Sagen Sie das Ihrem Chef. Sollte der Fragen haben, kann er mich gerne anrufen! Ich wünsche Ihnen viel Glück und gute Nerven.“
In der zweiten großen Pause betrat ich dann das Chefzimmer, hier an der Schule auch das Allerheiligste genannt. Es hatte deshalb diese Bezeichnung, weil niemand außer der Sekretärin und dem Stellvertreter dieses Zimmer unangemeldet betreten durfte. Schüler, Eltern und selbst Kollegen durften dieses Zimmer nur dann betreten, wenn sie sich vorher im Sekretariat angemeldet hatten und Frau Otto, die im positiven Sinne heimliche Chefin, den Besuch telefonisch angemeldet hatte.
Dabei benutzt sie immer die gleiche Formulierung.
„Entschuldigen Sie die Störung Herr Rektor Hartmann, aber … möchte gerne mit Ihnen sprechen.“
Häufig kam dann zur Antwort: „Ich bin zur Zeit leider sehr beschäftigt. Geben Sie Ihnen bitte einen Termin für morgen.“ Dann legte er in der Regel auf.
Schon beim Betreten des Raums merkte ich, dass Hartmann schlecht gelaunt war.
Er saß mit hochrotem Kopf vor einem großen, schweren Schreibtisch aus Eiche, vor sich die Zeitung ausgebreitet.
Nachdem er mir einen Sitzplatz angeboten hatte, kam ich auf mein eigentliches Anliegen zu sprechen. Er unterbrach mich sofort und polterte drauflos:
„Dass Sie in Münster angerufen haben, ist mir bekannt. Ich halte das für schlechten Stil.
Wie soll ich so mit Ihnen zusammenarbeiten.“
Bei den letzten Worten überschlug sich fast seine Stimme.
Nachdem ich mich wieder gefasst hatte, entgegnete ich ihm, mein Anruf sei nicht gegen ihn gerichtet, sondern es ginge mir nur um die Klärung der Sachlage, zumal es ja sicherlich ungewöhnlich ist, dass jemand Mitglied der Schulleitung ist und – wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum – am Studienseminar tätig ist.
„Und was hat Münster gesagt?“
„Mir stehen an dieser Schule fünf Ermäßigungsstunden zu.“
„Dann sehen Sie mal zu, wie Sie das im Plan hinbekommen!“
„Ich werde die 6b in Deutsch abgeben, Die Klasse wird dann Herr Freitag zu übernehmen haben. Sie müssten sich überlegen, wie Sie die drei noch zu gebenden Stunden ausgleichen.“
„Ich brauch mir das nicht zu überlegen. Ich habe im letzten Schulhalbjahr wegen des Fehlens eines Stellvertreters jede Menge Überstunden gemacht. Ich werde diese Stunden damit ausgleichen. Bei nächster Gelegenheit werde ich dieses auch Herrn Kramer so mitteilen.“
Damit war ich entlassen.
Nachdem ich wieder im Sekretariat war, schaute mich Frau Otto an, als ob ich ein Wesen vom anderen Stern sei.
„Was war denn da los. So habe ich den Chef ganz selten erlebt. Sagen Sie bloß, Sie haben es gewagt, ihm zu widersprechen?“
Der letzte Satz war noch nicht ganz ausgesprochen, als Herr Hartmann in der Tür erschien. Sichtlich erregt forderte er Frau Otto auf, in sein Büro zu kommen.
Er müsse ihr etwa Wichtiges diktieren. Dann verschwand er in seinem Zimmer. Bevor Frau Otto das Büro verließ, flüsterte sie mir zu: „Ich muss unbedingt mit Ihnen nach der sechsten Stunde sprechen.
Es ist wichtig, dass Sie über einiges in Kenntnis gesetzt werden, damit Sie nicht in offene Messer laufen.“
Dann verschwand sie auch schon im Allerheiligsten.
8. Kapitel
Nach Unterrichtschluss begab ich mich sofort zum Sekretariat. Als Frau Otto mich sah, flüsterte Sie mir zu: „Wir gehen besser nach draußen. Da sind wir ungestört.“
Mir kam einerseits ihr Verhalten sehr merkwürdig vor, auf der anderen Seite wusste ich jedoch von Erich, wie sehr sie sich um die Belange der Schüler und Lehrer kümmerte und wie sie so manches Mal, Kollegen, die mal wieder von Hartmann fertig gemacht worden waren, getröstet hatte. Auch wusste ich, dass auch sie unter der Situation sehr litt.
