Es sind doch nur drei Wochen. Tom Sailor. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tom Sailor
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753108988
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gestampft werden. Nun gibt es einen eigenen Brunnen, etwa 20 Häuser im Bungalowstil, einen Notstromdiesel, eine Kantine und einen Zaun um das Camp. Es hat nur 3 Monate gedauert, bis eine minimale Infrastruktur vorhanden war, so dass weitere Spezialisten nachreisen konnten, um mit dem eigentlichen Bau des Kraftwerkes zu beginnen. Vor drei Jahren gab es hier nur den nackten Wüstenboden. Alles, was Erik nun hier sehen kann, musste erst von weit her angeliefert werden. Es gab weder Wasser noch Strom und kein einziges Haus. In den letzten Jahren hat sich vieles eingespielt. Der Eingang wird von einem Inder bewacht, der in einem leicht windschiefen Holzverschlag steht, der nur entfernt an den Unterstand einer Wache erinnert. Die Fahrzeuge halten genau vor dem schiefen Wachhäuschen und der Wachmann grüßt mit der Hand am Kopf. Kaum haben die Fahrzeuge gehalten, kommt ein stattlicher Europäer aus dem Haus neben dem Eingangstor. Er ist etwa 50 Jahre alt und trägt eine Baskenmütze. Später erfährt Erik, dass diese Mütze die fehlenden Haare in der Mitte verdecken sollen und so gut wie nie abgenommen wird. Dafür sind die Büschel rechts und links neben der Mütze viel zu lang und auch sein Bart erscheint etwas wild. Mit seinen 1,90 m, dem dicken Bierbauch und seinem Bart gibt er ein stattliches, imposantes Mannsbild ab. Strahlend empfängt er Erik.

      »Na endlich, wir haben hier schon drei Tage auf dem Trockenen gesessen!«, ruft er Erik mit seiner tiefen rauen Stimme zu.

      Erik schaut ihn fragend an. Doch der Kollege reagiert nicht auf Erik, sondern pfeift einmal kurz, woraufhin vier junge Inder fast rennend erscheinen und sich sofort um die Kisten und das Gepäck kümmern. Es sind vor allem die Kisten, die Erik noch zusätzlich aus dem Büro in Delhi erhalten hat, die nun in einen Raum neben dem Eingangstor getragen werden. Erik folgt dem Kollegen und schaut ihm über die Schultern, als der sofort die erste Kiste öffnet. Jede der Kisten ist vollgepackt mit Bier und Weinflaschen. Mit einigen kurzen Gesten weist der Kollege mit der Baskenmütze die jungen Inder an, einige der Flaschen in die umstehenden Kühlschränke zu packen. Erst jetzt dreht er sich zu Erik um.

      »Ich bin Wilfried!«, sagt er zufrieden lächelnd und streckt seine Hand aus. »Ich höre aber besser auf Willy!«, erläutert er seinen Spitznamen. Erik reicht ihm die Hand und sagt: »Hallo Willy, ich bin Erik.« Gleichzeitig hat er den Eindruck, als ob Wilfried ihm die Hand zerquetschen will. Es stellt sich heraus, dass Wilfried neben seinem Job im Kraftwerk als Lagerist auch der Campverwalter ist.

      »Wie es aussieht, gab es keine Probleme mit dem Transport?«, stellt Wilfried fest.

      »Nein, es sind ja immer genug Träger da«, erwidert Erik.

      »Ja ja, schon klar, das meine ich auch nicht. Jeder Bundesstaat in Indien hat andere Gesetze hinsichtlich des Alkoholkonsums!«, erläutert Willy und nimmt eine Weinflasche in die Hand. Er zeigt Erik das Etikett auf dem deutlich lesbar steht »Only for sell and consumption in Delhi district«.

      »Na prima,« denkt Erik etwas irritiert, »habe ich mich also auch noch als Schmuggler verdingt.« So langsam wird ihm klar, dass die Reise auch anders hätte verlaufen können. Wenn er in einer Kontrolle festgenommen worden wäre, hätte es sicher ewig gedauert, bis man ihn gefunden hätte. Die Zeit im Knast wäre vielleicht noch irgendwie zu überwinden gewesen, aber er hätte dort womöglich etwas essen und trinken müssen, was ihm mit Sicherheit nicht bekommen wäre. Erleichtert stellt Erik fest, dass es ja gut gegangen ist. Erst nachdem Wilfried die Flaschen in den Kühlschrank gestellt hat, wendet er sich an einen der Boys und zeigt auf die Kühltaschen.

      »Bring to kitchen!«

      »Und was habe ich da mitgeschleppt?«, hakt Erik nach.

      »Das ist Fleisch.«, erwidert Wilfried. »Wir haben einen Schlachter in Delhi, der untersucht das Fleisch nach dem Schlachten, so dass wir einigermaßen vor Trichinen und so sicher sind. Hier in der Gegend gibt es keinen Schlachter, von dem ich was kaufen würde.«

      »Was brauchst Du an Personal?«, fragt er Erik.

      »Was gibt es denn für Personal?« erwidert Erik.

      »Üblich ist ein Hausboy zum Putzen.«, erklärt Wilfried.

      »O. K., ich denke ein Hausboy für die Reinigung wäre brauchbar.«, erwidert Erik.

      »Nun gut, ich werde mal sehen, wen wir da noch haben.«, erwidert Wilfried und dreht sich wieder zu den Kisten mit den Alkoholvorräten.

      »Wo werde ich denn hier übernachten?«, fragt Erik nach.

      Wilfried stutzt etwas, wobei erkennbar wird, dass er vergessen hatte, Erik entsprechend einzuweisen und kommandiert schließlich einen der Boys ab, mit Erik zu seinem neuen Haus zu gehen, wobei dieser dann Eriks Koffer mit den Rollen hinter sich her zieht. Mit einem Auto kann man nicht in das Camp fahren. Es sind nur Fußwege mit Betonplatten angelegt, so dass das Surren der Räder von Eriks Koffer durch ein rhythmisches Klackern unterbrochen wird, wenn die Rollen wieder eine Ritze queren müssen. Eriks Haus liegt ganz am Ende und trägt die Hausnummer 1. Gespannt öffnet Erik die Tür und ist gleichzeitig erleichtert, dass er es endlich geschafft hat. Er ist an seinem Ziel angekommen. Es ist allerdings recht dunkel im Haus, da alle Vorhänge zugezogen sind. Als Erik die Vorhänge aufzieht, dauert es kurz, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt haben. Alle Fenster sind mit Insektennetzen abgespannt. Trotzdem sind die Fenster äußerst staubig, so dass kein klarer Blick möglich ist.

      »Das wird wohl der erste Job für meinen Putzboy!«, beschließt Erik bei dem recht trüben Ausblick. Die Einrichtung ist äußerst spärlich, aber brauchbar. Die Wände haben keine Tapeten und sind stattdessen mit einer hellgelben Farbe direkt auf den Putz gestrichen. Für die Gebäude war eine indische Baugesellschaft zuständig. Um Kosten zu sparen, wurden die Möbel in einer lokalen Tischlerei mit der Hand hergestellt. Die teilweise grobe Handarbeit ist den Möbeln deutlich anzusehen. Für die lokalen Verhältnisse handelt es sich aber sicher um Luxusobjekte, die nur wenige Inder in ihren Häusern haben dürften. Leider ist bei der Herstellung nur begrenzt auf Qualität geachtet worden. Trotzdem die Gebäude gemauert wurden, haben sich schon nach wenigen Wochen die ersten Risse gebildet. Der Putz bröckelt an vielen Stellen von der Wand. Erik kann auf dem Boden einige Reste entdecken, so dass der Putz einem wohl auch regelmäßig auf den Kopf fallen dürfte. Das Bad ist ebenfalls indischer Standard. Ein etwa 10 qm großer Raum mit einem winzigen Waschbecken und einer Dusche, die gleichzeitig die Toilette beregnet.

      Erik zieht seinen Koffer ins Schlafzimmer und sieht, dass auch das Bett mit einem Moskitonetz versehen ist. Jeder Raum verfügt über eine in die Wand eingelassene Klimaanlage. Diese funktioniert wie ein Kühlschrank, wobei sich der Wärmetauscher außerhalb des Hauses befindet und der innere Teil eine deutlich kühlere Luft in das Zimmer bläst. Sowohl der kalte Luftstrom als auch der Lärm im Betrieb empfindet Erik als störend, so dass er die Klimaanlage zunächst abschaltet. Als erstes verstaut er dann seine mitgebrachten Lebensmittel und sortiert anschießend die Wäsche in den Schrank. Schließlich setzt er sich auf das Bett, wippt einmal kurz und legt sich dann probeweise hin.

      »Na ja, Luxus buchstabiert sich sicher anders, aber für drei Wochen sollte es wohl reichen.«, sinniert Erik.

      Episodenhaft erscheinen einzelne Szenen seiner Reise vor seinen Augen, so dass er nicht bemerkt, wie er einschläft. Eine halbe Stunde später wacht Erik völlig verschwitzt wieder auf. An einen erholsamen Schlaf ist nicht zu denken. Es ist einfach zu heiß. Da erst bemerkt Erik die Ruhe. Die Klimaanlage in den anderen Zimmern läuft auch nicht mehr. Das Licht geht auch nicht.

      »Dann haben wir wohl einen Stromausfall.!« stellt Erik fest. Um etwas frischer zu werden, beschließt Erik, zu duschen. Er dreht den Hahn auf, woraufhin ein kurzer Wasserstrahl herausschießt, aber augenblicklich mit einem gurgelnden Röcheln versiegt. Ohne Strom gibt es wohl auch kein Wasser, stellt Erik fest. In der Ecke stehen mehrere große Kübel und Wannen im Bad. Langsam dämmert Erik, dass Stromausfälle wohl öfters passieren und die Behälter dazu dienen, Wasser zu sammeln. Auch die nächste Idee, sich einen Kaffee zu kochen, muss Erik wieder verwerfen. Ohne Strom läuft auch keine Kaffeemaschine. Erik wird langsam bewusst, wie anfällig die Welt ist, in der er in Europa lebt. Ohne Strom würde in einer technisierten Welt alles zusammenbrechen. Mit einem Mal wird Elektrizität, die in Europa als Selbstverständlichkeit gilt, ein echter Luxus. Wie Erik so dasteht und darüber grübelt, dass in Europa der Strom fast genauso dringend benötigt