Was auf Deutsch nichts anderes heißt als: eine ganze Kippe voll mit Informationsmüll. Manche Autoren schütten ihren Lesern einen Haufen davon vor die Füße, nach dem Motto: »Da, habt ihr, sucht euch raus, was ihr brauchen könnt. Und wenn ihr fertig seid, legen wir mit der Geschichte los.«
Statt in die Geschichte einzusteigen, wird erst einmal um den heißen Brei herumgeschlichen. Ach ja, da fällt mir noch das ein. Und geschlichen ... Und dann müsst ihr noch das wissen. Und geschlichen ... Und wenn es dann losgeht, ist der Brei kalt und der Leser vergrätzt. Und greift hungrig zur nächsten Schüssel. Der von einem besseren Koch.
In einigen Genres wird naturgemäß mehr Müll ausgekippt. Leser von Fantasy und SF, aber auch solche von historischen Romanen sind es gewöhnt, sich erst durch viele Seiten hindurchzuwühlen, bis es mit der Geschichte losgeht. »World building«, Weltenbau nennt man das so schön. Nicht wenige genießen dieses ganze Drumherum sogar, für sie sind die kleinen Anekdötchen am Rande, die wenig bis nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun haben, nicht das Haar, sondern das Salz in der Suppe. Oder die Suppe selbst. Oder, um im Bild zu bleiben: der heiße Brei. Den sie gerne auch kalt genießen, denn bei dem ganzen Drumherumgeschwätz bleibt selbst der heißeste Brei nicht warm.
Zugegeben: Das Wort Müll ist in vielen Roman unangebracht. Oft sind die Informationen nett und lesenswert aufbereitet. Vielleicht ist gerade das das Problem. Wäre die Informationen tatsächlich Müll, würden die meisten Autoren und spätestens ihre Lektoren das merken und den Müll trennen vom Rest des Romans. Schöne und gelungene Stellen streicht man aber nicht so gerne. Oft geht es auch gar nicht ums Streichen. Sondern ums Verlagern der Information dorthin, wo sie notwendig ist oder ihre dramaturgisch größte Wirkung erzielt.
Schreiben ist eben nicht nur die richtigen Worte finden, sondern diese auch an den richtigen Stellen zu platzieren.
Wer hat den Prolog etwa von »Der Herr der Ringe« wirklich genossen? Und wer, um aktuell zu bleiben, braucht wirklich schon zu Anfang all die netten, kleinen Histörchen und Informationen über die phantastische Welt, die Andreas Gößling in seinem Fantasy-Roman »Der Ruf der Schlange« (Klett-Cotta 2010) zu Beginn vor dem Leser ausbreitet? Nach dem dramatischen Prolog wird erst einmal der Held beschrieben – und so ziemlich alles andere auch.
Das 1. Kapitel beginnt so:
Auf dem Schindanger vor dem Schiffstor von Phora baute ein bakusischer Zirkus seine Zelte auf und damit begannen Samu Rabovs Probleme. Jedenfalls sollte er auch später noch hartnäckig an dieser Version festhalten.
In Wahrheit hatten seine – und keineswegs nur seine – Schwierigkeiten lange vorher angefangen. Jahre zuvor, an einem von Schlingpflanzen mit fleischigen Blättern und tiefgründigen Blüten (schorfroten, mitternachtsblauen) überwucherten Ort im zarketumesischen Nebelwald, dessen Name Rabov damals nicht einmal hätte buchstabieren können.
Naxoda. Gesprochen, unterwarteterweise: Nachkodá.
Es war ein Spätsommertag im Jahr 713 neuer Zeit. Die Einwohner von Phora, Hauptstadt des Vereinigten Dinubischen Königreichs, dämmerten oder delirierten in der drückenden Schwüle, je nach Herkunft und Temperament. Auch Samu Rabov hatte gerade erst seinen Frühstückstee geschlürft …
Nach einem einzigen Absatz verlässt der Autor die Erzählgegenwart und nimmt den Leser, der noch nicht an dem neuen Ort, Phora, angekommen ist, gleich wieder mit in eine andere Zeit, an einen anderen Ort.
Anschließend wird der Leser über die Magie vor Ort aufgeklärt und über Rabovs Arbeit als Ermittler. Danach berichtet der Autor über Rabovs Ex-Geliebte, anschließend über die gestrige Begegnung mit einer Hellseherin, um dann noch tiefer in die Vergangenheit zu gehen und über die Zeitenwende und das Klima zu berichten.
Rabov sitzt derweil noch immer beim Frühstück. Nach einigen weiteren Gedanken über Magie, seinen Laden und seine Ex-Geliebte steht Rabov auf und geht vor die Tür.
