Juwelen, Mörder, Tote - Sechs Extra Krimis Juni 2018. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742734396
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Wohnzimmer bedeckte kalter Stein den Fußboden. Aber da lag auch ein großer Teppich, und auf ihm sanken sie gemeinsam nieder und liebten sich.

      Es war ein Rausch, der stark genug war, sie beide vollkommen zu erfassen und mit sich zu reißen.

      Später dann, als Elsa hinaus an den Pool trat, um ihre Sachen aufzusammeln, fiel ihr Blick auf Roberts Jackett. Er hatte es einfach hingeworfen, bevor sie zusammen ins Wasser gegangen waren. Sie hob es auf und blickte sich um. Robert war noch nicht hinausgetreten.

      Blitzschnell schoss ihre Hand in die Innentasche und zog den Pass heraus. Sie blätterte in dem Dokument herum und fand schließlich, was sie suchte: Das Geburtsdatum.

      Sie rechnete. 38 Jahre!, dachte sie. Er war 38 und sie selbst 22. 16 Jahre lagen zwischen ihnen. 22 Jahre lagen zwischen ihr und ihrem Vater...

      Sie dachte an ihren ersten Freund, den ersten, mit dem sie intim geworden war. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, wie alt er gewesen war. Irgend etwas zwischen 40 und 45. Aber sie wusste noch genau, wie alt sie gewesen war: 17.

      Er war einer ihrer Lehrer gewesen und sie hatte ihn abgöttisch geliebt. Aber für ihn war sie nicht mehr als ein Abenteuer gewesen.

      Wie hätte es auch anders sein können. Ein verheirateter Mann mit Kindern, der sehr auf seinen Ruf bedacht war! Für jeden, der bei klarem Verstand war, lag die Sache auf der Hand.

      Aber sie war nicht bei klarem Verstand gewesen. Damals nicht. Ein paar Wochen hatte es gedauert, dann war alles zu Ende gewesen. Als Robert hinaustrat und ebenfalls seine Sachen zusammen sammelte, steckte sie den Pass zurück ins Jackett und gab es ihm.

      „Du bist 38“, stellte sie fest.

      Er murmelte etwas.

      „Ich weiß fast nichts über dich, Robert!“

      Er nahm die Jacke und schien ein klein wenig ratlos zu sein. Dann meinte er: „Ist denn das so schlimm? Kommt es auf das an, was gewesen ist?“

      „Nein, aber...“

      „Das einzige, was zählt, ist die Gegenwart, Elsa. Der Augenblick, sonst nichts. Jeder von uns kommt aus dem Nichts und verschwindet dort eines Tages auch wieder.“

      Sie sah ihn an und schüttelte ganz energisch den Kopf.

      „Nein!“, sagte sie. „Das stimmt nicht!“

      „Nein?“

      Eine Spur von Spott war jetzt in seiner Stimme. Eine winzige Spur nur und nicht stark genug, um Elsa zu verletzen.

      „Jeder von uns hat seine Geschichte. Und niemand kann aus seiner eigenen Geschichte heraus“, erklärte sie bestimmt.

      Robert verzog das Gesicht.

      „Klingt beängstigend.“

      „Schon möglich. Aber ich finde, dass es stimmt!“

      „Ich ziehe mein Weltbild vor.“

      „Und ich möchte etwas mehr von deiner Geschichte erfahren, Robert!“

      Er zuckte mit den Schultern.

      „Wenn es weiter nichts ist...“ Das sollte leicht dahergesagt klingen, aber die Leichtigkeit blieb aufgesetzt. Er zuckte erneut mit den Schultern.

      „Was hast du diese ganzen 38 Jahre lang gemacht, Robert! Ich liebe dich, und ich möchte jede Minute davon kennenlernen! Hörst du, jede Minute! So wie ich jeden Zentimeter deines Körpers kennengelernt habe!“

      Er runzelte die Stirn, als wollte er sagen: Das kannst du doch nicht ernst meinen, Elsa! Aber er sagte es nicht. Er stand einfach da und schaute sie unschlüssig an.

      „Gehen wir erst einmal 'rein“, murmelte er dann und legte den Arm um ihre Schulter.

      Sie zogen sich an.

      Zusammen sanken sie auf eine weiche Couch. Elsa legte den Kopf an Roberts Schulter.

      „Erzähl mir etwas über deinen Vater!“, forderte sie.

      „Meinst du das ernst?“

      „Ja.“

      „Also gut.Er war Pfarrer.“

      „Ehrlich?“

      „Ja, sicher, weshalb sollte ich nicht ehrlich sein?“

      „Und deine Mutter? Was kannst du über sie sagen?“

      „Sie war die Frau eines Pfarrers. Was soll ich sonst noch über sie sagen? Ich glaube, dass sie das hinreichend charakterisiert.“

      „Glaubst du an Gott?“

      In seinem Gesicht stand Verwirrung.

      „Ein seltsamer Fragenkatalog ist das, findest du nicht auch, Elsa?“

      „Nein, finde ich nicht. Ich finde es sogar sehr naheliegend, danach zu fragen. Dein Vater ist Pfarrer...“

      „...war Pfarrer. Er lebt nicht mehr.“

      „Das tut mir leid.“

      „Braucht es nicht. Er ist alt genug geworden.“

      „Trotzdem: Es interessiert mich, wie du über die Sache denkst!“

      „Gott? Religion? Christentum?“

      „Ja, alles das, was für deinen Vater doch schrecklich wichtig gewesen sein muss.“

      Robert atmete tief durch. Einen Augenblick lang schien er zu überlegen. Dann erklärte er: „Ich glaube an mich selbst.“

      „An sonst nichts?“

      „Nein.“

      „Das kann doch nicht alles sein!“

      „Warum nicht?“

      „Ich meine, man muss ja nicht gleich an ein höheres Wesen glauben. Aber irgendwelche Werte vielleicht...“

      „Nein.“

      „Das überrascht mich!“

      „Mein Vater war ein Mann mit strengen Grundsätzen...“

      „Und du, Robert?“

      „Ich habe die Nase voll von solchen Dingen. Gestrichen voll.“ Es klang etwas bitter. Elsa runzelte die Stirn.

      „Wie ist das gekommen?“

      Er strich ihr das Haar glatt.

      „Vielleicht bin ich damit überfüttert worden.“ Und dann, nach kurzer Pause: „Hast du Hunger?“

      „Ein bisschen, ja.“

      „Sollen wir in die Stadt fahren?“

      „Nach Tanger?“

      Er lachte kurz.

      „Natürlich, wohin sonst!“

      Sie überlegte einen Augenblick. Dann sagte sie: „Nein, ich möchte lieber hier bleiben.“

      Er nickte.

      „Auch gut. Dann werde ich mal sehen, was noch im Kühlschrank ist!“

      Am nächsten Morgen erwachte Elsa in einem Bett, das nicht das ihre war. Sie war nicht in ihr Hotel zurückgekehrt, sondern hatte die Nacht mit Robert verbracht.

      Sie wunderte sich ein wenig über sich selbst und ihren Mut, und jetzt, im Rückblick, erschien ihr immer noch alles als sehr ungewöhnlich.

      Es war wie beim Anschauen eines Films, der einen zwar berührt, aber bei dem man doch Zuschauer bleibt - ohne Einfluss auf den Gang der Ereignisse.

      Elsa dachte an die vergangene Nacht und lächelte still, ohne dabei die Augen zu öffnen. Ihre Hand ging zur Seite, aber da war nichts.

      Robert war wohl schon aufgestanden. Sie setzte sich auf und rieb sich