Dancing Queen. Verena Maria Mayr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Verena Maria Mayr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742787866
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begrüßt diese die Frauen. Ihre Stimme klingt, als wäre sie durch jahrelanges Rauchen heiser geworden. „Mein Name ist Ella Gabor und ich bin Tanztherapeutin.“ Frau Gabor ist groß und schlank, aber nicht dünn. Sie hat trotz kleinen Bäuchleins ein enges, knalloranges Oberteil über ihren langen, dunkelroten Rock gezogen. Es wirkt beinah, als würde sie es betonen wollen. Patrizia findet sie sehr schön.

      „Ich zeige Frauen, wie sie ihr Selbstbewusstsein stärken und sich verteidigen können.“

      „Und das soll was bringen?“, schnaubt Marianne verächtlich und imitiert spöttisch eine japanische Kampfkunstfigur.

      „Der Kurs, den ich anbiete heißt „Wendungen“ und ist für Frauen konzipiert; von Frauen für Frauen. Es geht nicht nur darum, wie ihr euch wehren könnt, sondern auch um die Stärkung des Selbstbewusstseins und um Selbstbehauptung“, erklärt Frau Gabor ruhig, ohne sich von Marianne aus dem Konzept bringen zu lassen. Es geht darum, sich aus einer beklemmenden, unerwünschten oder auch ungesunden Situation zu winden, eine Wende herbeizuführen. Wir drehen uns raus.

      „Bei den Wörtern „wenden“ und „drehen“ muss ich ans Tanzen denken“, wirft Patrizia ein.

      „So geht es mir auch“, gesteht Frau Gabor. „Darum habe ich versucht, die Tanztherapie mit einem Selbstverteidigungskonzept zu verbinden. Es geht mir darum, sich als Frau wieder spüren zu lernen, den eigenen Körper wieder zu entdecken und das Sicherheitsgefühl zu festigen. Wenn ich mich selbst kenne, bin ich mir meines Körpers und meiner Ausstrahlung bewusst. Ich trete anders auf. Euer Körper besitzt Kraft und Geschicklichkeit genug, um sich auch gegen rohe Gewalt erfolgreich zu verteidigen.“

      „Wir echt lernen, wie Männer umlegen oder besser gesagt, wie uns von Leib halten können? Auch fette, starke?“, fragt Cessna neugierig.

      „Ja. Ihr bekommt von mir die richtigen Informationen und ich werde die Techniken einzeln mit euch üben. Geplant sind vier Einheiten zu je drei Stunden. Bei der Tanztherapie geht ...“

      „Therapie!“, unterbricht Marianne verächtlich. „Ich brauche doch keine Therapie. Ich bin normal. Mein Ex bräuchte eine.“

      Frau Gabor hält Mariannes Blick stand, bevor sie ihre Ausführungen fortsetzt. „Bei der Tanztherapie geht es darum, dass unser Unbewusstes über den individuellen Ausdruck Gefühle und Beziehungen verstehen und verarbeiten kann. Wie vorhin schon kurz angedeutet, geht es auch darum, sich selbst wieder zu spüren und Leichtigkeit zu erfahren.“

      „Pah“, kommentiert Marianne skeptisch. „Wenn, dann brauche ich einen Kampfkurs. So was wie Kung Fu oder Karate, wenn ich jünger wäre, dann würde ich mit Kickboxen anfangen.“ Frau Gabor scheint diese Reaktion zu kennen. „In meinem Kurs geht es darum Aggressionen abzubauen, negative Energie in positive zu transformieren und sich selbst spüren zu lernen. Wir wollen uns und unseren Mitmenschen selbstbewusst und friedlich begegnen.“

      Alle anderen Frauen nicken interessiert. „Bitte sagt bis spätestens übermorgen Bescheid, ob ihr mitmacht oder nicht. Ich spreche aus jahrelanger Erfahrung und kann euch nur dazu ermutigen, dieses Angebot des Frauenhauses anzunehmen.“

      Anita erhebt sich und klappt ihren Schreibblock zu. „Schönen Tag, Ladies! Und denkt an die Schlüssel!“

      „Ebenfalls ...“

      „Schönen Tag.“

      „Auf Wiedersehen.“

      „Tschüs!“

      „Bis morgen.“

      Sofort löst sich die Damenrunde auf, alle verschwinden aus dem Gemeinschaftsraum. Patrizia schnappt Julius und geht mit ihm aufs Zimmer. Sie würde sehr gerne am Kurs teilnehmen, weiß aber nicht, wem sie Julius in der Zwischenzeit anvertrauen sollte.

      Kapitel 5

      „So, mein Bärchen. Jetzt machen wir zwei uns fertig und gehen einkaufen. Mama hat nämlich ihre Hausschuhe vergessen und vielleicht finden wir welche im Supermarkt; es müssen ja keine besonderen sein. Außerdem brauchen wir ein paar gute Breigläschen für dich.“

      Julius bestätigt mit einem bestimmten „Da!“ und Patrizia küsst ihn auf seine Pausbacken. Patrizias Freundin Ruth hat ihr Gott sei Dank noch eine warme Jacke für Julius mitgegeben. Sie und ihr Mann Klaus haben ihr sofort angeboten, zu ihnen zu ziehen, obwohl sie zu dritt in einer Zweizimmerwohnung hausen. Ihr Sohn Jonas ist nur zwei Wochen nach Julius auf die Welt gekommen. Patrizia will ihnen nicht zur Last fallen und auf keinen Fall, dass sie Schwierigkeiten mit Mimmo bekommen.

