Vor etwa drei Wochen hat sich Ähnliches ereignet. Die Kollegin Frau Schuh hatte sich vor Unterrichtsbeginn gemeldet, weil sie wegen der Erkrankung ihres Kindes nicht zur Schule kommen konnte.
Ich habe daraufhin Hartmann lediglich dahingehend informiert, dass sie wegen Krankheit nicht unterrichten könne.
Daraufhin sagte Hartmann spontan: ‚Immer wieder müssen Kollegen darunter leiden, wenn Kinder krank sind.‘ Von mir hatte er aber diese Information nicht!“
Frau Otto merkte mir meine Bestürzung an. „Halten Sie das für Phantastereien einer älteren Dame?“
„Absolut nicht. Ich fürchte vielmehr, dass das so ist.“ Und dann erzählte ich ihr von dem, was ich am Vormittag erlebt hatte.
Frau Otto war sichtlich froh, dass ich ihr Glauben schenkte. Dann fuhr sie fort:
„Das ist längst noch nicht alles. Sie müssen wissen, dass es im Kollegium einen Lehrer gibt, der Hartmanns bester Freund ist: Franz Pape.
Herr Pape ist der Einzige, der sich mit Hartmann duzt. Er ist sogar der Patenonkel von Hartmanns ältestem Sohn.
Ich habe sehr oft mitbekommen, dass Pape nach Gesprächen im Lehrerzimmer zu Hartmann ging, um ihm das Gehörte brühwarm weiter zu erzählen.
Er war es auch, der Hartmann über den Tausch der Aufsicht zwischen Frau Eckholt und Frau Stein informiert hat. Wissen Sie übrigens, welchen Spitznamen Pape hat?
Lewa!“
„Lewa? Warum Lewa?“
„Lebende Wanze.“
Das passte!
„Herr Büning, jetzt wissen Sie vielleicht, warum wir uns außerhalb der Schule wie bei einer Verschwörung treffen mussten. In der Schule kann ich Ihnen solche Informationen nicht geben. Das ist mir viel zu gefährlich!
Da fühle ich mich nicht sicher. Ich habe auch das unbestimmte Gefühl, dass da noch andere Leichen im Keller liegen.
Vielleicht sind Sie in der Lage hier einiges aufzudecken! Viel Glück dabei. Und wenn etwas ist, denken Sie immer daran, Hartman ist wie der liebe Gott. Gute Verbindungen nach oben und zudem hört er alles! Big Brother is watching you!“
„Es gibt noch eine weitere Merkwürdigkeit. Im Dezember 2001 hat es bei uns in der Schule gebrannt. Jemand ist in der Nacht durch ein Fenster ins Sekretariat eingestiegen und hat wohl nach Wertsachen gesucht.
Da wir aber sowohl Geld als auch Kreditkarten im Safe verwahrt haben, konnte er außer einem CD Player nichts mitnehmen. Die Kripo vermutete, dass der Einbrecher darüber so wütend war, dass er ein Feuer gelegt hat.
Er hat mutwillig Akten aus dem Schrank gerissen und sie mitten im Raum angezündet. Dabei sind viele wichtige Unterlagen verbrannt, vor allem Rechnungen und Lieferscheine. Zudem sind auch etliche wertvolle Bücher dem Brand zum Opfer gefallen.“
„Wer macht denn so einen Blödsinn? Wer zündet aus purer Lust an der Freude Akten und Bücher an?“
„Zunächst wurde vermutet, dass jemand die Kerzen des Adventskranzes nicht gelöscht habe. Doch es gab eindeutig Spuren, die auf ein gewaltsames Eindringen hinwiesen. Die Kripo vermutete daher, es könnten ehemalige Schüler sein, die sich an Ihrer Schule, warum auch immer, rächen wollten. So etwas soll ja wohl häufiger vorkommen.
Was mir aber äußerst merkwürdig vorkam, war die Tatsache, dass es kurz vorher immer mal wieder Anfragen wegen nichtbezahlter Rechnungen gegeben hat.
Zudem habe ich durch einen dummen Zufall mitbekommen, wie Hartmann nach dem Brand den Lehrmittelhändler, der unsere Schule beliefert, angerufen und gebeten hat, ihm die Rechnungen noch einmal mit Datum des neuen Kalenderjahrs zu schicken. Als er mitbekam, dass die Tür offen stand, ist er rot angelaufen und hat schnell die Tür geschlossen.
Über diese Vorgänge habe ich bis jetzt geschwiegen. Aber finden Sie nicht auch, dass das alles kein Zufall ist?“
„Merkwürdig ist das schon. Aber letztlich sind das nur Vermutungen.“
Dann fragte ich sie: „War nicht zu dieser Zeit Herr Martens stellvertretender Schulleiter an Ihrer Schule? Hat der denn nichts geahnt?“
„Ich glaube nicht. Außerdem war er, wenn man den Gerüchten Glauben schenken kann, mit anderen Dingen beschäftigt. Er hat ja, so scheint es, wegen einer verbotenen Beziehung zu einer Schülerin Selbstmord begangen.“
„Da mögen Sie recht haben. Der Brand war ja auch etwa vier Monate vor seiner Selbsttötung.“
Als wir uns auf dem Parkplatz verabschiedeten meinte Frau Otto zu mir „Es tat mir gut, mit Ihnen über die Situation an der Schule zu sprechen. Hier liegt vieles im Argen und wer weiß, was uns sonst noch alles erwartet.“
Wir konnten in diesem Augenblick nicht ahnen, wie Recht sie haben würde.
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