Sentry - Die Jack Schilt Saga. Michael Thiele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Thiele
Издательство: Bookwire
Серия: Die Jack Schilt Saga
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651994
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in den Aufzeichnungen von Radan gefunden? War es ihnen nicht gelungen, auch das spätere Aotearoa zu besiedeln? Wenn dies stimmte, musste sich ihr Land einst von Ithra bis Otago erstreckt haben. Demnach war Laurussia ein zentraler Bestandteil ihres Reiches gewesen. Ich musste Luke Recht geben. Es konnten in der Tat die Uhleb gewesen sein. Aber zu welchem Zweck?

      Unseren Weg fortsetzend kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hügel an Hügel soweit das Auge reichte. Aus manchen wuchsen wuchtige alte Bäume in merkwürdig anmutender Symmetrie, was nur einen Schluss zuließ: sie mussten einst angepflanzt worden sein. Andere wiederum zeigten sich in trostlos kahlem Zustand und kaum bewachsen.

      „Sieht nicht nach Verteidigungswällen oder ähnlichem aus, dazu befinden sich die Dinger zu weit auseinander“, äußerte sich Krister. „Wer oder was auch immer das ganze Gebiet hier umgepflügt hat, ich sehe keinen Sinn dahinter.“

      „Jedenfalls keinen offensichtlichen, um ihren ursprünglichen Zweck zu erkennen“, meinte ich. „Wer weiß, wann sie aufgeschüttet wurden, womöglich schon vor Jahrhunderten, wenn es die Uhleb oder ein anderes Urvolk waren.“

      Es dauerte nicht sehr lange und wir hatten die Existenz der rätselhaften Geländeerhebungen akzeptiert. Damit entschwanden sie auch mehr oder weniger aus der Wahrnehmung und ich schrieb ihnen nur noch untergeordnete Bedeutung zu.

      Ein weiteres Rätsel erwartete uns kurze Zeit später. Wir erreichten das Ufer eines dunklen Sees und guckten sprichwörtlich dumm aus der Wäsche. Es lag dabei weniger an der Tatsache, vor einem nicht kartographierten Gewässer zu stehen, als an den eigenartigen Schloten die zu Dutzenden aus seinen Tiefen aufstiegen und meterhoch aus dem Wasser ragten. In der Tat ein höchst eigenwilliges Bild, das sich uns bot.

      „Was ist das denn?“ brach Krister schließlich das staunende Schweigen. „Eine weitere wilde Laune von Mutter Natur?“

      „Ich wünschte ich wüsste es“, gab ich zur Antwort, ohne den Blick von den merkwürdigen Gebilden abwenden zu können. „Sieht meiner Meinung nach auch nicht unbedingt so aus, als seien sie auf natürliche Weise entstanden.“

      Noch nie hatte ich etwas Vergleichbares gesehen. Würde es sich nur um eine Handvoll Schlote gehandelt haben, hätte der Betrachter zwar auch keine plausiblere Erklärung gefunden, die Existenz dieses Phänomens allerdings leichter hingenommen. Doch es handelte sich um viele, vermutlich an die hundert. Eine Erklärung hierfür ließ sich nicht so einfach aus dem Hut zaubern.

      „Sie sind unterschiedlich hoch“, stellte Luke fest. „Womöglich vulkanischen Ursprungs.“

      „Und ungleich dick“, fügte Krister hinzu. „Auf den ersten Blick würde ich sagen, sie sind alle einzigartig. Keiner gleicht dem anderen. Das sehe ich mir näher an.“

      „Was hast du vor?“

      „Nach was sieht es aus?“ Krister entkleidete sich und schlüpfte aus seinen Stiefeln.

      „Du willst doch wohl nicht da hinausschwimmen?“

      „Warum nicht? Das Wasser wird angenehm warm sein. Ein Bad könnte dir auch nicht schaden, Jack. Seit wie vielen Tagen haben wir uns nicht mehr gewaschen? Es ist an der Zeit, wir muffeln ja schon wie eine Hammelherde. Und ganz nebenbei lüften wir vielleicht sogar das Rätsel dieses geheimnisvollen Sees.“

      Luke warf bereitwillig den Rucksack ab. „Ich komme mit!“

      Krister zuckte mit den Achseln. „Meinetwegen. Was ist mit dir, Jack?“

      Ein reinigendes Bad stellte natürlich eine Verlockung dar und nicht nur eine willkommene Entschuldigung, sich unter Umständen in unnötige Gefahr zu begeben. Geheuer war mir dieser Tümpel dunklen Wassers nicht, aber auch meine Neugierde meldete sich nun zu Wort – und ihr zu widerstehen hatte sich von jeher als schwierig erwiesen.

      „Gehen wir baden!“

      Der See war damit einstimmig freigegeben.

