetzt an der Zeit war, nach Hause zu gehen. »Übertreiben Sie es nicht«, meinte sie lächelnd. »Sie haben schon das Wochenende abgesagt.«

      »Aber ich würde schon gerne noch diesen Vertrag …«

      »Herr Baker, der Vertrag hat Zeit bis nächste Woche!« Sie drückte ihm den Blumenstrauß in die Hand. »Eine schöne Frau lässt man nicht warten. Schon gar nicht, wenn man Blumen mitbringt, um sich zu entschuldigen.«

      »Es gibt keinen Grund, weswegen ich mich entschuldigen müsste. Die Blumen sind eher als Trostpflaster gedacht.«

      »Natürlich, Chef!« Fast ein bisschen aufdringlich hielt sie ihm die Jacke hin. »Auf Wiedersehen! Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.«

      »Danke, ich hoffe doch sehr, dass ich die Spanier auch ohne Ihre Unterstützung von unseren Vorstellungen überzeugen kann.«

      »Ich meinte nicht unbedingt die Verhandlungen mit den Spaniern.«

      »Oh – na ja, dann nochmals danke. In diesem Fall können ein paar gute Wünsche vermutlich auch nicht schaden.«

      ***

      »Bin wieder da!« Erwartungsvoll blieb Roman eine gute halbe Stunde später in der Eingangstür stehen. Als sich im Haus nichts rührte, setzte er noch einmal nach: »Julia? Wo steckst du? Dein Mann ist nach Hause gekommen und hat dir etwas mitgebracht.« In der Hand hielt er einen beeindruckend großen Blumenstrauß – bunte Gerbera, gelbe und zart rosafarbene Röschen, dazwischen üppiges Grün.

      »Deine Frau ist nicht da!«

      Roman fuhr herum. Hinter ihm hatte Sonja den Hof betreten. Sie trug ein sehr knappes und eng anliegendes Kleid aus cremefarbener Seide. Die Pumps hielt sie lässig in der Hand und tänzelte auf Zehenspitzen über den Kiesweg.

      Roman ließ die Hand mit dem Blumenstrauß sinken und sah Sonja irritiert an. »Julia ist weg?«

      »Habe ich doch gesagt.« Sonja schenkte ihm einen Augenaufschlag, der jeden anderen Mann sofort in die Knie gezwungen hätte. »Sie ist zum Klassentreffen gefahren. Hat sie dir nicht Bescheid gesagt?« Geschmeidig drängelte sie sich an ihm vorbei ins Haus. »Sie wollte dir eine Nachricht aufs Handy schicken«, meinte sie beiläufig.

      »Habe ich dich hereingebeten?«, fragte er ihre Anspielung ignorierend.

      »Die Tür war offen.«

      Als würde sie erst jetzt den wunderbaren Blumenstrauß entdecken, streckte sie beide Hände danach aus und meinte: »Da hat sich deine Sekretärin aber gehörig ins Zeug gelegt – Respekt! Gib her, ich stelle die armen Blumen ins Wasser, damit sie morgen nicht schon die Köpfchen hängen lassen. Gehe ich recht in der Annahme, dass du damit den Hausfrieden und das eheliche Glück wieder herstellen willst?« Sie nahm dem verdutzten Roman den Strauß ab und ging zielstrebig in Küche.

      Nachdem er sich ein wenig gesammelt hatte, folgte ihr Roman. Im Türrahmen blieb er stehen und sah ihr einen Augenblick lang schweigend und zunehmend missmutig zu, wie sie suchend jede Schranktür und jede Lade öffnete. »Die Vasen stehen hinten im Schrank.«

      Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Nur Dinge, die man selten oder gar nicht braucht, stehen ganz hinten im Schrank. Wenn ich dir also einen gut gemeinten Rat geben darf, lieber Roman: Bring öfter Blumen mit! Das hebt im Übrigen auch die Stimmung.«

      »Wieso weißt du, dass Julia zum Klassentreffen gefahren ist und ich nicht?«

      »Weil ich ihre beste Freundin bin? Weil ich keinen Streit mit ihr habe?« Geschäftig nestelte sie an den Blumen, zupfte hier ein bisschen, arrangierte dort ein wenig.

