Caspar Keller
Parallelleben
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Inhaltsverzeichnis
Wie konnte es so weit kommen?
Caspar Keller
Roman
Alle Rechte vorbehalten
© 2013 Caspar Keller
Titelbild: Daniel Bauer, [email protected]
Liedtext auf Seite 78, 79: „Hotel California“, Eagles (1976)
Zitat auf Seite 90: Ernst Ludwig Kirchner
Liedtext auf Seite 132: „Du bist die“, Herbert Grönemeyer (2007)
Zitat auf Seite 136: Spur und Aura, Walter Benjamin
PARALLELLEBEN gibt es auch als Taschenbuch unter ISBN 978-3-8442-9915-1
(Verlag epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de)
Meinen Eltern:
Dr. Wolfgang Keller und Monika, geb. Sommerfeldt.
Meinem Sternchen.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemessenen Stunden
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.
Johann Wolfgang von Goethe
Inhalt
Kapitel 1: Wie konnte es so weit kommen?
Kapitel 2: Drachen-Express
Kapitel 3: Was ist mit meinem Geld?
Kapitel 4: Gefühl wie Fallen
Kapitel 5: Willkommen!
Kapitel 6: Weisheit
Kapitel 7: Ende
Über den Autor
Acht Uhr am Morgen des 20.12.2012. Draußen wird es langsam hell. Ich sitze vor dem Rechner und rufe meine E-Mails ab. Langsam stottern sie herein. Längst wollte ich meine Internetverbindung schneller machen, sodass dieser zähe Datenstrom ein Ende hat. Das ist jetzt unwichtig, denn die Welt hat ihr Ende.
„Müssen wir uns Sorgen machen?“
„Keine Ahnung.“
„Wie konnte es eigentlich so weit kommen?“
„Es hat sich zugespitzt.“
„Was werden wir unternehmen?“
„Abwarten.“
Katharina sieht mich an, in ihrem Blick hält sich ein Ausdruck von Anspannung und Müdigkeit. Sie erwartet von mir Halt und Zuversicht. Dabei ist sie beides für mich.
„Wir hatten das besprochen“, lasse ich mich ein, „wir bleiben ganz wir selbst und lassen uns von den Geschehnissen nicht beeinflussen. Wir machen weiter wie bisher“, und ich füge an, „gemeinsam Kleines, gemeinsam stehen wir das durch.“
Der Glanz zeigt sich wieder in ihren Augen. Ihre hübschen Mandelaugen, die unter zwei Umständen smaragdgrün leuchten. Wenn sie verärgert ist. Und, wie jetzt, wenn ich die richtigen Worte finde.
So kann es passieren, dass, während ich mich einmal mehr im Formulieren verliere und mich darüber erkläre, was es ist, was die Welt zusammenhält und welche Rolle jedem Einzelnen zuteil wird, sie mich reden lässt, mich dabei still und aufmerksam betrachtet, bis sich unsere Blicke treffen und ich inne halte, weil es die Tiefe ihres sanften Blickes ist, der alles unwichtig erscheinen lässt, wo doch die Erklärung auf der Hand liegt: Es ist Liebe.
„Aber ich könnte krank machen und wir bleiben zusammen, heute und morgen.“
Ihre Idee befällt meine Gedanken wie süßes Gift. Es fühlt sich an wie dieser kurze Moment zwischen Wachwerden und Aufstehen, nachdem der Wecker geklingelt hat. Dieser verführerische Moment des auflehnenden Zögerns. Der stille Protest des Liegenbleibens trotz Erkenntnis, dass der Tag nicht warten kann. Dieser den Zahnrad-Rhythmus strapazierende Moment. Ins Maßlose mündend, wenn der Gedanke Platz greift: Heute mal liegen bleiben.
„Was, wenn wir nur noch heute und morgen haben?“, setzt sie nach.
Jetzt entfaltet ihr süßes Gift schmerzvoll seine Wirkung. Es sticht ins Herz. Es schnürt die Kehle zu. Es lässt mich leiden. Liegen bleiben? Wenn auch die fehlende berufliche Perspektive, die Sorge ums Geld, die Unruhe der Gesellschaft nicht Grund genug waren liegen zu bleiben, ist doch das Ende der Welt ein mehr als guter Grund zu resignieren.
„Was, wenn nichts von dem, was die Medien streuen, wahr ist?“, bringe ich es auf den Punkt.
„Deswegen frage ich dich, wie sehr glaubst du selbst an deine Geschichte?“, verlangt sie zu wissen.
„Meine Geschichte?“, spucke ich aus. „Du sagst das, als sei die Geschichte mein Hirngespinst! Zweifelst du etwa an mir?“ Energisch erhebe ich mich vom Tisch. Sie steht fertig angezogen in der Tür zum Zimmer. Mit großen Augen folgt sie meiner Bewegung. Ich gehe zu ihr herum. Und wie ich dann vor ihr stehe, mit müde gespieltem Vorwurf, umarmt sie mich abrupt.
Sie drückt sich ganz fest an mich. Ihr Kopf liegt auf meiner Brust.
„Liebster“, haucht sie, „niemals!“
Ich presse die Zähne zusammen, stoße Luft durch die Nase aus, entspanne und umfasse ihren zarten Körper. Ich küsse sie auf ihr Haar. Sie hebt den Kopf und kämpft gegen einen schwachen Moment an. Doch das Wasser in ihren Augen kann sich nicht halten und kullert in Form einer dicken Träne ihre Wange runter. Mit einem Nasenrümpfer als Zeichen ihres Unmuts darüber schließt sie ihre Augen und eine weitere Träne kullert auf der anderen Seite.
„Ach mein Herz“, tröste ich sie. „Du hast ja recht, meine überaus glaubwürdige Geschichte, nicht wahr? Nichts als Hokuspokus! Ich weiß selbst nicht, was ich davon halten soll. Aber,…“, ich halte sie an ihren schmalen Schultern, schaue in ihr traurig-zartes Gesicht, „ich glaube! Ich glaube ganz fest! Ich glaube an uns! Die Geschichte ist unsere Geschichte. Und unsere