      Draußen ist es sehr kalt und es weht ein eisiger Wind. Gut, dass sie ein Lammfell für den Kinderwagen besitzt. Sie zieht Julius an, der ein bisschen protestiert.

      „Sehr brav bist du, mein Schatz. Ich weiß, hier drin ist es so heiß. Aber draußen ist es bitterkalt und ich kann dich nicht ohne Haube rauslassen oder dir die Jacke erst außer Haus anziehen.“ Julius scheint zu verstehen und schmiegt sich an seine Mama. Patrizias Kehle schnürt sich zu und sie kämpft mit Tränen und schlechtem Gewissen. Warum? Warum, fragt sie sich und versucht, die aufsteigende Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zu unterdrücken. Irgendwann wird sie es rauslassen, aber jetzt nicht.

      Sie schlüpft in ihren Mantel, bindet sich auch einen Schal um, setzt ihre Mütze auf und hebt Julius hoch. Schnell wandert sie mit ihm durch die langen Gänge und hetzt ins Büro.

      „Ich möchte uns abmelden. Wir gehen einkaufen.“ Julius fängt an zu raunzen.

      „Ist gut“, sagt Anita. „Brauchen Sie etwas?“

      „Nein, es geht schon. Danke. Tschüs.“

      Patrizia geht so schnell sie kann ins Erdgeschoss, setzt Julius in den Kinderwagen, drückt auf den Türöffner und schiebt ihn ins Freie. Sie schwitzt und hofft, dass sie sich nicht verkühlt. Krank werden darf sie jetzt auf keinen Fall. Wer sollte sie denn pflegen? Aber wer vor allem sollte sich um Julius kümmern? Vielleicht sollte sie lieber hierbleiben? Es ist wirklich schweinekalt. Aber sie braucht doch etwas zu essen für den Kleinen.

      „Bärchen, wir schaffen das.“ Sie schnallt Julius an, deckt ihn gut zu und klappt das Dach hinunter. Dem Kleinen scheint es zu gefallen. Vereinzelt fallen einige Schneeflocken, die wahrscheinlich von den verschneiten Bäumen geweht werden. Patrizia richtet ihre Mütze, zieht die Handschuhe an und kämpft sich mit dem Kinderwagen durch ein schmiedeeisernes Tor. Es geht eine Betonrampe hinab und schließlich steht sie vor dem videoüberwachten Haupteingang beziehungsweise Ausgang des Frauenhauses. Wieder muss sie einen Knopf drücken und erst, als der Summer ertönt, kann sie raus.

      Vor dem Tor atmet sie die Luft der Freiheit und verdrängt den Gedanken, etwas Verbotenes getan zu haben. Ich hab doch nichts Böses getan. Ich befinde mich jetzt nicht im Gefängnis. Ich kann jederzeit wieder von hier verschwinden, wann immer ich will, spinnt Patrizia ihre Gedanken weiter, während sie unter einer Zugunterführung durch marschiert. Außerdem will man aus einem Gefängnis raus, hier wollen die Frauen rein. Ihr ist schwindlig, weil sich ihre Gedanken wie auf einem Karussell drehen. Auf dem roten Sitz schwebt die Sehnsucht nach Mimmo, der immer für sie einkaufen gegangen ist. Auf dem blauen fährt die Angst vor Mimmo, der sich nicht mehr unter Kontrolle hat. Auf dem gelben kauert die Ungewissheit darüber, wie lange sie im Frauenhaus wird bleiben müssen. Auf dem grünen hockt der Wunsch nach Geborgenheit und Schutz. Die Sitze kreisen immer schneller und die Farben fließen ineinander. Etwas langsamer geht sie weiter. Julius ist schon eingeschlafen. Das liegt sicher an der guten Bergluft, denkt sie sich und atmet tief durch. Das Schwindelgefühl wird schlimmer. Ängstlich klammert sich Patrizia am Kinderwagen fest und schiebt ihn wie in Trance ins Einkaufscenter. Ich muss mich konzentrieren. Ich darf nicht ohnmächtig werden. Am besten, ich kaufe mir Schokolade. Patrizia muss stehenbleiben. Ihr Kopf dreht sich, ihr wird schwarz vor Augen, ihre Beine fühlen sich wie Wackelpudding an. Wenn ich den Kinderwagen jetzt loslasse, sinke ich zu Boden und stehe nicht mehr auf. Ich muss stehen bleiben. Patrizia zwingt sich, an Julius zu denken. Ganz langsam bewegt sie sich auf das Regal mit den Süßigkeiten zu. Sie kann nichts erkennen und langt wahllos hin. Patrizia reißt ein