      »Jetzt ist es aber mal gut!«, brauste Roman auf. Ihr Getue ging ihm zusehends auf die Nerven. »Das war kein Streit, sondern lediglich eine konstruktive Unterhaltung …«

      »Und außerdem bist du ihr Ehemann und hast natürlich ein Recht darauf zu erfahren, ob, wann und mit wem deine Frau zu einem Klassentreffen fährt.« Sonja verzog die Mundwinkel

      zu einem spöttischen Lächeln. »Willkommen in der Moderne, mein lieber Roman. Frauen sind heute selbstständig und unabhängig – zumindest in unseren Graden und das sogar, wenn sie verheiratet sind.« Sie ging auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen.

      »Das ist doch überhaupt nicht das Thema«, gab er brüsk zurück. Der süße, fast schon betäubende Duft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase. Ehe er es verhindern konnte, glitten ihre Hände sanft tastend über seinen Oberkörper. Sonja nestelte das Handy aus der Brusttasche und warf einen neugierigen Blick darauf. »Zwanzig Nachrichten in Abwesenheit … gut, die werden nicht alle von Julia sein. Oder doch?« Mit einem spöttischen Lächeln reichte sie ihm das Gerät. »Sie ist so eine Brave! Ich bin mir sicher, sie hat sich ordnungsgemäß abgemeldet.«

      Roman ließ sich nicht auf ihre Provokation ein. Wortlos nahm er ihr das Telefon ab und überflog das Sammelsurium von Grüßen, Geschäftsmails und Werbebotschaften, die sich über Tag angesammelt hatten.

      “Hallo Roman, bin auf dem Weg zum Klassentreffen. Bin morgen Abend zurück. Sonja hat sich angeboten, dich zum spanischen Dinner zu begleiten. Gönn' ihr den Spaß und sei nett zu ihr. Gruß Julia".

      Sonja hatte also recht. Und sie wollte mit zum Dinner. Das erklärte ihren überraschenden Auftritt, das schicke Kleid und die Pumps. Sie sah gut aus, gestand er sich widerwillig ein – verdammt gut! Unbestreitbar wusste sie ihre Vorzüge zu unterstreichen und sich in Szene zu setzen.

      »Und? Darf ich mit?«, reagierte sie auf seinen prüfenden Blick.

      »Nein!«

      »Ich liebe Paella und Vino«, argumentierte Sonja, »und mein Spanisch ist bueno.«

      »Es wird keine Paella geben und auf deine rudimentären Spanischkenntnisse kann durchaus verzichtet werden. Die Gespräche werden in Englisch geführt.« Roman wandte sich demonstrativ ab und löste den Knoten der Krawatte. »Ich muss jetzt erst einmal unter die Dusche. Du weißt ja, wo der Ausgang ist.«

      9

      Julia hatte ihr Ziel erreicht. Sie stellte den Wagen auf dem Parkplatz hinter dem kleinen Hotel ab. Die Erinnerungen an eine nahezu unbeschwerte Kinder- und Jugendzeit überwältigten sie für einen kurzen Augenblick. Ihr Elternhaus stand ein paar Querstraßen weiter; das Gymnasium war mit dem Bus knapp zwanzig Minuten entfernt. Paul, ihre erste große Liebe – damals war sie vierzehn – hatte sie an der Bushaltestelle gefragt, ob sie mit ihm gehen wolle und dann geküsst.

      Julia lachte bei dem Gedanken daran laut auf. Unbeholfene Zungen, viel zu viel Spucke und Zahnspangen – nichts war so, wie sie es sich in ihren romantischen Mädchenträumen vorgestellt hatte. Aber gekribbelt hatte es trotzdem, was vielleicht auch daran lag, dass Paul gleich noch seine Hand unter ihr Shirt geschoben hatte. Die Beziehung hielt nur wenige Wochen. Mit einer schäbigen SMS hatte Paul Schluss gemacht: »Weil ich jetzt Sabine liebe.« Sie hatte tagelang geweint und ihr Tagebuch mit traurigen Gedichten gefüllt. »Wo Herz auf Schmerz gereimt, brach, was dereinst geeint.« Es war der einzige Vers, an den sie sich auch nach so vielen Jahren noch erinnern konnte. »Ich muss unbedingt das Tagebuch rauskramen, wenn ich wieder Zuhause bin!«, kicherte Julia und zog die Reisetasche schwungvoll vom Beifahrersitz.

      ***

      In der kleinen Hotellobby war es angenehm kühl. Das Weiß des Mobiliars und der Wände stand in modernem Kontrast zum warmen Holz der Dielen und Deckenbalken. Hinter dem Tresen lächelte sie eine Frau in den Sechzigern