„Aber ich habe sowas noch nie gemacht!“
„Kein Problem, ich kenne da eine alte Dame, die kennt sich damit aus. Da gehst du einfach hin, sagst, du hättest immer so Kopfweh, Tabletten helfen nicht, und das zieht runter bis sonstwohin, unerträglich, du wolltest dir schon das Leben nehmen und sie sei nun deine letzte Rettung. Das zahle ich für dich!“
„Und womit verdienst du dein Geld, Kleeblättchen? Immer noch Schauspielerei, Regie? Wenn ich mich hier so umsehe, geht es dir ja nicht schlecht, schöner Garten hinter dem Haus, sogar mit Springbrunnen und Putten. Und diese wunderbare Sheila, der wir unser Wiedersehen zu verdanken haben!“
Die Hündin hatte sich ihm zu Füßen hingekuschelt.
„Na ja, mit der Schauspielerei sieht es auch eher mau aus. Aber Regie führe ich in gewisser Weise. Nicht mehr am Theater, sondern im richtigen Leben. Da lehre ich arme Teufel wie dich, die Leute an der Nase herumzuführen und dabei gutes Geld zu verdienen.“
„.... sucht nur die Menschen zu verwirren, sie zu befriedigen ist schwer!“
„Ja, ja, genau, der alte Goethe wusste schon Bescheid, und wie geht es weiter, das war zwar keine Frauenrolle, war aber stets meine Maxime:
„Lasst uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
und wo ihr’s packt, da ist es int’ressant!“
Zwei arbeitslose Kolleginnen aus alten Zeiten sind jetzt als Märchenerzählerinnen unterwegs, als Vorleserinnen für einsame Menschen oder auch private Feiern. Da brauchst du nur wenige Requisiten, eine Klangschale, ein paar Zimbeln, eine Kerze, am besten noch ein türkisches Weihrauchkesselchen, eine dunkelrote Samtdecke - und fertig ist das Theater. Wird gut bezahlt!“
„Und was hast du davon?“
„Die verkaufen nebenher mein Heilwasser für mich. Teures Esmeralda-Heilwasser, angeblich feinstofflich angereichert, frei von sämtlichen Giften, die Atome durch Magnete und die Energien meiner Hände besonders energetisch ausgerichtet! Ist alles Quatsch, aber wer sich Märchen vorlesen lässt, lässt sich auch was vorgaukeln. Kannst du auch machen. Fülle ich hier im Keller ab, tolles Etikett drauf. Neun Euro die Flasche! Davon bekomme ich die Hälfte. Schwarz natürlich. Läuft wie geschmiert!“
„Und wenn es nicht hilft?“
„Würde doch niemand zugeben, dass er so doof war, daran zu glauben! Außerdem: feinstofflich ist so und so nicht nachweisbar!“
Esmeralda und Odo gerieten ins Schwärmen. Die Stunden flossen nur so dahin.
„Ich weiß auch schon, wie du dich vermarktest. Wir drucken Zettelchen, keine Visitenkarten, das wäre nicht geheimnisvoll genug, und du bist ja dann sooo bescheiden. Da schreiben wir drauf:
>Austherapiert?<
groß oben drüber. Als Blickfang!
Sri Sunray de la Moon reaktiviert Ihre durch die Pharmaindustrie zerstörten Lebensenergien! Kontakt nur über Esmeralda!“
„Und wie willst du die Zettelchen unter die Leute bringen?“
„Das ist ganz leicht. Da kenne ich einen Wirt im Glockenbach-Viertel. Und ein paar Szenekneipen in Haidhausen. Und in Bogenhausen klemmen wir die unter Scheibenwischer. Die finden mich schon!“
„Und wo soll ich meine Praxis aufmachen? Da braucht man doch Räume!“
„Da habe ich eine fabelhafte Idee: Eine Freundin von mir ist für ein Jahr in Indien. Die hat ein Atelier, nicht weit von hier. Das eignet sich ganz prima, weil die Fenster und Wände rundum mit Seidenmalerei verhängt sind. Wenn man da durch geht, dann wabert und wallt es! Kratzi - das wird eine tolle Sache!“
Trotz der dritten Flasche Dornfelder war Odo allerdings immer noch nicht klar, wie er nun in dieser Rolle Menschen um die Ecke bringen solle.