Als wir draußen standen meinte sie zu mir. „Ich muss Ihnen unbedingt einige wichtige Informationen geben, damit Sie hier nicht in offene Messer laufen. Wissen Sie einen geeigneten Ort, wo wir uns treffen können?“
„Wie wäre es, wenn wir uns heute Nachmittag in der Gaststätte zum St. Johannes in Oer treffen. Norbert, der Wirt ist ein guter Freund von mir und es gibt dort leckeren hausgemachten Kuchen. Zudem liegt diese Wirtschaft etwas abgelegen genau an der Grenze zwischen Marl und Oer- Erkenschwick.
Ich wohne in Marl. Sie in Oer-Erkenschwick. Also treffen wir uns auf halbem Wege. Wie wäre es heute um vier Uhr.“
Pünktlich um vier trafen wir uns auf dem Waldparkplatz in der Haard und gingen in die letzten 100 Meter zu Fuß.
Da in der Gaststube viel Betrieb herrschte, bat ich Norbert darum, dass wir uns in einen Nebenraum setzen durften.
Bevor wir unsere Bestellung aufgeben konnten, fragte mich Frau Otto, woher der merkwürdige Name dieser Wirtschaft käme.
Da ich hier sehr oft nach meinen Fahrradtouren durch die Haard einkehre, konnte ich ihr eine Erklärung geben.
„Nicht unweit von hier gibt es das Standbild des Heiligen Johannes Nepomuk. Dieses ist zu Ehren eines hier ums Leben gekommenen Jägers von seiner Familie vor fast 250 Jahren errichtet worden. Er soll von einem streunenden Hund angefallen worden sein.
Zudem finde ich diesen Namen sehr passend für diese Gastwirtschaft, Sie vereinigt in ihrem Namen auf wundersame Weise Theologie und Gastronomie miteinander.
Kirche und Kneipe gehören im Münsterland nun einmal zusammen und ein guter Wirt hat auch immer die Funktion eines Seelsorgers.
Bei ihm haben die Menschen das Gefühl angenommen und akzeptiert zu werden. Das macht die Atmosphäre dieser Wirtschaft aus.
Nicht umsonst sagt man: ‚Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen`.
Wenn es eben geht, fahre ich jeden Abend mit dem Fahrrad hierher, trinke mein Bier, unterhalte mich mit Norbert über Gott und die Welt und kann hier meine Seele baumeln lassen und mich von den Strapazen der Schule erholen. Für mich ist das hier eine Wohlfühloase.“
Nachdem der Wirt Kaffee und den selbstgemachten Schmandkuchen serviert hatte, kam Frau Otto sofort zur Sache.
„Herr Büning, Herr Zabel hat mir so viel Gutes über Sie berichtet und zudem habe ich heute auch miterleben dürfen, dass Sie durchaus mutig sind und sich nicht alles gefallen lassen. Bevor ich aber weiterspreche, müssen Sie versprechen, dass das, was ich Ihnen anvertraue nicht weitergetragen wird. Ich bitte daher um absolute Vertraulichkeit.“
„ Frau Otto, wir können uns dahingehend verständigen, wir haben das Gespräch niemals geführt.“
„Einverstanden. Zum Teil beruht das, was ich Ihnen jetzt sage auf Vermutungen, die aber auf meine Beobachtungen zurückgehen.
Wichtig ist meiner Ansicht nach, dass Sie damit rechnen müssen, dass Telefonate, Gespräche mit Kollegen Schülern und Eltern, die in den Büroräumen geführt werden, abgehört werden.
Das hört sich zwar sehr unglaubwürdig an, aber glauben Sie mir, ich hab da meine Erfahrungen.“
Spontan fiel mir in diesem Augenblick ein, wie erstaunt ich gewesen war, als Hartmann in unserm Gespräch vom Vormittag erwähnt hatte, dass er von meinem Telefonat mit Münster wisse. Wie konnte das sein?
„Frau Otto, gibt es denn Anhaltspunkte für Ihre Vermutung?“
„Eindeutig ja! Vorige Woche hat Frau Schuster von meinem Telefon aus nach Münster angerufen und um einen Gesprächstermin bei Herrn Kramer