Nach einigem Hin und Her und nachdem der dumpfe Donner hunderter gedämpfter Konversationen träge vorüberzog, wurden die zehn Teilnehmer in die Mitte der Halle gerufen. Jeder wurde auf einen der zentral positionierten Marmorblöcke verteilt, damit die zahlreichen Zuschauer das Spektakel von ihrer behelfsmäßigen, semilunaren Arena möglichst angenehm verfolgen konnten.
Auf ein lang gezogenes Hornsignal hin begannen die Steinmetze in der Halle damit, zu hämmern und zu meißeln. Bald übertönte der Lärm der entstehenden Statuen alle anderen Geräusche und die Wände warfen das Echo tausendfach zurück. Garandor wusste schon seit Langem, in was er den unförmigen, marmornen Klotz vor ihm verwandeln wollte. Er würde eine Statue von Balira anfertigen, würde die Tradition, den Kopf des Königs in möglichst feinem Detail zu erschaffen, dem verflogenen Stimmendonner hinterherschleudern. Er liebte sie, seit er sie das erste Mal vor vielen Monden erblickt hatte – obwohl er bisweilen zweifelte, ob das nicht zu romantisch war, um wirklich der Wahrheit entsprechen zu können – doch traute sich nicht, es ihr zu gestehen. Die Idee ihr seine Liebe auf diese Art zu offenbaren, gefiel ihm allerdings. Womöglich gerade weil er so ein hoffnungsloser Romantiker war.
Garandor wagte keinen Blick zu einem seiner Konkurrenten. Die Spannung nährte seine Kreativität, seine unbändige, zwergische Hingabe, redete er sich tapfer zu. Denn in Wirklichkeit warf die Angst handtellergroße Steine in seinen Magen.
Als er das Stadium der Augen erreichte, stahl er doch einen flüchtigen Blick zu Baldons Kreation. Lächelnd widmete Garandor sich erneut Balira. Baldon hatte einen Fehler begangen; hatte die Augen seiner Statue, welche, wie erwartet, König Torabur darstellen sollte, zu weit auseinander gesetzt und nicht mit ausreichend Weisheit versehen. Und solch einen Fehler konnte man sich in diesem Wettbewerb nicht erlauben. Nicht, wenn König Torabur den Gewinner küren würde, nachdem sie alle ihre Kunstwerke vollendet hatten. Garandor würde siegen – da war er sich nun beinahe sicher.
II
„Wir müssen handeln. Sonst gefährden wir unsere Freunde und Geschwister, nicht nur innerhalb der Festung.“ Toraburs warmer, forschender Blick traf jedes Augenpaar an der beeindruckenden Tafel, auf der sich die Ellbogen der unterschiedlichsten Geschöpfe stützten. Elfen, Menschen und Zwerge; sie alle hatten sich versammelt, um die bevorstehenden Zeiten mit Bedacht zu beraten. Torabur hatte gehofft, dass die Nachricht niemals den Eisenturm erreichen würde, hatte sich davor gefürchtet.
„Und was gedenkst du zu tun?“ Grimmdors durchdringende, befehlsgewohnte Stimme zerschnitt die Luft weniger, als dass sie sie niederwalzte, oder zerschmetterte. Der Zwerg war von einer ungeheuer kräftigen Gestalt; überragte den Großteil seines Volkes um beinahe einen Kopf und seine Muskeln pulsierten in massiven Armen. Seine beinahe schwarzen Augen strahlten Kälte aus. Einige mieden ihn aus Angst, fürchteten sich vor den Wutausbrüchen, die er kaum zu kontrollieren vermochte. Man sagte gar über ihn, er habe im Krieg gegen die Trolle zwei seiner eigenen Freunde erschlagen. Doch das hielt Torabur für Unsinn, für Lügen, die einer seiner Feinde innerhalb der Festung erfunden hatte. Er hatte Grimmdor jedoch in all den Zyklen nicht selber gefragt; womöglich weil er die Antwort nicht hören wollte.
Die prächtige Gesichtsbehaarung seines Generals erstaunte Torabur stets aufs Neue. Sein Bart war, wie für alle Zwerge, das Wichtigste im Leben – mit den möglichen Ausnahmen von Met und Krieg. Grimmdor hatte sich prunkvolle Eisen- und Silberringe in den Bart geflochten, welche ihn wie einen wahren Herrscher aussehen ließen. Die Zeiten von Toraburs Bart waren vor einigen Wintern verflogen, was ihn mit Bitternis erfüllte. Auch er hatte einmal einen solchen Bart besessen, doch dieser war den kurzen, ausgedünnten Fransen, die knapp über seiner Brust endeten, gewichen. In einem verzweifelten Versuch zumindest einen Hauch königlichen Prunks zu bewahren, hatte er sich schmale, goldene Ringe eingeflochten, welche aufgrund der Feinheit seiner spröden Gesichtsbehaarung hinunterrutschten. Es half alles nichts. Seine müden, braunen Augen musterten Grimmdor nachdenklich. Der Krieger sah wahrlich wie ein echter König aus.
