Fünf Tage - Thriller. Stefan Heidenreich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Heidenreich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847642831
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Und die Regelmäßigkeit, in der die Patienten eintrafen, gehörte mit Gewissheit dazu.

      „Na gut, darum können wir uns auch noch später kümmern“, sagte Thomas. „Lass uns erstmal sehen, was wir in euren aktuellen Dateien finden.“

      Thomas nahm Block und Stift zur Hand, und während Rene eine Seite nach der anderen aufrief, machte er sich ein paar Notizen. Ob den drei Patienten, die zurzeit auf seiner Station lagen, auch wieder nur fünf Tage bleiben würden, das wussten sie zwar nicht, aber sie gingen vorerst davon aus. Was ihnen im Laufe des Abends auffiel, war die Tatsache, dass keiner der Patienten bereits mit einer Krebsdiagnose eingeliefert worden war. Zwar verbrachten zwei von ihnen immer wieder mehrere Wochen zwischendurch zu Hause, aber die endgültigen Krebsdiagnosen wurden alle ausschließlich im Krankenhaus gestellt.

      Frau Schumann, die 69-jährige Rentnerin, klagte ursprünglich über Schmerzen in den Knien. Von ihrem Hausarzt wurde sie zu den verschiedenen Fachkollegen geschickt, bis sie schließlich im Krankenhaus landete. Zwei Tage später wurden die Untersuchungen abgeschlossen und das Ergebnis der Patientin mitgeteilt: Leukämie im Endstadium.

      Bei Herrn Waldner, dem vierzigjährigen Hartz-IV-Empfänger, wurde der Lungenkrebs festgestellt, nachdem er sich bei irgendwelchen Maurerarbeiten verhoben hatte. Rene erzählte er, dass er früher in einer ganz normalen Stadtwohnung lebte, inzwischen aber fest in einer kleinen Laube der wenigen noch verbliebenen Kleingartenkolonien wohnte. Der Versuch dort einen kleinen Anbau zu erstellen, endete im Krankenhaus, weil er schon nach einer Stunde Arbeit heftige Schmerzen in der Brust bekam. Es dauerte vier volle Stunden, bis er sich schließlich jemanden bemerkbar machen konnte. Und wäre nicht zufällig eine Nachbarin auf ihn aufmerksam geworden, die später auch die Feuerwehr alarmierte, dann wäre er wahrscheinlich unter schrecklichen Schmerzen noch vor Ort verhungert.

      Das Unglaubliche an diesem Fall war, dass Herr Waldner Rene gegenüber immer wieder beteuerte nie in seinem Leben geraucht zu haben.

      Bei dem letzten der aktuellen Patienten handelte es sich um Saskia. Sie war eigentlich nur vom Baum gefallen und hatte sich ein Bein gebrochen. Diagnose: Knochenkrebs.

      In der ersten Phase waren drei unterschiedliche Ärzte zuständig, die unabhängig voneinander ihre Ergebnisse bekannt gaben. Es gab also keinen erkennbaren Zusammenhang.

      Trotzdem wurden Rene und Thomas das Gefühl nicht los, dass irgendwie etwas manipuliert wurde, dass es eine Gemeinsamkeit geben müsse.

      Wie verhielt es sich mit der Reihenfolge, in der die Patienten eintrafen? Wie kamen die Ärzte trotz der ursprünglich unterschiedlichen Beschwerden plötzlich auf Krebs? Warum starben die Kranken immer nach fünf Tagen?

      Thomas war der Erste, der seinen Verdacht offen aussprach. „Es sieht fast so aus, als ob Menschen gezielt auf deine Station gebracht werden, weil sie hier an Krebs sterben sollen. Und damit meine ich nicht den Umstand, dass deine Station eine Hospizfunktion hat, sondern, dass die Leute gezielt getötet werden. Es muss also irgendwelche Zusammenhänge geben. Wenn wir die erkennen, dann finden wir auch den oder die Täter.“

      Rene schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich! Denn das würde bedeuten, dass jemand hier bei uns im Krankenhaus bewusst Menschen umbringt. Aber durch die Tatsache, dass die Behandlungen von verschiedenen Ärzten durchgeführt wurden, macht diese Theorie einfach keinen Sinn. Denke bitte mal an den Fall, der in der Berliner Charité aufgedeckt wurde. Da war es eine einzelne Schwester, die Menschen tötete. Ein sogenannter Todesengel.

      Aber hier müssten sich mindestens drei Ärzte verbündet haben. Zusammengeschlossen für ein Mordkomplott? Absolut undenkbar finde ich. Zudem macht es auch irgendwie keinen Sinn. Ansonsten kämen nur meine Kollegen vom Pflegepersonal infrage, aber für die lege ich meine Hand ins Feuer.“

      Thomas kannte den Fall den Rene angesprochen hatte nur zu gut und erinnerte sich.

      Die Schwester in der Charité glaubte ihren Patienten Sterbehilfe zu leisten. Für die Gerichte stellten Fälle wie dieser ein ernst zu nehmendes Problem dar, weil dabei helfen, etwas anderes ist, als Menschen selbst zu töten. Selbst mit „Töten auf Verlangen“ erwartet diesen Todesengel wahrscheinlich eine lebenslange Haftstrafe.

