„Aber, wir haben doch gar nicht...“, versuche ich, mich zu rechtfertigen.
„Tilo, überlege dir genau, was du jetzt sagst!“, unterbricht mich der ABV mit ruhiger Stimme. „Du willst sicher nicht behaupten, dass ein staatlicher Ordnungshüter die Unwahrheit sagt, oder?“ Obwohl es wie eine Frage formuliert ist, spüre ich deutlich, dass es sich um eine Anordnung von oben handelt.
„Nein, natürlich nicht.“, nuschle ich und lasse die Schultern hängen.
„Bist du ein Rocker, Tilo?“, fragt mich Oberleutnant Schubert weiter mit sanfter Stimme.
„Nein, natürlich nicht.“, antworte ich wahrheitsgemäß. Ich bin doch kein Rocker. Metaller, ja, aber Rocker? Niemals!
„Bist du ein Tramp?“, hakt der ABV weiter nach.
„Nein.“ Ich muss mich zusammenreißen, über diesen Begriff, der schon seit Jahrzehnten aus der Mode ist, nicht lauthals zu lachen.
„Dann sorge dafür, dass dem auch so bleibt!“, erwidert Oberleutnant Schubert und blickt mich eindringlich an. „Und auch du bleibst besser in der Spur, Sven!“, fügt er an meinen Bruder gewandt hinzu.
„Rowdytum, Vandalismus und Sachbeschädigung sind keine Kavaliersdelikte.“, doziert der Polizist nun für die ganze Familie. „Sie führen zu deutlichen Konsequenzen und werden von den Ordnungskräften der Polizei rigoros verfolgt. Jeder muss seinen Beitrag für das Wohlergehen aller in diesem Land leisten. Da haben wir keinen Platz für Herumtreiber, Verweigerer oder Störer. Am Ende endet ihr noch wie diese Punker.“ Das letzte Wort spuckt er förmlich in die Küche.
Meine Mutter bricht in einen heftigen Weinkrampf aus. Hilflos sitzt sie auf ihrem Stuhl und schluchzt hemmungslos vor sich hin. Vater schickt abwechselnd seinen beiden missratenen Söhnen zornige Funkenblitze und seiner nervlich völlig aufgelösten Frau hilflose Blicke aus seinem rot angelaufenen Gesicht entgegen.
„Nun, ich bin mir sicher, ihr werdet wieder in die richtige Bahn finden. Ich dachte nur, es ist besser, frühzeitig präventiv tätig zu werden, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.“, fasst Oberleutnant Schubert den Grund seiner Visite noch einmal zusammen.
Bei dem Punkt mit dem Kind und dem Brunnen schluchzt meine Mutter erneut laut auf.
Der ABV tippt sich an die Mütze und macht sich eilig aus dem Staub.
Mutter ist nicht zu bremsen und heult immer lauter werdend vor sich hin.
„Raus mit euch!“, brüllt mein völlig überforderter Vater. „Auf eure Zimmer! Alle beide! Ich will euch hier heute nicht mehr sehen!“ Er winkt mit dem rechten Arm Richtung Küchentür. Sven und ich ergreifen die sich uns bietende Chance, dem Familiendrama zu entfliehen. Alles in allem scheinen wir noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen zu sein.
„Kein Fernsehen für eine Woche!“, brüllt Vater uns noch hinterher, als wir schon den Flur erreicht haben.
Bevor Sven in seinem Zimmer verschwindet, dreht er sich noch einmal um, verdreht die Augen und grinst mir verschwörerisch zu. Offenbar hat dieser Spätsommer mehr als nur einen Rebellen in der Familie Reichel heranwachsen lassen.
Inzwischen hat sich die Lautstärke von Mutters Weinattacken nach unten gepegelt. Nur vereinzelt höre ich noch herzzerreißende Schluchzer durch die dünnen Wände bis in mein Zimmer dringen. Dafür werden die Stimmen unserer Eltern von Minute zu Minute lauter. Schon bald werfen sie sich wütende Wortfetzen um die Ohren. Wieder einmal gibt es einen lautstarken Streit im Hause Reichel, so einen, von dem die ganze Hausgemeinschaft etwas hat. Ich wette, selbst der schwerhörige Herr Bergmann im 11. Stock kann noch alles genau verstehen. Und Schuld daran sind allein ich und Sven.
Ich will gar nicht hören, was sie sich wieder an die Köpfe werfen. Zum Selbstschutz lege ich Roberts Kassettenkopie von Blitzz in meinen klapprigen Rekorder mit dem wunderbaren Namen Anett, stecke die Kopfhörer an und ziehe mich in meinen eigenen, ganz privaten Schutzraum zurück.
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