Die Berliner Jugendrichterin Kirstin Hiesig beschrieb in ihrem Buch Das Ende der Geduld aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung mit jugendlichen Gewalttätern die schleichende Brutalisierung und den Hemmungsverlust von Kindern und Jugendlichen hauptsächlich ausländischer Herkunft. Sie empfahl (neben bereits früher geforderter Verkürzung der Jugendgerichtsverfahren) statt der bisherigen unwirksamen Praxis geschlossene Heimerziehung für kriminelle Kinder und härtere Strafen für Gewalttäter. [41] Die Reaktionen auf ihr kurz nach ihrem (angeblich freiwilligen) Tod erschienenen Buch waren üblicherweise wieder hohe Zustimmung in der Bevölkerung und den Sachverhalt verharmlosende Kritik seitens politisch korrekter Eliten: Statistiken besagen, die Jugendkriminalität sei gesunken, das Anzeigenrisiko für Ausländer liege höher als bei deutschen Gewalttätern, und es sei schließlich nachgewiesen, daß das Einsperren von kriminellen Kindern ihre Rückfälligkeit erhöht statt sie zu senken, weil sie in der Strafanstalt die falschen Leute kennenlernen. Im großen und ganzen sei Hiesig nur verbittert und psychisch erschöpft gewesen, im wesentlichen aber im Unrecht. [42] Mit einer solchen Bewertung, in der praktische Erfahrungen herabgesetzt oder wegerklärt werden, entfernt sich die theoretische Gewaltbekämpfung (ähnlich der marxistischen Theorie) zunehmend von der alltäglichen Wirklichkeit. Drei Jahre nach Hiesigs Tod kritisiert ein anderer Jugendrichter, Andreas Müller, der am Amtsgericht Bernau bei Berlin tätig ist, die unsäglichen Zustände in der deutschen Rechtsprechung, und plädiert für ein schnelles und konsequentes Durchgreifen als Prävention gegen weitere Straftaten. [43] Doch solche auf realen Erfahrungen gegründeten Urteile werden innerhalb der verzerrten Wahrnehmung der politisch korrekten Weltanschauung (vom Müller als „Sozialromantik“ bezeichnet) ausgeblendet.
Oft geht es aber gar nicht mehr um Verhinderung von Gewalt an Schulen oder Vermeidung einer wachsenden Jugendkriminalität, die sich insbesondere an Hauptschulen oder ähnlichen schlechten Schulen (das Verschwinden der Hauptschulen durch Zusammenlegung mit den Realschulen bedeutet natürlich nicht das Verschwinden der Gewalttätigkeit selbst) derart ausbreitet, daß man mit den damit verbundenen Problemen nicht mehr zurechtkommt. Der „Kampf gegen Gewalt“ erfüllt gewissermaßen eine Alibi-Funktion für eigene Unfähigkeit, der Gewalttätigkeit Einhalt zu gebieten; er bietet auch eine Verdienst- und Profilierungsmöglichkeit an gesellschaftlichen Übeln, [44] die häufig mit der Phrase beginnen: „wir machen uns stark“ für oder gegen etwas und aus vielen nutzlosen Aufrufen, Aktionen und sonstigen Maßnahmen mit Selbstzweckcharakter bestehen. An vielen Schulen gibt es sog. „Mediationsräume“ und „Mediatoren“ oder „Konfliktlotsen“. Auch die Verkehrsbetriebe bieten Ausbildungskurse für Schülerbegleiter in Bussen an, die Konflikte und Vandalismus verhindern sollen; [45] es werden Theaterstücke aufgeführt und Filme zum Thema „Gewalt“ gezeigt, Kurse oder Seminare zur Teambildung und „Anti-Gewalttraining“, Rollenspiele, Wettbewerbe [46] und Ähnliches veranstaltet in der illusorischen Erwartung, daß man Gewaltlosigkeit trainieren könnte oder sollte. Maßnahmen zur Konfliktprävention, genannt auch „Konfliktmanagement“, die angeblich Gewalt vorbeugen sollen, indem sie künstliche Konfliktsituationen erfinden, vorspielen und diskutieren, [47] finden viel Zuspruch bei friedliebenden Pädagogen, nutzen aber meist nur den Veranstaltern selbst. Abgesehen von der kaum beweisbaren Annahme, daß Gewalt tatsächlich (nur) aus Konflikten entsteht, haben solche harmlosen Spielchen mit der brutalen Realität, in der es um Erpressung, Folter oder Mord geht, natürlich nichts zu tun. Daß sie nur bei denjenigen Anklang finden, die ohnehin mit Gewalt nichts im Sinn haben, dürfte klar sein.