Zeit sich auf das Dasein als König vorzubereiten, hatte Torabur keine gehabt. So plötzlich war sein älterer Bruder von ihm gegangen, im Trollkrieg. Ihr Vater, Hjálmuron, welcher eine lange und friedliche Zeit als König erlebt hatte, hatte Toraburs Bruder des Öfteren davor gewarnt, sich blind und übermütig in Gefechte zu stürzen. Schließlich musste für die Thronfolge gesorgt sein. Doch Taranúr bestand stets darauf, in der ersten Reihe zu kämpfen. Zuweilen plagte Torabur das Gefühl, sein Bruder wusste, was geschehen würde. Dass das Glück ihn eines Tages in roten Strömen verlassen würde.
In einem der letzten Gefechte der Trollkriege, als Hjálmuron bereits in See gestochen war und Taranúr entgegen aller Warnungen als junger König in der ersten Linie gekämpft hatte, war es schließlich geschehen. Um zwei seiner Untertanen – welche er nicht besser kannte, als den niedrigsten Pferdepfleger – zu retten, war er in eine Gruppe von dutzenden Telénastieren gestürmt. Furchteinflößende Kreaturen für die drei Zwerge ein gefundenes Fressen waren. Dennoch wirkte die Moral, die Stärke, die er ausstrahlte wahre Wunder in den zwergischen Reihen und nach seinem Fall fochten die verbleibenden Truppen umso erbitterter. Mehr als stolze Erinnerungen blieben Torabur allerdings nicht.
Der König musste trotz seiner nicht vollständig überwundenen Trauer schmunzeln. In einer der letzten Wochen vor dem Ausbruch der Trollkriege hatten sie in einer der unzähligen Tavernen der Festung darum gewettet, wer von ihnen innerhalb der kürzesten Zeit die meisten Krüge Met hatte leeren können. Eine törichte Wette, bei welcher der jüngere Bruder seinen damals noch stattlichen Bart eingebüßt hatte. Wie frei er früher doch gewesen war. Daran dachte er gerne zurück, in seinen schlimmsten Momenten. Es half ihm, alles zu vergessen, die Welt und ihre Probleme auszublenden.
„Wirst du mir heute noch antworten, mein König?“
Grimmdor achtete nicht auf Förmlichkeit. Lediglich wenn ihm etwas missfiel, oder wenn er äußerst gereizt war, nannte der General Torabur zynisch mein König.
„Ich weiß nicht, wie wir handeln sollen. Ich sehe keinen Ausweg.“ gestand Torabur ruhig.
Er hatte nicht bemerkt, dass er Grimmdor die ganze Zeit über angestarrt hatte, was ihm nun im Nachhinein ein wenig peinlich war.
„Das hatte ich befürchtet.“ murmelte die für einen Zwerg helle Stimme Paradurs kaum hörbar in den Saal hinein. Doch nicht leise genug. Das Echo verstärkte jedes noch so stille Geräusch.
Nun blickten alle Anwesenden ihn an und es war ihm sichtlich unangenehm, dass solch einschüchternde Augenpaare sich auf ihn richteten. Paradur war einer der Offiziere in Toraburs Heer. Allerdings nicht, weil Grimmdor seine Ratschläge respektierte, sondern weil Torabur darauf bestand.
Der König hielt Paradur für einen ausgezeichneten Taktiker. Allerdings besaß er bei weitem nicht die Kampferfahrung und Kaltherzigkeit Grimmdors. Er hatte trotz seiner Schlachten eine zwergische Wärme bewahrt, hatte die Seele nicht aus den Augen verloren und das war es, was Torabur an ihm schätzte. Paradur hatte nichts Kriegerisches an sich. Furchteinflößende Muskeln zierten seine Arme nicht, sein Körper besaß keine Unzahl an Narben, was daher rührte, dass der Taktiker, wenn er kämpfen musste, stets in einer der hintersten Schlachtreihen focht. Des Weiteren stellte er das Gegenteil Grimmdors dar, da er beinahe einen Kopf kürzer als die meisten Zwerge war. Wache, blaue Augen blickten schüchtern in die Runde aus den Höchsten und Besten der Elfen, Menschen und Zwerge.
„So, hast du das?“ fragte Torabur neugierig.
„Ja – allerdings bin auch ich zu keiner Lösung gekommen.“ Betrübt senkte er den Blick, während ihm die Schamesröte in die Wangen stieg. Grimmdor schnaubte verächtlich; was für eine Schande von einem Zwerg.
„Niemand