      Noch einmal ging Rene alle ihm bekannten Fakten durch.

      „Bei uns gibt es einfach nichts, was die Leute miteinander verbindet.“

      „Außer einer Krebsdiagnose, die scheinbar aus dem Nichts entsteht“, fügte Thomas hinzu, bevor Rene weitersprach. „Alle Patienten sind unterschiedlich alt und stammen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten. Und das Entscheidende: Das Ganze geht schon seit mehreren Jahren so. Wir sollten also erst mal weiter all das auswerten, was wir finden. Es muss etwas anderes dahinterstecken.“

      Thomas hörte geduldig zu. Entgegen Renes Theorie glaubte er, dass nicht zwangsläufig eine direkte Verbindung zwischen einzelnen Betroffenen existieren müsse. Er dachte dabei an einen Roman, den er erst kürzlich während seines langweiligen Dienstes im Keller gelesen hatte. Dabei ging es um einen Mann, der scheinbar wahllos Menschen tötete. Insgesamt 26 Opfer gingen letztendlich auf sein Konto. Der Kommissar in diesem Roman fand jedoch heraus, dass der Täter die ganze Zeit über nur einen bestimmten Menschen hatte töten wollen, um ihn zu beerben. Alle anderen sollten die Polizei nur in die Irre führen. Der hinzugezogene Profiler jedoch fand zwar alle Parallelen zu bekannten Massenmördern, konnte sich aber nicht auf einen bestimmten Typ festlegen. Also begann man, jeden Fall für sich selbst zu betrachten. Erst als man anfing nach Einzelmotiven zu suchen, wurde ein solches in einem Fall deutlich erkennbar und führte letztendlich zum Täter. Es stellte sich heraus, dass er außer dem zu Beerbenden keins der Opfer kannte. Er hatte sie zufällig ausgewählt. Nur durch die Tatsache, dass er immer die gleiche Methode anwandte wie bei seinem Verwandten, konnten ihm letztendlich auch alle anderen Morde nachgewiesen werden.

      Die Geschichte war zwar fiktiv, aber warum sollte es keinen Nachahmungstäter geben? Vielleicht hatte jemand zufällig das gleiche Buch gelesen wie Thomas?

      Auch in diese Richtung wollte Thomas ab sofort sein Augenmerk lenken, was bedeutete, dass er noch viele neue Eingabefelder in sein Auswertungsprogramm hinzufügen musste. Die Wichtigsten würden mit Gewissheit die Felder – Nutznießer/Begünstigter und das Feld – mögliches Motiv – sein.

      „Lass uns einfach weiter Daten im Computer sammeln und feststellen, ob wir doch irgendwann Parallelen feststellen. Oder aber das genaue Gegenteil, was eine andere Theorie bestätigen würde, die ich ebenfalls im Moment entwickle, auch wenn ich derzeit noch nicht darüber sprechen möchte. Du müsstest dazu jedoch in deinen Interviews noch zwei bis drei Fragen mit einbauen, die ich dir noch aufschreibe. Hast du mein Laptop dabei? Dann könnte ich schon mal die Daten deiner drei momentanen Patienten eingeben und die Datei meiner Theorie anpassen.“

      Rene holte seinen Autoschlüssel aus dem Aufenthaltsraum und hielt ihn Thomas hin. „Dein Laptop liegt unten in meinem Golf.“ Thomas nahm ihm den Schlüssel aus der Hand. „Du meinst diesen Möchtegern-Rennwagen?“ „Ja, ja, ich weiß. Mit deinem aufgemotzten M3 kann er nicht mithalten. Fährst du eigentlich immer noch Gokart?“

      „Nur noch selten“, antwortete Thomas. „Die haben jetzt gegenüber der Kartbahn eine richtige Rennstrecke für Privatfahrer gebaut. Ich war mit meiner Karre schon einmal drauf. Ein Wahnsinnsgefühl! Übrigens bin ich am übernächsten Wochenende wieder da. Diesmal werde ich meinen Boliden mal richtig ausfahren.“

      Rene begleitete ihn zur Tür und bereits fünf Minuten später brachte Thomas den Autoschlüssel zurück. „Wir telefonieren morgen. Vielleicht sehen wir klarer, wenn wir darüber geschlafen haben. Aber bitte nicht vor 15.00 Uhr anrufen. Wir arbeiten zurzeit in einer Zwölf-Stunden-Schicht“, ermahnte Rene seinen Freund.

      Unmittelbar, nachdem am folgenden Mittag der Wecker gegen 14.00 Uhr geklingelt hatte, machte sich Rene wieder an die Arbeit. Noch während des Frühstücks, das aus einem aufgebackenen Brötchen und einer einzelnen Scheibe Schinken bestand, rief er die nächste Person auf seiner Liste an.

      Es handelte sich dabei um eine Mutter, die vor einem Jahr ihre 17-jährige Tochter verloren hatte. Rene konnte sich an diesen Fall noch gut erinnern, weil der Vater des