Dort erinnert er sich sogleich an eine Begebenheit mit einem böswilligen Verwandlungsmagier, der ihm sein Ladenschild verändert hat. Dann ist das 1. Kapitel zu Ende.
Passiert ist gar nichts.
Im 2. Kapitel läuft Rabov durch die Stadt, erinnert sich an dies und an jenes, denkt nach über seine Nachbarn, über die Stadt, über seine Karriere. Am Ende des 2. Kapitels trifft er oben erwähnten Verwandlungsmagier. Das ist das erste Ereignis in der Erzählgegenwart. Dann dauert es jedoch noch das komplette, mehrere Seiten lange 3. Kapitel, um eine einzige kleine Information rüberzubringen.
Das ist alles keineswegs schlecht und steckt voller liebenswerter Details. Der Trott wird manchem Leser gefallen, der gerne durch die Auslagen mit Beschreibungen und Anekdoten schlendert. Aber ist es gut genug, viele Leser für den Roman zu begeistern? Ist es gar optimal?
Ein Infodump verhindert, dass die Handlung in Gang kommt. Das allein schreckt viele Leser ab. Schlimmer sind die Folgen. Zu einem Helden, der nicht handelt, sondern nur nachdenkt, baut der Leser nur schwer eine emotionale Verbindung auf. Nicht minder schlimm: Informationen, die nicht in Handlung eingebunden und – mitschreiben! – nicht von der Handlung gefordert werden, interessieren weniger oder gar nicht.
Beispiel. Sie können Ihren Lesern erzählen, dass ein tasmanischer Teufel ein unberechenbares Biest mit scharfen Zähnen ist und verdammt viel Kraft im Kiefer ist. Oder Sie zeigen das Tier, wie es die Schwiegermutter des Helden erst in die Wade beißt und dann, als die Frau kreischend zu Boden fällt, sich über ihr Gesicht hermacht und der Held es nicht mehr von ihr herunterkriegt. Obwohl er seine Schwiegermutter mag. Ehrlich.
In Fantasy- und SF-Romanen wird das dadurch gravierender, dass sich fantastisch klingende Namen, Orte, Gegebenheiten schwieriger merken lassen. Überhaupt sorgt schon unser Gehirn dafür, dass ein Infodump nicht funktioniert: Zu viel Information auf einmal überfordert schlicht unser Gedächtnis.
Was hilft dem Gedächtnis? Richtig: Handlung und Dynamik. Information, die in Handlung eingebettet ist oder dynamisch geschildert wird, lässt sich leichter merken.
Schlimmstenfalls enthält der Infodump eben nicht nur Nettes, aber Belangloses, sondern Informationen, die der Leser später braucht, um der Handlung folgen oder den Roman ausgiebig genießen zu können.
Der Vorteil: In einem Infodump lassen sich Informationen bewusst verstecken.
Der Nachteil: Meistens wird alles Wichtige so tief begraben, als hätte es niemals das Licht der aufgeschlagenen Buchseite erblickt. Dann entgehen dem Leser die Punkte, an denen der Autor später anknüpft. Statt »Aha!« gibt es vom Leser bloß ein »Hä?«.
Gerade bei unerfahrenen Autoren führt das Bedürfnis, sich sklavisch an die Chronologie zu halten, eben zu Infodumps. Niemand zwingt Sie, die Handlung streng chronologisch zu erzählen. Es ist nicht die Chronologie, der Sie sich verpflichtet fühlen sollten, sondern die Dramaturgie.
Letztlich gilt für die Darstellung und Aufbereitung von (unverzichtbaren) Informationen das Gleiche wie für alle Bestandteile Ihres Romans: Auch Informationen sollten sich prägnant und spannend lesen.
[Meinen Dank an Kai, durch dessen wertvollen Kommentar im Blog ich diesen Artikel weiter vertiefen konnte.]
Auslagern von Persönlichkeitsmerkmalen auf Nebenfiguren
Wenn Engel und Teufel um eine Seele streiten
Ihr Roman lässt sich vertiefen, indem Sie mit Subplots das Thema aus einer anderen Sicht beleuchten oder die Prämisse auf eine andere Art beweisen oder widerlegen. Bei Ihren Charakteren können Sie alternative Aspekte der Heldin mittels Nebenfiguren zeigen und – das ist besonders hilfreich – auch agieren lassen.
In Ihrem Roman »Die Wand« (Mohn Verlag 1963) lagert die Autorin Marlen Haushofer Facetten, Eigenschaften ihrer Heldin auf andere Figuren aus. In dieser Endzeitvision aus