Raniten in der Furt. Frank Bartels. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Bartels
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742793676
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Wir sind ausgezogen, um Beistand zu erbitten.«

      »So, so, ein Uranolith sagt Ihr. Wir haben das Beben gespürt. Der Einschlag war gewiss weit entfernt«, nickte der Mann und gab seinem Stuhl neuen Schwung. »Von mir werdet Ihr allerdings keine Hilfe zu erwarten haben. Ich bin nur ein einfacher Bauer, der sich nicht um die Dinge anderer kümmert.«

      »Das, lieber Bauer, haben wir auch nicht erwartet, doch wird die Zeit kommen, da Euch diese Dinge genauso betreffen werden wie jeden anderen. Ihr seht, dass es schon begonnen hat«, antwortete Lilu. »Hoch im Norden soll es einen Drachen geben, der alt und mächtig sein soll. Er wird wissen, was zu tun ist.«

      »Einen Drachen? Keine gute Idee«, grummelte er. »Habt Ihr dieses Ungetüm erst einmal geweckt, wird es auch nicht vor unserem Vieh halt machen. Ihr wollt einen Brand mit der Flut bekämpfen.«

      »Also gibt es ihn wirklich?«, fuhr Alexander dazwischen.

      »Natürlich gibt es ihn. Ich habe ihn zwar noch nie gesehen und ich kenne auch keinen, der ihn jemals gesehen hätte, aber ich lege auch keinen Wert auf seine Gesellschaft. Ich bin zwar nur ein einfacher Mann, doch selbst ich habe von den Zeichen gehört. Das Monstrum soll Feuer ins Tal schicken und es sollen bereits Leute spurlos verschwunden sein. Wenn jemand freiwillig dieses Wesen aufsucht, muss es schlechter um uns stehen, als ich dachte.« Er nickte, zog an seiner Pfeife und wiederholte: »Ja, ja – schlechter, als ich dachte.«

      Das Kamingespräch wurde jäh von lautem Gebell unterbrochen. Augenblicklich sprang Bauer Ewald auf, schnappte sich seine Forke, die griffbereit neben der Tür stand und fluchte laut vor sich hin: »Elendes Pack. Jetzt könnt ihr was erleben.«

      Alexander hätte niemals vermutet, dass sich ein Kerl solchen Ausmaßes so flink bewegen könnte. Ewald riss die Haustür auf, um zu seinem Hofhund zu eilen und die Bäuerin mahnte: »Sei vorsichtig, Vater.«

      Der Junge sprang ebenfalls auf und schnappte sich seinen treuen Knüppel, bereit, Leib und Leben seiner Freunde zu schützen, traute sich jedoch nicht hinaus in die Dunkelheit. Er stand an der Tür und hörte den Bauern rufen: »Halt, wer da?« Und eine tiefe Stimme von weit her antwortete: »Ich bin es nur. Wigand, der Schmied. Halte deine Töle zurück oder es passiert ein Unglück.«

      Alexander stand noch immer abwehrbereit auf der Schwelle, als Bauer Ewald das Haus betrat. Ihm folgte ein schrankgroßer Kerl, der fast den Türrahmen sprengte. Ein dichter langer Vollbart gab zwar lediglich seine große Nase und seine wachen Augen frei, doch schien dieser unerwartete Besucher etwas jünger als der Bauer zu sein. Er trug einen fleckigen, grauen Umhang, dessen Kapuze tief in sein Gesicht fiel. Seine groben Hände zeugten von seinem Berufsstand und ließen die Vermutung zu, dass der Schmied zur Not das Eisen auch ohne Hammer würde bearbeiten können.

      »Komm herein«, bat Bauer Ewald. »Was führt dich zu dieser späten Stunde noch zu uns?«

      »Ah, ich sehe, ihr seid gerade beim Abendessen«, antwortete der Schmied und schielte erwartungsvoll auf den Tisch, der noch nicht abgedeckt war.

      »Setz dich, Wigand.« Der Bauer war bemüht, seinen Gastgeberpflichten nachzukommen. »Weib, gibt es noch Kartoffeln und Huhn für unseren Gast?«

      Die Frau nickte, wandte sich Lilu zu und flüsterte: »Das ist Wigand, unser Hufschmied. Er schätzt die schönen Dinge des Lebens. Besonders, wenn sie auf dem Tisch stehen.«

      Wigand aber setzte sich nicht sofort, sondern musterte misstrauisch die beiden Fremden und das schlafende Baby in dem Weidenkorb.

      »Das sind unsere Gäste«, stellte der Bauer Lilu und Alexander mit sparsamen Worten vor. »Sie sind auf der Durchreise.« Das sollte vorerst genügen. Daraufhin machte Lilu wortlos eine nickende Bewegung, die Wigand als Begrüßung verstehen sollte. »Ah, ein Feuerkopf«, bemerkte dieser und zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. »Fürwahr, diese Art bekommt man selten zu Gesicht.« Und obwohl er sie dabei ansah, hörte es sich so an, als ob er über sie, nicht aber mit ihr sprechen würde. Alexander wunderte sich über diesen Ausdruck: Feuerkopf!

