„Nein, das ist kein Scherz“, erwiderte Werner hart. „Ich schalte eine synchrone Datenübertragung unserer Scanner auf diese Frequenz.“ Er betätigte mehrere Schaltungen und sah nun dieselben Angaben, die auch Agneta auf dem Monitor hatte. „Aktueller Status: Geschwindigkeit: 10,5 und abnehmend. Abstand: 11 und abnehmend. Kurs: Negativ 0,5 und auswandernd. Oh, mein Gott, die müssen in unmittelbarer Nähe der Stadt runterkommen.“
Hinter dem Verwaltungsbeamten war Bewegung zu erkennen. Dazu das leise Heulen des Katastrophenalarms. „Welche Masse hat das Schiff?“, fragte der Mann, der nun wieder zu seiner Ruhe fand. „Modulare Bauweise oder kompakt?“
Agneta rief den interstellaren Schiffskatalog auf, las die Zahlen ab und teilte sie Werner mit. Der gab sie zur Oberfläche weiter. „Keine modulare Bauweise“, fügte er hinzu. „Das Schiff ist kompakt.“
Der Fluch des Beamten war verständlich. Wäre das Schiff, wie einer der alten großen Raumfrachter, aus Containern und Segmenten zusammengesetzt, so hätte die Hoffnung bestanden, dass es sich beim Eintritt in die Atmosphäre in seine Bestandteile zerlegte und die meisten davon verglühten, ohne den Boden zu erreichen. Die Bedrohung durch ein kompaktes Schiff, mit durchgehend massiver Hülle, war ungleich höher. „Wie viel Zeit bleibt uns noch?“
„Zwanzig oder fünfundzwanzig Minuten“, schätzte Werner. Er sah zu Agneta. „Lässt sich genauer bestimmen, wo das Schiff runtergehen wird?“
„Ich bin noch dabei“, murmelte die Inspektorin. „Ist kompliziert. Ich versuche Geschwindigkeit und Winkel zu berechnen, in dem die My Starship auf die Atmosphäre trifft. Dann hängt viel vom Zustand des Rumpfes ab und wie sich die Reibungshitze auswirkt. Ich kann bestenfalls einen Schätzwert geben. Nichts Exaktes.“
„Dann den Schätzwert.“
„Aufschlag zwischen acht und zwanzig Kilometern Entfernung vom Stadtzentrum und in nordwestlicher Richtung zur Stadtgrenze.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn das Ding in einem Stück runterkommt. Wenn es zerfällt, lässt sich gar nichts voraussagen.“
Ein anderer Mann erschien auf dem Monitor, der die Verbindung zur Stadtverwaltung aufrechterhielt. „Wir haben die Stadtbevölkerung über das Alarmsystem aufgefordert, sich schnellstens, und so weit wie möglich, nach Nordosten zu begeben. Sobald das abstürzende Schiff in die Atmosphäre eintritt, geben wir einen Dauerton über die Sirenen. Dann bleibt uns nur noch übrig eine Deckung zu finden.“
Werner Schmitt konnte sich sehr gut vorstellen, welche Panik nun in Neuwstat herrschen musste. Die meisten der Häuser bestanden aus Holz und gebrannten Ziegeln, da dieses Material reichlich vorhanden, billig und leicht zu verarbeiten war. Die meisten Gebäude hatten, aufgrund des niedrigen Grundwasserspiegels, keine Keller. Das bedeutete eine Menge Nahrung für mögliche Feuer und eine Unzahl an Trümmerteilen, die bei einer Druckwelle entstehen mussten. Dazwischen Männer, Frauen und Kinder, für die es praktisch keinen Schutz gab. Dem Controller wurde speiübel bei der Vorstellung, was mit den Menschen geschehen mochte.
„Da ist sie.“ Agneta wies durch die Klarstahlkuppel in den Weltraum hinaus. Ihre Stimme klang unnatürlich ruhig. „Geschwindigkeit: 3,7 und abnehmend. Abstand: 2 und abnehmend. Kurs: Negativ 0,8 und auswandernd.“
Werner folgte ihrer Blickrichtung. Viel war nicht zu erkennen. Ein künstlicher Stern, der sich rasch näherte. In einem schrägen Winkel zur Station, der keine Details erkennen ließ. Der Aufprall auf die Atmosphäre erfolgte nahezu senkrecht und scheinbar direkt über Neuwstat. Vor dem Objekt begann die Luft zu glühen. Flammen hüllten es ein und bildeten eine lange Schleppe aus Feuer und Rauch, die es auf seinem Flug durch die Lufthülle begleitete.
„Es zerbricht!“ Werner sah große und kleine Fragmente, die sich von dem abstürzenden Schiff lösten. Einige der leichteren Teile änderten die Richtung und verglühten endgültig, die meisten folgten jedoch der Hauptmasse des Wracks. Er sah zum Monitor. „Das Schiff ist zerbrochen!“
Wie viele Menschen mochten am Boden nun angstvoll in den Himmel hinaufstarren? Wie viele versuchen, doch noch eine Sicherheit zu finden, die es nicht gab?
