»Nein, und bald gehe ich nach Berlin, meine Tochter wohnt dort. Mein erstes Enkelkind kommt in wenigen Wochen.« Danis Gesicht nahm harte, strenge Züge an, die nicht so recht zu diesem schönen Thema passen wollten. Dann erhob sich die Öko-Verkäuferin abrupt, lächelte und meinte: »Als mein Fahrrad weg war, habe ich mich nach einem neuen umgesehen und habe was viel besseres gefunden. Komm doch mit nach hinten durch, hinter dem Haus steht mein fahrbarer, umweltfreundlicher Untersatz. Damit erledige ich die meisten Fahrten fürs Geschäft.«
Interessiert folgte Tania ihr durch den hinteren Raum, der im Grunde nichts anderes als eine kleine Wohnküche war. Alles eher provisorisch und rustikal, mit losen Regalbrettern auf Metallhalterungen. Er schien auch als Büro genutzt zu werden, es stand ein aufgeklappter Laptop auf dem Küchentisch, Rechnungen hingen ordentlich nebeneinander an einer Pinnwand und ein großer Wandkalender mit ein paar Eintragungen hing neben der Hintertür, die in den alten, verwahrlosten Garten führte.
»Hier, das ist mein ganzer Stolz - zumindest so lange, bis mein Enkelkind kommt- es wird übrigens ein Mädchen.« Bei diesen Worten strahlte Dani jetzt doch. »Was lange währt, wird endlich gut.«
Sie führte Tania über einige gebrochene, uneben gewordene Steinplatten hinweg hinter das Haus und wies zu einem neuen Carport, der seitlich an das Haus angebaut war. Unter dem Dach standen ein neu aussehender Motorroller und ein passender Anhänger.
»Das ist ein Elektroroller. Der verpestet nicht die Luft, und der Strom kommt von den Solarzellen auf dem Dach.« Sie wies stolz auf einige grauschwarze Platten auf dem Dach des kleinen Geschäftshauses. »Wenn genug Sonne scheint, brauche ich nicht mal Strom aus der Steckdose.« Sie blickte ein wenig wehmütig in das Grün, das im alten Garten ineinander wucherte, Brombeersträucher waren mit Efeu verschlungen und überwucherten kräftige Johannis- und Stachelbeersträucher.
»Es wird nicht mehr lange dauern, dann hat der Besitzer einen Käufer gefunden, der hier einen Koloss von Mehrfamilienhaus hinsetzt. Das kennt man ja schon von anderen Grundstücken in dieser Straße.
»Aber dieser Motorroller wäre was für Jakob, das kann ich ihm nachher erzählen, wenn ich ihn anrufe.« In Gedanken rechnete Tania nach und stellte fest, dass die vierundzwanzig Stunden Nachrichtensperre fast geschafft waren.
»Und denk an den Honig, den will ich gerne ins Sortiment aufnehmen.«
»Gerne, ich bringe in den nächsten Tagen ein paar Probegläser vorbei.«
Tania blickte zur Uhr und erschrak, wenn sie sich jetzt nicht beeilte, kam sie wieder zu spät zur Arbeit.
»Du kannst hier an der Seite neben dem Motorroller entlanggehen, ich schließe die Tür zur Straße auf.«
Als Tania wieder im Wagen saß, fühlte sie sich erleichtert, ganz so, als ob sie eine große Last bei Dani abgeladen hatte. Die Erkenntnis, dass sie sich bei ihr gut aufgehoben fühlte, obwohl sie sie erst am Vortag etwas näher kennen gelernt hatte, verursachte trotzdem ein komisches Gefühl in der Magengegend. Aber so war es wohl einfach, wenn die Chemie auf Anhieb stimmte. Diese Frau hatte etwas mütterlich Beschützendes. Mit Hassan verhielt es sich auf einer anderen Ebene ähnlich, sie hatten beide locker geplaudert, während sie mit Föhn und Bügeleisen seine Dienstkleidung wieder einigermaßen in Form gebracht hatten. Sie musste ihn nachher unbedingt anrufen und auf einen Kaffee in die Baguetterie einladen, das hatte er sich verdient. Ihr fiel in diesem Zusammenhang der Mann ein, der sich ungewollt seinen Kaffee versalzen hatte. In dessen Blick zum Abschied schwang etwas besonderes mit, das bildete sie sich nicht ein. Sie kaute grübelnd auf ihrer Unterlippe herum.
Nein, wahrscheinlich kam ihr das alles nur so vor, weil sie sich gerade ein wenig von Jakob löste und unbewusst neue Kontakte suchte. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf und fuhr endlich los.