      Krister warf sich als erster in die wie vorhergesehen angenehm temperierten Fluten und kraulte mit kräftigen Arm- und Beinschlägen voraus. Baden stand offensichtlich nicht im Vordergrund seines Interesses. Er wollte so schnell wie möglich einen der kuriosen Schlote erreichen. Ich nahm die Verfolgung auf, konnte seinen Vorsprung jedoch nicht aufholen. Krister war und blieb der bessere Schwimmer von uns beiden. Erstaunt stellte ich fest, immer noch Boden unter den Fußsohlen zu spüren. Als tief konnte dieses Gewässer durchaus nicht bezeichnet werden. Selbst hier in seiner Mitte vermochte ich noch bequem zu stehen.

      Mit gedämpftem Triumphgeheul (wir hatten vereinbart, aus Sicherheitsgründen so wenige Geräusche wie nur möglich zu verursachen) erreichte Krister den ersten Schlot, klammerte sich mit der Rechten daran fest und schickte die linke Faust gen Himmel. Im nächsten Moment schraubte er seinen Oberkörper aus dem Wasser und begann mit der Eroberung. Jetzt, mit dem an ihm hochkletternden Krister, wirkte das Objekt unserer Begierde längst nicht mehr so beeindruckend wie noch aus der Distanz.

      „Das Ding ist hohl“, hörte ich ihn rufen, noch bevor ich heran war.

      Hohl... das klang interessant.

      „Was siehst du?“

      Krister thronte in fünf Metern Höhe auf der Spitze des Schlotes wie auf einem Hochsitz. Gebannt spähte er in sein Inneres. „Komm hoch und sieh selbst.“

      Das tat ich. Vielleicht nicht ganz so geschickt, aber gleichwohl behände genug um mich nicht schämen zu müssen. Welche Art Gestein mochte es sein, das ich da unter meinen Händen und Füßen spürte? Seine raue, rostbraune Oberfläche wies violett glänzende Einschlüsse auf, die wie eingelassene Edelsteine funkelten. Zudem fühlte es sich fremdartig an, unerklärbar anders. Mir wurde klar, Material wie dieses noch nie berührt zu haben.

      „Tuffstein! Das habe ich mir gedacht!“

      „Spiel dich nicht auf“, wies Krister Luke sogleich zurecht. Beharrlich missfiel es dem Älteren, wenn der Jüngere Erklärungen für rätselhafte Erscheinungen so offensichtlich mühelos aus dem Handgelenk schüttelte. „Was erfindest du da für alberne Namen?“

      „Es ist Tuffstein“, protestierte Luke mit ebenso unvermeidlich gekränkter Stimme. „Mit relativ hohem Quarzanteil, wie man sehr deutlich sehen kann. Ich tippe auf Rosenquarz.“

      „Ich tippe auf Rosenquarz“, äffte Krister seinen Halbbruder im Flüsterton nach und zog dabei eine geringschätzige Grimasse wie nur er es konnte. Ich musste lachen. Die beiden würden sich wahrscheinlich noch im Angesicht des Todes die Köpfe einschlagen. Ich glaubte Luke ohne zu zögern und zwinkerte ihm anerkennend zu, war allerdings nicht sicher, ob er die lautlose Geste bemerkte. Ich nahm mir vor, ihm meine Achtung vor seinem Wissensschatz bei der nächstbesten Gelegenheit endlich einmal in Worten kundzutun.

      Die Öffnung des Trichters erwies sich als viel zu klein, um hineinzuklettern. Im Innern herrschte zudem Dunkelheit, nichts ließ sich von oben erkennen. Ein in die Tiefe geworfener Kiesel, den ich Luke bat hochzuwerfen, schlug nach nur wenigen Sekunden auf. Das hatte ich eigentlich nicht erwartet.

      „Tief geht es nicht hinunter. Merkwürdig. Das Gegenteil wäre mir logischer erschienen.“

      „Vielleicht haben wir bei einem anderen Schlot mehr Erfolg. Der dort drüben sieht größer aus.“

      Und noch bevor ich etwas dazu bemerken konnte, war Krister schon gesprungen. Schlot Nummer zwei entpuppte sich ebenfalls als Enttäuschung. Er wies zwar eine deutlich größere Öffnung auf, dennoch gelang es keinem von uns, sich hineinzuzwängen. Der Kieseltest bestätigte auch hier eine nur geringe Tiefe. Wissbegierig untersuchten wir drei weitere Türme mit demselben Ergebnis und gaben es dann auf. Mochte dieses Geheimnis weiterhin eines bleiben, es war mir gleich. Zwei Erkenntnisse jedoch hatten sich herauskristallisiert: Die Schlote wiesen ähnliche Tiefen auf, was immer dies auch zu bedeuten hatte. Und sie befanden sich eindeutig in einem tiefen, wenn nicht im tiefsten Teil des Sees.

      „Welch mysteriöses Land“, resümierte Luke nach unserer Rückkehr ans trockene Ufer. „Erst diese rätselhaften Hügel und nun ein geheimnisvoller See. Ich frage mich, was wir