„Mann, dit is aber janz jemein! Und det bringt Kohle?“
„Noch nicht sofort. Wenn der nen Anwalt nimmt, kann es mulmig werden. Aber wir hatten es auf Frauen abgesehen. Die sind so von ihrer Unschuld überzeugt, dass sie glauben, keinen Anwalt nehmen zu müssen. Da haben sie schlechte Karten. Der Richter verknackt sie, einmal wegen der Sachbeschädigung, also Schadensersatz, und dann wegen Fahrerflucht. Führerschein weg für ein halbes Jahr!“
„Olli, das war aber wirklich eine fiese Masche, Mannomann! Und dafür hast du dich hergegeben?“
„Alles wegen des Geldes. Natürlich wurde das Auto nicht wirklich repariert. Es gab nur so eine Rechnung. Natürlich überhöht. Dann hat sich bei der armen Sau ein Anwalt oder eine Anwältin gemeldet und hat gesagt, sie wisse, was da Dummes passiert sei. Aber da könne man ja helfen. Klar, das kostet natürlich ein Anwaltshonorar und vielleicht auch noch ein Gutachten. Und eine MPU, eine psychologische Untersuchung, ob der- oder diejenige überhaupt noch geeignet ist, ein Fahrzeug zu führen. Kostet was. Fällt aber nicht günstig aus. Kann man aber - gegen Geld versteht sich - was dran drehen. Die Leute werden mürbe. Müssen nochmal fünf teure Fahrstunden nehmen. Fallen durch. Und zahlen und zahlen. Da fällt für jeden was ab!“
„Und auf so was lässt sich ein ehemaliger Richter ein?“ Korbi konnte seine Abscheu nicht verbergen.
„Wenn dir das Wasser bis zum Hals steht? Zwangsvollstreckung? Verlust der Pension? Hartz IV? - Wir haben diese Masche ja nicht erfunden. Die haben wir aus der Zeitung erfahren. Läuft ja auch jetzt noch. Allzu lange kannst du das in einem Ortsteil nicht machen. Aber da wo eng geparkt werden muss, Auto an Auto steht, abends wenn alle von der Arbeit kommen. Vielleicht war es ja auch nur ein Außenspiegel? Oder es war auf einem Parkplatz vor einer Kneipe? Fahrerflucht mit Alkohol! Manchmal sind die auch so perplex, dass sie ihr Auto vom Gerichtsparkplatz selber nach Hause fahren, obwohl sie ihren Lappen drin haben abgeben müssen! Dann kommt Fahren ohne Fahrerlaubnis dazu! Teuer, teurer, am teuersten!“
„Und immer bist du als Zeuge aufgetreten?“ Niki schüttelte seinen Kopf - vor Abscheu. Sowas hätte ja auch ihm passieren können. Jedem!
„Ja, weil ich als pensionierter Beamter soviel mit meiner Nichte mit dem Kinderwagen unterwegs war. Man muss sich ja bewegen. Das Kind muss raus an die frische Luft!“
„Und dann bist du aufgekippt?“
„Noch nicht gleich. Der Richter war ja auch ein Kumpel von früher. Der war ja eingeweiht. Sag’ ich ja, da gehört ein Netzwerk dazu: Richter, Zeugen, Werkstatt, Anwaltskanzlei, Psychologin, Fahrlehrer, der die Leute sowas von nervös macht, am besten noch ein Typ beim TÜV! Jeder kriegt ein bisschen was ab! Alle von allen!“
Dr. Olav Schöbel spürte wohl, dass sich die Stimmung allmählich voll gegen ihn zu richten begann. Was er ja befürchtet hatte.
„Und wer hat dich zur Strecke gebracht?“ wollte Korbi wissen.
„Ein Typ vom ADAC! Bei dem hatten sich einige solcher Fälle angesammelt. Es war aufgefallen, dass Aus- oder Einpark-Unfälle unverhältnismäßig zugenommen hatten. Was wir nicht überblicken konnten. Da war so was wie eine Mafia entstanden, Ausländer dabei. Die angeblich beschädigten und reparierten Autos waren bei Nachfrage längst über die Grenze! Oder zuletzt gegen Abwrackprämie verschrottet.“
Seine Knastbrüder begannen, sich zu verkrümeln. Mit ihm zusammen auf einer Bank zu sitzen, fanden sie wohl nicht so heimelig. Er war ja keiner „von ihnen“, von jenen, denen - wie sie selbst meinten - das Schicksal übel mitgespielt hatte, das Schicksal, nicht sie selbst. Aber dieser fiese Richter, nee, nee, nee!
„Aber umjebracht haste ja keenen? Dit jing dir ja nur um dit Jeld!“ Konni saß noch als einziger mit ihm in der späten Abendsonne.
