Mittelalter? Von wegen. Die Kirchen achten bis heute sehr darauf, dass alles so läuft, wie es ihren Regeln entspricht. »Wir taufen dich ...«? Da hat ein Priester die falsche Formel verwandt und die katholische Taufe war ungültig. »Du musst ...!«, wie oft findet sich solche Rede auch in den liberalsten Predigten? Wie viele Imperative und wie viel Moral verstellen uns den Weg zur froh machenden Botschaft?
Nur die anderen? Nein, auch ich selbst bin in Versuchung, mit Worten Macht auszuüben. Vor allem, wenn ich gut reden und Menschen mit Worten mitreißen kann, sie fessle (passendes Wort!) und sie überzeugen (klingt wie überreden!) kann. Insbesondere als Amtsträger, in meiner Position als Pastor, Referent, Diakon oder Jugendleiter habe ich viele Möglichkeiten, das Wort für meine Zwecke zu missbrauchen und es als Herrschaftsinstrument einzusetzen.
Das dienende Wort
Dabei ist das Wesen des Herrschens im Sinne Jesu ein völlig anderes. »Wer der Größte sein will, der sei euer aller Diener.« (Mk. 10,43-44).
Bezogen auf die Verkündigung bedeutet dies: Wir haben den Menschen (auch) mit unseren Worten zu dienen und sie eben nicht zu beherrschen! Wir verkündigen einen Gott, der dient. Unsere Sprache ist kein Instrument, andere zu überwinden, sie zu regulieren, auf Kurs zu bringen oder bei der Stange zu halten. Sie bleibt vielmehr dem Wohl und der Entfaltung der Menschen verpflichtet.
Wer Sprache in diesem Sinn einsetzt, wird besonders darauf achten, dass er oder sie genau hinhört. Was braucht, was denkt, was will jener Mensch, mit dem ich es da zu tun habe? Wir werden das noch thematisieren. Nicht was ich sagen will wird zum Maß aller Dinge, auch nicht ich selbst und wie ich dastehe – sondern meine Gesprächspartnerinnen und -partner oder meine Hörerinnen und Hörer werden zum Maß meiner Sprache und Verkündigung. Dieser Welt und den Menschen zu dienen hat das Wort Gottes in und mit der Schöpfung die Herrschaft angetreten.
Zwischen Babylon und Pfingsten
Wenn nur die Sprachverwirrung nicht wäre!
»Wir verstehen uns nicht!«, scheint das Grundprogramm menschlicher Beziehungen zu sein. Angefangen bei verschiedenen Sprachen und Dialekten der Völker und Kulturkreise bis hin zu Mann und Frau, Kinder und Eltern, Familie und Nachbarschaft. Ein Riss geht durch diese Welt, nein hunderttausend Risse. Statt aufeinander zu hören, uns zu einigen und gemeinsame Wege zu suchen, gibt es Streit, Trennung und sogar Krieg. Woran das liegt?
Die Bibel erklärt es mit der Erzählung vom Bau des Turms in Babylon (1. Mo. 11,1-9). Sie wollten die Größten sein, die Klügsten, die technisch Versiertesten, die Schönsten, die Bedeutendsten und vor allem die Mächtigsten. Sie wollten sich einen Namen machen und sein wie Gott. Sie wollten den Himmel stürmen und den Thron des Höchsten besetzen.
Es ist der schon in der Urgeschichte angesprochene Drang des Menschen, wie Gott sein zu wollen, der alles zerstört. Es steckt tief in uns drin, an Gottes Stelle herrschen zu wollen, zu regieren und das eigene Leben – plus wenn möglich auch das von anderen und dieser Welt in die eigene Hand – zu nehmen. Geboren aus dem Zweifel an Gottes Güte, Stärke und Zuverlässigkeit ersetzen wir Menschen den Herrscher der Welt und setzen uns selbst oder einen unserer »Führer« auf Gottes Thron.
So funktioniert Babylon.
Und so funktioniert es eben nicht wirklich. Der Turm, den sie bauen, erscheint ihnen großartig und geradezu göttlich. Tatsächlich ist er lächerlich. »Gott sah herab ...«, heißt es ironisch. Was wir für Macht und Größe halten, ist aus seiner Sicht nichts wert. Im Gegenteil: Der Versuch, für uns selbst göttliche Größe zu erlangen, vernichtet alles. Beziehungen werden zerstört, weil jeder über den anderen herrschen will. Erfolge werden zu Niederlagen, weil wir uns ständig miteinander vergleichen. Technischer Fortschritt erweist sich als Bumerang, weil wir die Konsequenzen nicht bedacht haben. Babylon wird zum Symbol der Verwirrung, Trennung und Zerstörung menschlicher Gemeinschaft.
Babylon steht für jene Sprachwelt, in der wir uns nicht verstehen. Es ist die Welt, in der wir leben. Ob nun Geschichts-, Kultur- oder Entwicklungswissenschaften untersuchen und beschreiben, warum wir Menschen uns nicht verstehen – am Ende läuft es auf das Gleiche hinaus, was wir in der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babylon lesen.
Niemand von uns kann sich dem entziehen. Bis in die kleinsten Einheiten, etwa die Ehe, wird solche Trennung existenziell erfahren. Neid, Machtkämpfe, Eifersucht, Missgunst, Lüge, Größenwahn ... und am Ende Einsamkeit und Trennung – all das kennen und erleben wir ganz wie die Menschen von Babylon.
Mit Reden in Babylon
In diesem Kontext also reden wir von Gott, unserem Glauben und verkünden Jesus Christus. Gut zu wissen! Wir werden nicht automatisch verstanden, sondern vermutlich eher missverstanden. Selbst wenn wir auf Deutsch zu Deutschen und auf Englisch zu Engländern reden, versteht man uns nicht selbstverständlich.
Alle, die mit anderen Menschen über den christlichen Glauben reden, egal ob im persönlichen Gespräch oder durch eine Predigt, haben diese Erfahrung gemacht. Manchmal verstehen die Leute sogar das Gegenteil von dem, was wir sagen. Kein Wunder. Wenn babylonische Regeln unseren Alltag beherrschen, wird dem alles untergeordnet und alles Gehörte mit babylonischen Ohren gehört. Genaugenommen hört niemand zu, weil er sein eigenes Ding macht. Und wenn wir zuhören, dann selektiv. Wir picken uns heraus, was unseren Turm größer macht: Was uns nützt, was uns klüger, glücklicher oder mächtiger macht. »Was habe ich davon?« Danach fragen auch moderne Babylonier. »Was bringt mir das, was du da erzählst?«. »Worin liegt der Zugewinn, der Vorteil, das Besondere, der Kick?«. Wir bauen an unseren Lebenstürmen und vergleichen sie mit anderen. Wehe, wenn wir schlecht abschneiden. Dann zerbricht unser Turm oder wir sabotieren den des Konkurrenten. Und wehe, wenn wir gut abschneiden. Dann fühlen wir uns göttlich und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.
Mit Reden in Babylon trägt oft wenig aus. Es hilft den Menschen nicht dabei, ihren Turm zu bauen und sich an Gottes Stelle zu begeben. Im Gegenteil »der Herr fährt hernieder ...« (1. Mo. 1,5). Gott meldet sich zu Wort. Diesem Wort zuzuhören, zeigt mir, wie klein und brüchig meine Türme in Wahrheit sind. Reichtum, Bedeutung, Leistung, Technik, Konsum, Aussehen ... all das wird durch das Evangelium von Jesus Christus relativiert. In Babylon wird folglich solchen Reden nicht gerade gerne zugehört.
Vermutlich ernte ich jetzt Widerspruch.
So schlimm ist es doch gar nicht. Wenn wir uns Mühe geben, verstehen wir uns doch irgendwie. Und manche sind schließlich genau auf meiner Wellenlänge. Mit ihnen verstehe ich mich im Dunkeln.
Stimmt! Zum Glück gibt es auch in Babylon Menschen, die sich miteinander verständigen können. Jene, die doch noch eine Sprache sprechen. Meine Bluts- und Meinungsverwandten. Meine Peergroup, meine Clique und mein Zuhause. Dort habe ich Gleichgesinnte gefunden. Babylon ist dort weniger spür- und sichtbar als »da draußen«.
Wir alle können am ehesten in Kreisen Gleichgesinnter miteinander reden, uns verständigen und dort auch leichter über den Glauben und Gott sprechen.
Zwar geschieht auch, was Jesu erlebt, als er in seiner Heimatstadt Nazareth predigt: »Der Prophet gilt nichts im eigenen Land.« Schmerzlich müssen wir manchmal erleben, dass Babylon bis in unsere engsten Beziehungen hineinreicht und wir weder verstehen noch verstanden werden. In der Regel jedoch vermag »der Prophet« im Nahbereich durchaus den Ton und den Nerv der Leute treffen, weil er sie kennt und ihre Sprache spricht. Er ist einer von ihnen. Er weiß was sie sagen, bevor sie den Mund aufmachen. Er beherrscht ihre Insidersprache weil er genau so redet, so lebt, so glaubt und so handelt wie sie.
Ob hier die Ursachen christlicher Abgeschiedenheit und unserer gemeindlichen Getto-Existenzen liegen? Wir richten uns in einer Nische ein und spüren so etwas weniger von Babylon und der Zerstreuung?
Vielleicht. Vermutlich.
Mit Reden nach Pfingsten
Die Geschichte vom Turmbau in Babylon ist Teil der biblischen Urgeschichte der Menschheit. In großer Weisheit