»Was machst du denn, ich komme nach Hause und es steht ein Polizeiauto vor der Tür. Der Polizist sagt mir, du hast einen Unfall gehabt und es wäre ganz gut, wenn ich zu dir ins Spital komme. Es hat nur ein bisschen länger gedauert, bis ich da war, weil er mir ein falsches Spital gesagt hat. Das war ein Durcheinander, bis ich dich endlich gefunden habe«, sprudelt es aus ihr heraus. »Was hast du überhaupt?«
»Ich weiß auch nichts Genaues, ich sehe nur ein paar Kratzer, aber die sind ziemlich aufgeregt hier, angeblich ist etwas mit dem Rückenmark.«
Julia küsst mich auf die Wange, ich spüre ihre Lippen.
»Ich spüre dich, ich glaube nicht, dass das alles wirklich heikel ist.«
Sie richtet sich wieder auf, ich glaube, ihre Augen sind etwas feucht, aber die Stimme ist ruhig. »Mir hat der Doktor gesagt, sie können noch nichts Genaues sagen, man muss noch warten, es kann länger werden, bis sie etwas Konkretes sagen können.«
»Das ist blöd. Ruf die AUA an, den Taxidienst für morgen und das Hotel in Kopenhagen, vielleicht müssen wir keine Stornogebühren zahlen, wenn Du ihnen sagst, dass ich nach einem Unfall im Spital liege.«
Die männliche Stimme von vorher: »Wollten Sie morgen wegfliegen?«
»Wir haben heute unseren fünfundzwanzigsten Hochzeitstag und wollten morgen nach Kopenhagen fliegen«, sagt Julia.
»Das, fürchte ich, werden Sie nicht können«, mischt sich die Stimme wieder ein.
»Mach dir keine Sorgen, es wird schon nicht so schlimm sein, wir holen das in einem Monat nach.«
»Wie ist das überhaupt passiert?« fragt Julia.
»Keine Ahnung, angeblich bin ich mit dem Rad gegen ein Auto gefahren, ich kann mich aber an nichts erinnern.«
»Die Polizisten haben auch nichts gewusst, ist aber auch egal, Hauptsache du kommst wieder in Ordnung.«
»Das wird schon, sie machen jetzt eine Computertomographie, dann wissen Sie mehr.«
»Mir hat der Doktor gesagt, sie haben schon eine gemacht, müssen aber trotzdem warten, wir sollen hoffen.«
»Okay, dann hoffen wir.«
Eine neue Stimme, diesmal weiblich. »Frau Wosp, bitte verabschieden Sie sich langsam von Ihrem Mann, wir müssen noch eine Tomographie machen.«
»Küss mich noch einmal und mach dir keine Sorgen, es wird schon wieder. Versuch Kopenhagen zu erledigen.«
Julia beugt sich noch einmal über mich. »Ich rede noch einmal mit dem Doktor, das ist ein ganz netter. Brauchst du noch etwas?«
»Wahrscheinlich ein neues Rückenmark.«
Sie lacht.
»Na bitte, ich bring dich immer noch zum Lachen.«
»Aber du warst schon lustiger, ich verlass mich drauf, dass wir in einem Monat in Kopenhagen sind, gib dir Mühe.«
Ich sehe, wie sie sich wieder zu mir runter beugt, spüre ihre Lippen auf meinen, dann nichts mehr, es wird wieder schwarz.
»Eine neuerliche neurologische Kontrolle am Unfalltag um 20:00 zeigt eine Befundverschlechterung mit Anstieg des sensiblen Niveaus rechts Th 2 und links Th3 sowie motorisch bei C8.
