Wort des Lebens
Um es deutlich zu sagen: Dieses Denken halte ich für Gotteslästerung. Jener Schöpfer, von dem die Bibel spricht und vor allem, den Jesus Christus uns leiblich vor Augen führt, »tickt« völlig anders. Er schafft etwas. Er baut auf. Er macht lebendig. Er macht Licht und widersetzt sich der Dunkelheit. Er nutzt seine Macht zum Wohl der Menschen. Er setzt sich nicht mit Gewalt durch. Gottes Exekutivmacht ist die Liebe.
Wenn wir also ein Machtwort Gottes erbitten, dann wird Gott in der Art und Weise antworten, wie Jesus seine Macht gezeigt hat. Mit Dienst, mit Vergebung, mit Geduld, mit Ermahnung und mit Liebe ohne Ende! Als die Reformatoren von »sola scriptura« (allein die Schrift) und »sola gratia« (allein aus Gnade) sprachen und zumindest evangelische Christen und Verkündiger sich darauf bis heute beziehen, dann ist dies unauflöslich verbunden mit dem »solus Christus« (allein Christus).
Die Bindung des »Machtwortes« Gottes an den bis zuletzt liebenden Jesus Christus ist also keine Idee einiger Softies unter den Theologen, die den richtenden und vergeltenden Gott ausblenden. Sie ist verbindlich für alle, die sich dem Wort Gottes verpflichtet wissen.
Gottes Wort schafft, entfaltet und ermöglicht Leben. Es widersteht den Todesworten, den vernichtenden und zerstörerischen Kräften um uns herum. Seine Macht setzt der Vater Jesu Christi ein, damit die Dunkelheit durchbrochen und es hell wird. Wir sprechen nicht umsonst von der »Heilsgeschichte« Gottes und von Jesus Christus als dem »Heiland« und dem Heil der Menschen.
Umfassende Gottesherrschaft
Und wie sind Erfahrungen und Entwicklungen einzuordnen, die alles andere als liebevoll daherkommen? Die Bibel spricht davon und wir erleben es Tag für Tag: Es geschieht vieles, was Gottes Willen und Jesu Vorgabe nicht entspricht. Ohnmächtig sind Menschen den Herrschenden und deren Exekutive ausgeliefert. Selbst in einer Demokratie wie bei uns in Deutschland spüren wir diese Ohnmacht. Jugendliche gehen »Fridays for Future« auf die Straße. Oder, was inhaltlich völlig anders gelagert ist, Menschen demonstrieren gegen Corona-Maßnahmen. Der Blick auf den Rest der Welt macht das Gefühl von Machtlosigkeit nicht leichter. Wir stecken in globalen Zusammenhängen. Es scheint, wenige Konzerne lenken die weltweiten Wirtschaftsströme, das Kapital und letztlich auch die Politik. Der Einzelne als Teil eines großen Ganzen wird so zum Spielball dieser Kräfte und Systeme.
Und Gott? Welche Rolle spielt Gott darin?
Theologen sprechen vom »deus absconditus«, vom verborgenen Gott. Er ist zwar als der liebende Vater, wie Jesus ihn beschrieben hat, nicht sichtbar, handelt jedoch aus der Verborgenheit heraus. Als Mittel seiner Regentschaft nutzt er dabei auch Methoden, die wir als Gegenteil von Liebe empfinden. So gehören Gewalt, Regierungen, Polizei und Armee, ja sogar Diktaturen, Katastrophen und Naturgewalten zur Weise, wie Gott seine Welt regiert. Der »verborgene Gott« eben.
Ist dies gemeint, was Martin Luther mit seiner »Lehre von den zwei Regimenten Gottes« (Zwei-Reiche-Lehre) als göttliches Wirken beschreiben wollte? Gott nutzt auch das Instrument der Politik, die Natur und globale Zusammenhänge für die Durchsetzung seiner Ziele?
Ich denke, Ja und Nein.
»Ja!« Weil Gott in dieser Welt das Sagen hat, mischt er aktiv mit. Es wäre töricht zu meinen, dass die globalen Konzerne, Politiker und (Möchtegern-)Diktatoren und politische oder wirtschaftliche Systeme diese Welt regieren. Irrtum! Gott regiert! Auch die naturwissenschaftlichen Abläufe beim Weltklima oder kosmologische Ereignisse entwickeln sich nicht autonom und durch eine seelenlose Evolution vorherbestimmt. Inmitten all dieser Systeme und jeder globalen Abhängigkeit zieht vielmehr Gott die Strippen. So jedenfalls verstehe ich die Bibel. Er bewahrt seine Welt, er lenkt die Geschichte und er bringt sie ans Ziel. »He’s got the whole world in his hand!« Ich glaube dem alten Spiritual, auch wenn ich angesichts dessen, was vor Augen ist, manchmal zweifle und mir die rationalen Argumente dafür immer wieder ausgehen.
