»Es wurden hinzugetan« (V. 41) und später »der Herr tat hinzu« (V. 47). Was gemeint ist, liegt auf der Hand: Nicht das Pfingsterlebnis und auch nicht unmittelbar die Predigt des Petrus haben die Leute erreicht. Auch nicht die Entscheidung der Leute, sich taufen zu lassen, war der Grund des Erfolges. Nein, Gott selbst hat dies gewirkt. Er hat gehandelt und die Menschen zum Glauben und in die Gemeinde geführt. ER hat Verstehen geschenkt.
Die Abhängigkeit allen (kirchlichen) Handelns vom Geist Gottes wird wieder sichtbar. Weil dies so wichtig und dennoch oft vergessen wird, habe ich davon schon im Vorwort geschrieben. Alle Verkündigung, jedes Wort über meinen Glauben, Gott und was mir da so wichtig ist, kann nur »ankommen«, wenn Gottes Geist es den Leuten »ins Herz« (V. 37) pflanzt. Die Grundhaltung der Verkündigung kann deshalb nur eine von Demut gekennzeichnete Gebetshaltung sein.
Gottes Geist erwarten
Warum schreibe ich nicht »den Geist erbitten?«
Die Frage ist berechtigt. Wenn die Grundhaltung der Verkündigung ist, dass nur Gott selbst unserer Worte Kraft und Wirkung zu geben in der Lage ist, werden wir um seinen Geist bitten. Das Gebet um Vollmacht und Gottes Eingreifen begleitet uns Christen auch und besonders dann, wenn es um das mit Reden geht, um Sprache und Verkündigung. Ohne Gottes Geist der Liebe können wir »mit Menschen und Engelszungen reden« und wären doch letztlich »ein tönend Erz und eine klingende Schelle!« (1. Kor. 13,1).
Wir bleiben also angewiesen und abhängig von Gottes Eingreifen durch den Geist von Pfingsten – denselben Geist, der schon diese Welt geschaffen hat, sich in der Heilsgeschichte immer wieder als wirksam erwies, den Jesus seinen Jüngern versprach und den die kirchliche Dogmatik später als »Heiligen Geist« als Teil der Dreieinigkeit beschreibt. Ob, wann und wie Gott diesen Geist ausgießt und an wen, bleibt ihm überlassen. Der Auferstandene selbst entscheidet, wem er begegnet. Gott bleibt souverän in seinem Handeln. Er kann dem, was wir erwarten und in einem Buch wie diesem aufschreiben und lesen, auch völlig entgegen wirken, wenn er es will. Er kann sogar Steine zum Sprechen bringen!
Folglich erbitten wir seinen Geist.
Allerdings rechnen wir (hoffentlich) auch damit, dass er ihn tatsächlich schickt. Die kleine Geschichte vom Regengebet haben viele von uns vermutlich bereits gehört: Ein Pastor fordert seine Gemeinde nach Wochen der Trockenheit auf, um Regen zu beten und verspricht, dass Gott es spätestens am nächsten Sonntag regnen lässt. Alle nicken begeistert und versprechen, zu beten. Am Sonntag darauf regnet es immer noch nicht. »Ich weiß, warum!«, wettert der Pastor von der Kanzel. »Niemand von euch hat einen Schirm dabei!«
Wir beten und bitten, gehen aber oft nicht davon aus, dass Gott unsere Gebete tatsächlich erhört. Was den Regen angeht, mag das verständlich sein – was den Geist Gottes angeht, völlig unangebracht. Im Gegensatz zum Regen hat uns Jesus den Geist Gottes immer wieder verheißen und seine Ausgießung verbindlich zugesagt (z.B. Joh. 15-16).
Wie mag es Gott nun gehen, wenn wir ihn immer wieder bitten, den Geist zu schicken? Ob er sich darüber freut? Vielleicht. Vielleicht schüttelt er aber auch mit dem Kopf. »Leute, ihr lebt doch nicht vor, sondern nach Pfingsten! Mein Geist ist bereits unter euch. Ihr müsst ihn nicht vom Himmel herabbeten. Ich bin doch längst da und wirke vielfältig – auch und sogar ganz besonders durch euer Wort!«
Dazu gibt es die schöne Geschichte über Charles Haddon Spurgeon (1834–1892). Einmal soll der begnadete Evangelist einem Predigtkandidaten zugehört haben. Im Anschluss fragte ihn der junge Mann, wie er die Predigt fand. Spurgeon fragte zurück: »Haben Sie etwa geglaubt, dass Gott diese Predigt zu seiner macht?« Frustriert gab der junge Mann zu: »Sie haben wohl Recht. So anmaßend bin ich natürlich nicht.« Die Antwort Spurgeons hatte es in sich: »Genau das war das Problem Ihrer Predigt, junger Mann!«
Ich übertrage dies auf unsere Erwartung der Gegenwart des Geistes Gottes. Ihn immer wieder zu erbitten ist das eine, sich für seine Gegenwart zu bedanken das andere! Pfingsten hat Babylon zwar nicht restlos beseitigt, aber das Nichtverstehen überwunden. Die Ausgießung des Geistes ist geschehen. Wir leben unter einer völlig anderen Vorgabe als die Menschen vor Pfingsten. Wir leben in der Gewissheit des Geistes Gottes. »Sein Wort wird nicht leer zurückkommen!« (Jes. 55,11). Wenn bereits die Verkündiger des Alten Testamentes dies in großer Gewissheit sagen konnten, wie viel mehr dann wir nachpfingstlichen Träger des Wortes!