10
Kriminalkommissar Burkhardt saß seufzend an seinem Schreibtisch und atmete tief aus. Viel Schlaf hatte er nicht bekommen, bevor er sich wieder auf den Weg ins Präsidium gemacht hatte. Aber er wollte vorankommen an diesem trüben Tag.
Nachdem er sich eingehend über die aktuelle Lage in seinem Fall informiert hatte, hielt er sich an seine festgelegte Vorgehensweise, spiralförmig von innen nach außen. Es lockte ihn zwar, zuerst Kontakt zum Autobesitzer aufzunehmen, aber die erste Zeugin des gestrigen Abends ging vor. Niemand brauchte zu ahnen, dass er weder Namen noch Telefonnummer dieser jungen Frau notiert hatte, Hauptsache man wusste sich zu helfen. An das einprägsame Logo auf dem Firmenwagen des jungen Mannes auf dem Bürgersteig konnte er sich genau erinnern. Ebenso an den Vornamen Hassan, so viele Hassans, die gestern Abend in Oberneuland zum Dienst eingeteilt waren, gab es sicher nicht.
»Objektschutz BVK, mein Name ist Janine Schulz, was kann ich für Sie tun?«
Burkhardt wippte ungeduldig in seinem gepolsterten Bürostuhl, ließ das einstudierte Gesäusel über sich ergehen und kam dann zu Sache.
»Burkhardt, Kriminalpolizei Bremen, ich muss mit Ihrem Mitarbeiter Hassan sprechen.«
»Moment, ich verbinde mit unserem Geschäftsführer.«
Das hatte Burkhardt nicht beabsichtigt, ging aber so schnell, dass es sich nicht aufhalten ließ.
»Ja, bitte?« klang ihm entgegen.
»Es geht um eine Zeugenaussage.«
Am anderen Ende der Leitung blieb es einen Moment zu lange still.
»Könnten Sie mir bitte seine Handynummer, die Anschrift und den Nachnamen nennen?«
»Um diese Einzelheiten kümmert sich gleich meine Sekretärin.«
Burkhardt blieb keine Zeit mehr, sich zu verabschieden, denn es klackte und er wurde mit der Sekretärin verbunden. Wenigstens bei ihr konnte er sich bedanken, nachdem er die gewünschten Daten erhalten hatte.
Als er sein Büro hinter sich abschloss, merkte Burkhardt doch, dass ihm viele Stunden Schlaf fehlten, deshalb machte er einen Abstecher in die Teeküche, um sich noch eine Dose Energy-Drink aus dem Kühlschrank zu holen.
»Ach, hallo Herr Arndt.« Sein Vorgesetzter stand fluchend an der Spüle und hantierte an einem widerspenstigen Plastikdeckel. Es fiel ihm kein belangloser netter Satz ein. Das kannte er von sich, wenn er eine Antipathie gegen jemanden hegte, schien ein Teil seines Gehirns einzufrieren, dass kein auflockernder Smalltalk zustande kommen konnte.
Seinem Vorgesetzten fiel aber genug ein. »Ja, so ist das, wenn man Verantwortung trägt, dann schläft man zu wenig und man macht Überstunden ohne richtig zur Ruhe zu kommen.« Burkhardt entging nicht der missbilligende Blick in sein müdes Gesicht und danach auf die Dose in seiner Hand. »Übertreiben Sie es nicht, der Fall löst sich bald von selbst, das spüre ich. Und passen Sie besser auf, eine Zeitung hat Fotos von der Leiche im Pavillon angekündigt. Wenn es jetzt zu Panikausbrüchen und ständigem Fehlalarm kommt, mache ich Sie dafür verantwortlich.«
Wie konnte sein Vorgesetzter bloß so ruhig und nebensächlich dermaßen ätzende Worte aussprechen. Wieso sollte er die Verantwortung übernehmen, wenn irgendeiner der Beamten die Leiche fotografiert hatte, um mit den Bildern Geld zu machen? Grußlos verließ Burkhardt die Teeküche und machte sich auf den Weg zu Hassan Domoglu.
11
Das Haus lag in einem der älteren Siedlungsgebiete im Bremer Osten, nahe des Eisenbahnausbesserungswerks. In der ruhigen Straße fand er einen komfortablen Parkplatz direkt vor dem großen Gebäude. Die Straße war menschenleer. Sein geübter Kriminalistenblick wanderte an der sanierten Fassade hoch. Es handelte sich um ein Gebäude, das fast wie eine Villa wirkte, in dem aber augenscheinlich viele kleinere Wohnungen untergebracht waren. Zumindest gab es acht Briefkästen neben der breiten Eingangstür. Diese Häuser waren Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts für die Eisenbahner und ihre Familien erbaut worden und boten heute günstigen Wohnraum. Hier wollte nicht mehr jeder wohnen, obwohl alles gut