„Pass auf! Das geht so! Du versprichst ja, deine Patienten zu entgiften. Also lässt du dir gleich zu Anfang ein Dokument unterschreiben, in dem sie sich verpflichten, mit Beginn der Behandlung sämtliche Medikamente sofort abzusetzen und wegzuwerfen! Und was passiert dann? Na klar - die sterben. Früher oder später sowieso. Die sind ja austherapiert. Natürlich kommt das raus. Das wollen wir ja. Du wirst verurteilt und kommst in den Seniorenknast. Basta! Ich hab’ da meine Verbindungen hin!“
Es ging auf Mitternacht zu. Kratzmeyr zog es überhaupt nicht in seine kalte Dachkammer. Esmeralda hatte überdies seine Schmutzwäsche längst in die Waschmaschine gestopft. Nicht ohne Hintergedanken. Im Bademantel würde er ihr nicht entkommen.
Als sie ins Schlafzimmer gingen, hatte Odo bemerkt, dass in den Nachttischlampen bereits Stromsparröhrchen zu sehen waren.
„Soll ich dir mal was zeigen, Kleeblättchen? Mach’ mal das große Licht aus. Guck’ mal, wenn ich mit meinen Händen so eine Stromsparbirne umfasse, beginnt sie zu flackern! Ohne eingeschaltet zu sein!“
„Mensch Kratzi, das ist ja Wahnsinn! Wenn du das deinen Patienten vorführst, dass du mit deinen Energien Lampen zum Leuchten bringen kannst, dann sind die sowas von überzeugt!“
„Aber das kann jeder!“
„Kratzi, erst nach der dritten Behandlung lässt du’s deine Patienten selber machen, und dann kannst du es auf deine Behandlung zurückführen!“
Als Odo Kratzmeyr am nächsten Morgen neben Sheila und Esmeralda aufwachte, rieb er sich seine Augen und murmelte vor sich hin:
„Das kann ja wohl alles gar nicht wahr sein!“
Momentaufnahmen
„Oh, nein!“ rief er, als er die Tasse umstieß und sich ihr Inhalt - eine lauwarme, sirupartige Flüssigkeit aus Pulverkaffee, Süßstoff und Kondensmilch - langsam von dem kleinen Tisch hinuntertropfend auf den Teppich ergoss.
Der schwarze Labrador, der bisher völlig entspannt zu seinen nackten Füßen gelegen hatte, erhob sich langsam und begann schmatzend das Gebräu aufzulecken.
„Warum musst du auch ausgerechnet Rinaldo heißen?“ wandte sich Kommissar Maurice Elsterhorst an seinen Hund. Der warf ihm einen Blick zu, der besagte:
„Auf eine so blöde Frage habe selbst ich keine Antwort.“
Elsterhorst richtete die Tasse auf und stellte sie mit Wucht auf den Unterteller, der daraufhin beleidigt zersprang.
„Warum kannst du nicht einen ganz normalen Namen haben? Rolf oder Hugo oder Rex? Oder meinetwegen auch Beethoven?“
Rinaldo legte den Kopf auf seine Pfoten und blickte ergeben in eine unbestimmte Ferne.
„Es hat keinen Zweck auch nur darüber nachzudenken“, bedeutete das. „Wenn er in dieser Stimmung ist, ist sowieso alles vergeblich.“
An diesem schönen Morgen befand sich Elsterhorst nämlich genau in dem Zustand, in den er immer verfiel, wenn er einen Fall abgeschlossen hatte und eigentlich ein paar Tage wohlverdienten Urlaubs genießen könnte.
„Rinaldo 1“! Das war doch eine Art Fehlkonstruktion von Anfang an. In dem Hirn eines Irren entstanden, der den Labrador in London neben einer Leiche abgelegt hatte.
Und dennoch! Durch diesen Hund und seinen verrückten Namen war es ihm gelungen, in jenes Haus zu kommen, in dem sie gefangen gehalten wurde: Rinaldo Road 1.
Elsterhorst schloss die Augen.
Er sah sie vor sich – Judith – hörte ihre Stimme: „Ich wusste doch, dass du mich finden würdest, Maurice!“
Er