Geburtstag der Gemeinde-Mission
Pfingsten ist »der Geburtstag der Kirche«. So tradieren und verstehen wir es gerne. Vor allem die etablierten Kirchen feiern Pfingsten als ihren Geburtstag. Dabei sind »Kirchen« im Sinn von Organisationen und Netzwerken mit ihren Regeln, theologischen Bekenntnissen und organisatorischen Apparaten viel später entstanden. Erst nach der konstantinischen Wende 313 n. Chr. begann die Bildung kirchlicher Organisationsformen, wie wir sie heute kennen. Kirchen und Konfessionen sind deshalb niemals vorrangig theologisch zu erklären und zu begründen, sondern zuerst einmal geschichtlich.
Wenn wir Pfingsten als »Geburtstag der Gemeinde« bezeichnen, erscheint es mir deshalb stimmiger. Genau genommen war es zuerst nur die Gemeinde in Jerusalem, die »geboren« wurde. Weitere Gemeinden sind dann durch Paulus und die Apostel gegründet worden. Jenes Pfingstfest in Jerusalem wurde erstmals im Jahr 130 n. Chr. als kirchliches Fest erwähnt – dennoch haben viele der ersten Gemeinden vermutlich den Tag ihrer Gemeindegründung gefeiert, vielleicht sogar schon als Jubiläum. Geburtstag der »Kirche«?
Geburtstag der Gemeinde-Mission erscheint mir dagegen viel zutreffender. Gott erreicht mit seiner Mission (Sendung) des Geistes die Jünger-Gemeinde, die sich hinter verschlossenen Türen ins Getto begeben hatte. Dann erreicht Gott durch die Jünger-Gemeinde die Menschen in Jerusalem und später durch viele Gemeindegründungen den Rest der Welt ... Nur wenn Kirche »missionarisch« ist und wird, erscheint mir der Rückbezug auf Pfingsten als Geburtstag für sie berechtigt.
Die Ausgießung des Geistes als Akt der Mission Gottes (missio Dei) war die Geburtsstunde einer missionarischen Bewegung, die sich später dann in Gemeinden und noch viel später in Kirchen organisierte. Ohne Mission macht Pfingsten absolut keinen Sinn. Die Einladung zum Glauben, die Predigt von Jesus Christus als Retter, Erlöser und Garant der ewigen Liebe Gottes ist unaufgebbarer Bestandteil jeder Verkündigung und gemeindlichen Existenz. So ein Satz wie: »Ja, wir wollen nicht missionieren ...!« aus dem Mund eines kirchlichen Mitarbeiters gibt nicht nur die Bestimmung christlicher Kirche auf, sondern verleugnet auch das Wirken des Heiligen Geistes.
Ja, wir wollen missionieren und wir müssen es! »Wir können es ja nicht lassen, zu reden von dem, was wir gesehen und gehört haben!« (Apg. 4,20). Nur wenn Gemeinden und Christen, also Sie und ich, dies umsetzen, können wir uns auf Pfingsten als Geburtstag der Kirche berufen.
Das missionarische Wort
Alle Worte, die unsere Sprache des Glaubens sucht und findet, stehen folglich im Dienst der Mission Gottes. Wozu reden wir? Wir möchten Menschen in die Gegenwart Gottes führen, möchten sie für das Evangelium öffnen und gehen davon aus, dass der Auferstandene die Herzen erreicht.
Bereits in mit Denken und in mit Machen habe ich entfaltet, dass ich unter »Mission« nicht nur das einseitige Anpredigen oder gar einen bestimmten Stil der Verkündigung verstehe. Nein, Mission ist die gesamte Liebesbewegung Gottes zu seinen Menschen, in die er uns Christen hineinzieht. Das Reden ist allerdings ein Teil davon – ein wichtiger Teil, wie wir gesehen haben.
Auch das Leben der Gemeinde, der Dienst für Bedürftige und das Eintreten für Gerechtigkeit sind missionarische Aufgaben. Bereits in der Pfingsten gegründeten ersten Gemeinde wird dies schnell sichtbar (Apg. 2,41-47).
Das Wort Gottes zu verbreiten steht allerdings meistens im Vordergrund und interpretiert und begründet auch das diakonische Wirken der Gemeinde. Die Apostel predigen, lehren und ermahnen. Der Diakon Stephanus wird nicht wegen seiner diakonischen Arbeit, sondern wegen seiner Predigt zum ersten