Was hat dies mit dem Reden von Gott zu tun?
Ich denke und rede von Gott nicht als einem hilflosen Befehlsempfänger wirklich mächtiger Personen, Konzerne oder Systeme und Naturgesetze. Ich denke und rede von ihm als dem Herrscher über Himmel und Erde! Und noch einmal: Ich spreche von dem Gott, der sich in Jesus Christus gezeigt hat.
Folglich hat der Kampf und haben Worte gegen Unrecht und Unterdrückung eine echte Chance. Auch das Klima ist noch zu retten, wenn Gott es will. Und der Einsatz für Schwache und Rechtlose macht Sinn. Gott ist auf ihrer Seite. »So ist das nun mal!«, kann und darf kein Argument für Menschen sein, die an Gottes Herrschaft glauben. »So ist es jetzt, ja. Und wir müssen damit klarkommen. Aber so muss es nicht ewig bleiben! Gottes Wille will, kann und wird sich durchsetzen. Dafür erheben wir unsere Stimme!«
»Ja«, Gott herrscht und lässt sich diese Welt nicht aus der Hand nehmen. Wir reden deshalb immer vom Sieg Gottes, ganz im Sinne der Osterbotschaft als Sieg über den Tod!
Vom Missbrauch der Worte
Aber gleichzeitig auch »Nein!«. Gottes Herrschen geschieht nicht mittels Gewalt und Unterwerfung. Worte in Gottes Namen dazu einzusetzen, missbraucht sie. Ich versuche, auch das mit Blick auf die Verkündigung zu aktualisieren:
Mir fällt der Begriff »power evangelism« ein. Gemeint war ursprünglich die Verknüpfung von Wundern (z.B. Heilung) und evangelistischer Predigt. Gott erweist sich als wirksam durch die Predigt seiner Boten, indem er sie mit »Zeichen« wie z.B. Heilungen begleitet. So gesehen sind Erfahrungen, die ich in Indien gemacht habe und wie sie viele Christen aus den Missionsfeldern berichten, so etwas wie »power-evangelism.« Auch in der Bibel kommt dies häufig vor.
Der Begriff wird inzwischen allerdings oft anders gefüllt. »Kraft-Evangelisation« zeichnet sich dann durch starke Worte aus, durch zwingende Rede, Druck und auf Bekehrung und Überwindung der Widerstände ausgelegte Predigt. Von Billy Graham sagt man, er sei »das Maschinengewehr Gottes« gewesen. Ich empfinde das nicht als Kompliment, obwohl dieser amerikanische Evangelist (1918–2018) in großem Segen unzählige Menschen für Christus gewonnen hat. Vermutlich hat er selbst sich auch gegen diesen kriegerischen Begriff abgegrenzt. Gerade in Indien ist mir eine Art der Verkündigung begegnet, die in diese Kategorie passt. Unzählige kleine Kalaschnikows schmettern dort ihre Salven gegen die Köpfe der Hörer oder auch darüber hinweg. Es wird schnell, laut, direkt, erbarmungslos und natürlich immer richtig und bibeltreu zum Glauben aufgefordert.
Das mag etwas anderes sein als die Worte der Diktatoren und Populisten dieser Welt – es folgt jedoch dem gleichen Muster: Ich muss jemanden überwinden. Herrschen heißt Macht ausüben, Druck machen und eben Power (Kraft) ausüben, um die Leute zur Gefolgschaft zu bewegen.
Dieses Missverständnis hat schlimme Konsequenzen. Bezogen auf die Herrschaft des Menschen über diese Erde, hat es uns an den Rand des Abgrunds geführt. Schon im August sind die Ressourcen für ein ganzes Jahr verbraucht. Ab jetzt vertilgen wir die Substanz, die sich nicht erneuert (der »Erdüberlastungstag« 2020 war der 22. August).
Ein viele Jahrhunderte auch christlich und kirchlich vertretenes Missverständnis hat mit dazu beigetragen: »Macht euch die Erde untertan und herrschet ...«, heißt es als Auftrag an den Menschen im ersten Schöpfungsbericht (1. Mo. 1,28). In der Folge wurde Herrschaft als Instrument der Macht verstanden und unser Globus gnadenlos ausgebeutet.
Und die Variante in der Verkündigung?
Sie ist schnell zu identifizieren. Die Begriffe »missionieren«, »predigen« oder »bekehren« werden als Manipulation oder koloniales Machtmittel verstanden. Warum? Weil dies leider oft genug in der Geschichte genauso praktiziert wurde und wird. Das Evangelium wird als Machtinstrument missbraucht. Die Predigt wird zum Machtgewinn oder -erhalt eingesetzt. Man sammelt Gefolgsleute und »seine Truppen«. Leute werden unter Druck gesetzt und gefügig gemacht. Moral und erhobene Zeigefinger beherrschen die Verkündigung. Man muss so oder so leben! Man muss sich »bekehren« und sich selbst verleugnen.