Auf Grund der bestehenden Querschnittsymptomatik wird eine Cortisonstosstherapie mit 2,5 g Urbason über 15 Minuten mit anschließend 10 g Urbason über 23 Stunden durchgeführt.«
»Sind Sie wach?«
Ich mache die Augen auf, sehe nur die Decke eines unbekannten Raumes. Dann beugt sich ein Gesicht über mich, ich kenne es, weiß aber momentan nicht, wo ich es einordnen soll. Das Gesicht erkennt meine Verwirrung, es sagt: »Ich bin Dr. Schneyder, ich bin der leitende Chirurg.«
»Ja, ich kann mich wieder an Sie erinnern, wie geht es mir?«
»Nicht sehr gut, das Ödem im Rückenmark hat sich nicht rückgebildet, es ist im Gegenteil größer geworden.«
»Was bedeutet das?«
»Wir sollten operieren.«
»Und was bedeutet das?«
»Wir sollten die entsprechenden Wirbel aufschneiden und auseinander spreizen. Dann hat das Ödem Platz um sich auszudehnen und mit etwas Glück bildet es sich dann wieder auf eine normale Größe zurück.«
Ich denke einen Moment nach. »Sie sagen, wir sollten operieren, warum haben Sie noch nicht operiert, wenn es Ihrer Meinung nach notwendig ist?«
»Ich muss fragen, ob Sie mit der Operation einverstanden sind.«
Ich schaue ihn an. »Wie soll ich das entscheiden, Sie sind der Arzt. Sie müssen wissen, was richtig ist.«
»Ich muss Sie, wenn Sie bei Bewusstsein und handlungsfähig sind, aus rechtlichen Gründen fragen ob Sie Ihre Zustimmung zur Operation geben.«
»Wie soll ich das, ich muss mich doch darauf verlassen können, dass sie das Richtige machen.«
»Ja, die Situation ist aber trotzdem so, dass ich Sie fragen muss.«
»Und was würden Sie machen, wenn ich die Operation ablehne?«
Er schaut mich nachdenklich an, runzelt die Stirn und sagt schließlich leise: »Dann wäre ich der Meinung, dass Sie nicht klar bei Bewusstsein sind und würde selbst entscheiden müssen und würde Sie operieren.«
Jetzt schlucke ich. »Wenn ich Sie richtig verstehe, ist also die einzige Möglichkeit eine Operation?«
»Nach dem derzeitigen Stand, ja.«
»Sie sagen, derzeitiger Stand, es gibt also doch eine andere Alternative?«
Er schaut mich lange an, dann: »Ich fürchte, nur wenn wir an ein Wunder glauben. Realistisch ist, dass sich das Ödem weiter vergrößert und immer stärker gegen die Knochen drückt.«
»Und was bedeutet das?«
»Wenn wir nicht operieren und Sie viel Glück haben, und sich das Ödem nur noch ein bisschen vergrößert, bleiben Sie für immer gelähmt, wenn Sie Pech haben, bzw. wenn sich das Ödem so weiter vergrößert, wie wir glauben, dann sterben Sie.«
›Wenigstens sagt er es gerade heraus‹, denke ich. ›Scheiße, Scheiße, Scheiße.‹ Nur eines verstehe ich nicht. »Warum haben Sie dann nicht gleich operiert, wie ich noch bewusstlos war?«
»Wir haben so lange wie möglich gewartet, um zu schauen, wie sich die Sache entwickelt, außerdem ist natürlich auch die Operation nicht ganz ungefährlich.«
›Nicht ganz ungefährlich, hmmm ...‹. »Was kann passieren?«
»Ich will und muss ganz ehrlich sein. Jede Operation am Rückenmark ist gefährlich. Wenn etwas schief geht, bleiben Sie gelähmt, wenn etwas sehr schief geht, können Sie auch sterben.«
Ich schaue ihn erschrocken an, momentan hat es mir die Sprache verschlagen.
»Ich kann Sie aber etwas beruhigen, mir ist bei dieser Operation noch kein Patient gestorben.«
»Das beruhigt mich ungemein«, sage ich und versuche ein Lächeln, das grandios missglückt.
»Ich will Sie nicht drängen, aber wir müssen jetzt zu einer Entscheidung kommen.«
»Kann ich noch meine Frau verständigen?«
»Ja, aber es wird keine Zeit sein, dass Sie noch herkommt, wir sollten so schnell wie möglich operieren.«
»Es ist also wirklich ernst?«
Er nickt.
»Sie sind der Meinung, wir müssen unbedingt operieren?«
»Ja.«
»Sie glauben,