1.3. Lösung 2: „Jugendschutz“ durch Verbote und Zensur
Es gibt aber noch eine andere Art der Bekämpfung von Gewalt und Jugendkriminalität, die weniger harmlos und friedlich ist und dennoch ebenso am Ziel vorbeischießt wie der Antigewalt-Aktionismus mit seinen Aufrufen, Kampagnen und Trainingsmaßnahmen. Daß bestimmte Politiker nach dem Tod der Lehrer am Erfurter Gymnasium insbesondere die Verschärfung der Gesetze zum „Jugendschutz“ gefordert haben, [48] liegt auf der Hand, ebenso wie deren Sinnlosigkeit. So entwarf man einen neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), in dem neben einem Altersnachweis auch die für konventionelle Medien geläufigen Praktiken, wie Sendezeitlimitierung u.ä. aufs Internet übertragen werden sollten. Internetexperten haben darauf hingewiesen, wie weltfremd diese Pläne sind. [49] Der umstrittene Staatsvertrag wurde dennoch verabschiedet. Demnach hat nun – im Unterschied zu der bisherigen Praxis der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia – der jugendschutz.net die Möglichkeit, direkt einzugreifen. Kritiker befürchteten, daß dem lauten Ruf der Politiker nach einem Vorgehen gegen „unliebsame Inhalte“ unter dem Vorwand von Jugendschutz eine Art Zensur im Internet eingeführt werden soll. [50] Außerdem zeigte das novellierte Jugendschutzgesetz in bezug auf Computer und Videospiele und den Handel mit ihnen skurrile Nebenwirkungen: Die verbindliche Altersfreigabe von Unterhaltungssoftware und Pflicht zur Kennzeichnung aller Spiele erzeugt zwar mehr Kosten, mehr Bürokratie und diverse Verkaufshindernisse, aber keinen nachweisbaren Schutz der Jugendlichen. [51] Im Gegenteil: Laut Berichten sind nun Spiele der brutalsten Art, die man früher verbieten konnte, einfacher zu kaufen und erfreuen sich großer Beliebtheit bei Jugendlichen. [52]
Dennoch hört man nicht auf, sich unter dem Vorwand „Risikofaktor Computerspiele“ mit mehr oder weniger unsinnigen Initiativen wie „Runder Tisch der Verantwortung“ zur „Verstärkung des Jungendmedienschutzes“ und Ähnlichem zu beschäftigen. Der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) hat zu einem Dialog über den Jugendmedienschutz Experten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Bildung eingeladen. Ziel war es, einerseits Verstöße gegen Altersfreigaben konsequenter zu verfolgen, andererseits die „Medienkompetenz“ von Jugendlichen, Eltern und Erziehern zu verbessern. [53] Und trotz der bereits umfassenden Regelung in bezug auf gewaltverherrlichende oder gewaltverharmlosende Inhalte, deren Gründe (unabhängig von der Wirkung) noch teilweise nachvollziehbar sind, wollte man den Jugendschutz noch weiter „verschärfen“ und das Verbot von „Killerspielen“ von „gewaltverherrlichenden“ auf „gewalthaltige“ Spiele ausweiten. [54] In der Konsequenz könnte man fast alle Spiele verbieten, da sich ja immer etwas finden läßt, was mit „Gewalt“ oder „Kampf“ zu tun hat. Schließlich ist selbst Schach im Grunde ein Kriegsspiel, bei dem Figuren, die Soldaten symbolisieren, beseitigt werden, und auch das bei Kindern so beliebte Pokemon-Spiel besteht fast ausschließlich aus Kämpfen zwischen Pokemonbesitzern. In jedem noch so harmlosen Rollenspiel werden Gegner besiegt (d.h. getötet), was auch für die meisten Jump-and-Run- oder Aktionsspiele gilt. Übrig bleiben vielleicht nur noch Rätsel- , ggf. Sportspiele (aber ohne wilde Autofahrten) und die weniger begehrten „pädagogisch wertvollen“ Lernspiele, die aber so gestaltet sind, daß man bei ihnen auch nichts oder fast nichts lernt.
Es macht geradezu den Anschein, daß der Staat unter dem Vorwand eines undefinierbaren Jugendschutzes nicht Gewalttäter, Drogendealer, Perverse und andere bekämpft, sondern die Kinder selbst schikaniert und kriminalisiert. In einer konzentrierten Aktion der Berliner Ordnungsbehörden wurden unzählige Internet-Cafés zu Spielhallen deklariert und geschlossen. Ob die Untersagungsverfügung der Behörden rechtmäßig war, bleibt zweifelhaft. [55] Ähnliche überzogene Maßnahmen, wie Eintrittsverbote