„Na ja, jetzt, wo die andern weg sind, kann ich es dir ja noch sagen. Als wir spitz bekamen, dass ein Betroffener Lunte gerochen hatte. Der hatte Verdacht geschöpft, da haben sich zwei Arbeiter aus der Werkstatt den eines Abends vorgenommen und krankenhausreif geprügelt. So nach dem Motto ‚Bürschchen, wenn du noch einmal dumm rumquatschst!’“
„Mannomann, icke möchte nich in deiner Haut stecken. Einen abstechen, das ist eine Sache, der hat et meist ja ooch verdient. Aber sowas? Dat wirste ja für dein janzes Leben nie mehr los! Nie!“
14 Tage später fand man die Leiche von Dr. Olaf Schöbel im Goldfischteich. Morgens, in aller Frühe, als die Hunde rausgelassen wurden, die in dieser Anstalt zu Spürhunden ausgebildet werden sollten, war Rinaldo, ein noch völlig unerzogener Neuzugang, in den Teich gesprungen und fing ganz hektisch an zu bellen.
Da trieb die Leiche zwischen den Seerosen. Mord oder Selbstmord?
„Nu hatter seene Ruhe. Der wäre ja seinet Leben nich mehr jlücklich geword’n. Un wenn et ooch eener von uns jewesen ist, mehr als lebenslänglich kann man schließlich nicht kriejen!“ kommentierte der Lebenslängliche Konni das Geschehen! Und war eigentlich froh, dass sie nun wieder unter sich waren.
Der Zettel
Kriminalkommissar Lothar Velmond war nach einem gemeinsamen Theaterbesuch mit Freunden im Münchner Gärtnerplatz-Theater noch auf einer Sause im lauschigen Glockenbach-Viertel abgesackt.
Den Dr. Pirmin Haussmann, einen pensionierten Historiker und Hobby-Archäologen, und seinen Kumpel, den Optiker und Tüftler Alois Hoferer, kannte er von einem ziemlich brisanten Einsatz in den Tegernseer Bergen, wo das Gerücht umging, in einer der zahlreichen Höhlen sei ein Goldschatz der Etrusker verborgen. Die Suche nach dem sagenhaften „Goldenen Geparden der Etrusker“ hatte bereits Todesopfer gekostet. Eine aus London operierende „Etruskische Liga“ entfaltete damals eine beträchtliche kriminelle Energie.
Der Zufall hatte Velmond mit Haussmann und Hoferer zusammengeführt. Die beiden heimatverbundenen Hüter des Geheimnisses um die etruskischen Höhlen waren damals ganz und gar nicht über die Publizität erfreut, die zwangsläufig mit der Rettung einer Engländerin verbunden war, die in einer der Höhlen illegal etruskische Relikte erbeuten wollte und dabei von einem Wassereinbruch und von Schlangen in Lebensgefahr geriet. Velmond hatte an ihrer Rettung wesentlichen Anteil.
Nachdem sich die Wogen etwas geglättet hatten, trafen sich die Freunde häufiger zu einer „Nachlese bei Spätlesen“, wie sie es nannten, mal in Tegernsee, mal in München, verbunden mit Theater- oder Opernbesuchen, während sie dem Trubel und dem Trachten-Horror des Oktoberfestes aus dem Weg gingen.
Nun also „Figaros Hochzeit“ in einer umstrittenen Inszenierung. So ein Ereignis verlangt einfach nach Diskussionen - und wo? Natürlich irgendwo in einer möglichst urwüchsigen Kneipe im „angesagten“ Glockenbach-Viertel. „Angesagt“ im wesentlichen als Quartier der Homos und Lesben - dennoch gastfreundlich und tolerant auch gegenüber „Andersgläubigen“, wie man die Heteros schon mal zu nennen pflegte.
Der Abend wurde lang, die Diskussion über Regietheater oder Werktreue bildete eigentlich nur die Ouvertüre über das Verrotten der Sitten insgesamt, den Verfall der Kultur, die räuberische Gier der Banker und Vorstände, das drohende und unabwendbare Armaggedon und die Tatsache, dass echt Münchner Weißwürste nunmehr auch nach 12 Uhr serviert werden. Insgesamt also ein unendliches Katastrophen-Szenario, das unmöglich in einer Kneipe allein abschließend behandelt werden kann. Wo die Drei zuletzt gelandet waren, konnte allein Lothar Velmond noch einigermaßen rekonstruieren.
Wer viel trinkt, muss auch viele Wege zum WC erfragen. In den alten Häusern geht man schon mal dem Geruch nach. Velmond, trotz zahlreicher „Halben“ immer noch Kommissar und dann insbesondere gespitzt, hinter jeder Ecke etwas Verdächtiges zu erspähen, wunderte sich über zwei Papierkörbe im Klo, wobei einer für die längst ausgegangenen Papierhandtücher gedacht war, jetzt durch Klorollengewirr ersetzt, der andere jedoch Handschriftliches offenbarte. Viele Zettel, von denen er schnell einige grapschte