Die Orbitalstation war zu hoch über der Stadt, als das man diese hätte erkennen können. Aber die Druckwelle in der Luft und der Feuerball des Aufschlags, waren selbst aus dieser Höhe noch sichtbar.
Werner und Agneta sahen wie erstarrt auf den Monitor. Die Bilderfassung in der Stadtverwaltung funktionierte noch. Niemand war zu sehen. Nur Flammen und Rauch.
Werner war wie erstarrt.
„Arcturus.“ Agneta Ranskög stieß ihn unsanft an. „Controller Schmitt, kommen Sie zu sich. Wir brauchen Hilfe. Rufen Sie die Flottenbasis der Sky-Navy auf Arcturus. Jetzt gilt es, zu retten, was noch zu retten ist. Wir brauchen die Raumkavallerie von Arcturus. Jetzt, Schmitt!“
Halb blind von Tränen stellte er die Verbindung her, aber seine Finger zitterten zu stark, um die Morsetaste des Nullzeit-Funks bedienen zu können. Unerwartet sanft schob Agneta seine Hand zur Seite, um selbst Hilfe für Neijmark herbeizurufen.
Kapitel 2
Flottenbasis Arcturus, im Orbit um die Sonne Arcturus,
Hauptstützpunkt der Raumstreitkräfte und Rettungstruppen des Direktorats,
36,7 Lichtjahre Distanz zu Sol, 124 Lichtjahre Distanz zu Neijmark.
Zu Ehren des Geburtstages seiner Tochter hatte John Redfeather sein zeremonielles Festgewand angelegt. Mokassins, Beinlinge und Jagdhemd waren aus feinstem Büffelleder und reich mit Perlen bestickt. Auf dem Haupt trug er die weit ausladende, traditionelle Adlerfederhaube und in der Hand den dazu passenden, federgeschmückten Krummstab. John Redfeather war Chief der Lakota und konnte seinen Stammbaum bis in jene Tage zurückverfolgen, an denen die Sioux und ihre Vettern, die Cheyenne, die Kavalleristen unter Gelbhaar Custer am Little Big Horn geschlagen hatten.
Keiner der Anwesenden spottete über das Erscheinungsbild von John Redfeather. Dies hatte gleich mehrere Gründe. Er war als Mensch hoch geachtet und als Hoch-Admiral zudem der Oberbefehlshaber der Raumstreitkräfte und Rettungstruppen des Direktorats. Die meisten Menschen hatten in den vergangenen Jahrhunderten endlich gelernt, Eigenheiten und Traditionen zu respektieren, und sie als Gewinn für die Gemeinschaft zu sehen. Nicht zuletzt war Redfeather natürlich auch der Vater des Geburtstagskindes und hatte diese großartige Feier erst möglich gemacht.
Der Hoch-Admiral hatte, entgegen seiner sonstigen Angewohnheit, seine Beziehungen ausgespielt und bewirkt, dass man ihm den oberen Wald der Raumbasis zur Verfügung stellte, wo er ein echt indianisches Barbecue organisierte. Nun, eigentlich wusste selbst „Chief“ Redfeather nicht so genau, ob dies tatsächlich einem urindianischen Brauchtum entsprang, aber wer wollte das infrage stellen, an einem Tag, an dem man Steaks von echtem Marsrind auf den Teller bekam? Es war für jeden Geschmack gesorgt. Einige der überzeugten Vegetarier aßen sich enthusiastisch durch die zahlreichen Variationen zubereiteter Maiskolben und Brote. Die Stimmung war ausgelassen und die Versorgungslage ließ keine Wünsche offen.
„Heben wir das Glas auf die alte Lady!“, rief Dan Riordan fröhlich und prostete Joana zu. Riordan war Sergeant der C-Kompanie im fünften Regiment der Sky-Trooper. Sein vorlautes Mundwerk brachte ihn gelegentlich in Schwierigkeiten, dennoch war er sehr beliebt, denn wenn es darauf ankam, konnte man sich absolut auf ihn verlassen.
June Galley, die direkt neben ihm saß, stimmte in das Lachen ein. Sie war ebenfalls Sergeant und bediente in Kampfsituationen eine der beiden tragbaren Gatling-Rotationskanonen der C-Kompanie. Sie war eng mit Riordan befreundet, dennoch konnte sie es wieder einmal nicht lassen, auf seine Bemerkung mit Spott zu reagieren. „Warte ab, Rio, bis du in ihr Alter kommst. Ich bin gespannt, ob du dein Glas dann noch stemmen kannst.“
Joana Redfeather hatte die C-Kompanie als Captain geführt und befehligte nun, als Major, ein volles Bataillon, welches aus den Kompanien A, B und C bestand.