      Wigand legte seinen Umhang ab, begab sich zu Tisch und Lilu ging der Bäuerin zur Hand und in diesem Moment entwich Alexander ein lauter, allerletzter Furz. Er hatte gar nichts dagegen tun können. Lilu schmunzelte, und erklärte: »Der Arme kann nichts dafür. Er hat von den verbotenen Nüssen genascht.«

      Da lachte Wigand, der Schmied: »Ja, die alte Guste - wenn das nur nicht so stinken würde. Ha, ha, ha.«

      Dem Jungen war es sehr peinlich, aber Wigand fuhr fort: »Ich bin der Versuchung als Bursche auch erlegen, wie fast alle Burschen des Dorfes. Das war so etwas wie eine Mutprobe, damals, als wir noch jung waren und Flausen im Kopf hatten. Was, Ewald?«

      Der Bauer nickte: »Zu unserer Zeit musste man lange nach der alten Guste suchen.«

      »Man sagt, die Blüten seien nur ihre Schlünde und wenn man einen abschlägt, würden an anderer Stelle zwei neue auftauchen«, erklärte Wigand geheimnisvoll. »Die alte Guste soll tief in der Erde leben und nur ihre Mäuler an das Tageslicht lassen. Mal sind sie hier, mal sind sie dort.«

      »Und was hat das mit den Kügelchen auf sich?«, wollte Alexander wissen.

      »Die Kügelchen machen süchtig. Man kann nicht davon lassen.«

      »Aber warum platzt man?«

      »Unsinn, man platzt nicht. Nur kleine Viecher. Die Kadaver locken Aasfresser an, die dann in die Falle der Alten tappen. Irgendjemand wird also immer gefressen.«

      »Jetzt genug der alten Geschichten«, entschied Ewald. »Was ist der Grund deines nächtlichen Besuchs, Wigand? Du bist doch nicht durch die Nacht gestapft, um mal wieder etwas Anständiges zwischen die Zähne zu bekommen.«

      »Das ist leider wahr, auch wenn ich keinen besseren Grund wüsste, euch zu besuchen«, antwortete der Schmied, dem das Mahl zu schmecken schien. Dann wurde sein Blick ernster und er fuhr fort: »Es liegt Unheil in der Luft. Etwas Böses sucht unsere Gegend heim. Das Vieh wird gerissen und der Köhler ist spurlos verschwunden.«

      »Da erzählst du nichts Neues, Wigand«, nickte der Bauer. »Zwei meiner Rinder, ein Dutzend Hühner sind bereits verschwunden und sogar der Kohl vom Felde. Es kommt immer nur des Nachts und ist sehr vorsichtig. Was denkst du, sucht unsere Gegend heim?«

      »Wer weiß? Einige behaupten den Schatten einer grauen Bestie gesehen zu haben. Andere warnen vor Dämonen, doch was es auch sein mag, der Rat ist zusammengetroffen und hat beschlossen, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Die Jüngeren von uns sind ausgezogen, die umliegenden Höfe zu warnen.«

      Die Männer besprachen den Ernst der Lage. Die Einwohner von Betbure hatten beschlossen Jagd auf die Bestie zu machen und ihr das Fell über die Ohren zu ziehen. Und obwohl der Bauer vom Erscheinen des Uranolithen wusste, brachte er diesen nicht zur Sprache. Seltsamerweise auch den Drachen nicht.

      Zu später Stunde fielen Alexander immer wieder die Augen zu, da die Strapazen der Reise noch in seinen Knochen steckten.

      »Ihr solltet Euch ausruhen, damit Ihr bald wieder zu Kräften kommt«, schlug die Bäuerin vor und führte die Gäste zu ihren Betten. »Hier haben unsere Jungs geschlafen«, erklärte sie mit einem Seufzen. »Es ist alles noch so, wie an dem Tag, an dem sie gegangen sind.«

      Es war ein gemütliches Dachzimmer, in dem sechs Kinderbetten auf­gereiht nebeneinander standen, und über jedem Bett hing eine Art Amulett. Über dem Fenster hing ein gestickter Rahmen, auf dem ein Reim zu lesen war:

      ›Friede und Segen wird es nicht geben

       es wird dich holen in der Nacht

       wenn der Herrgott nicht über dich wacht‹

       Anni

      Tief und schwer war Alexanders Schlaf und als am nächsten Morgen der Hahn zu krähen begann, streckte er noch einmal die müden Knochen aus und zog die Bettdecke über seinen Kopf. Lilu stand bereits fix und fertig angekleidet vor ihm und sagte: