Schattenkönig. Azura Schattensang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Azura Schattensang
Издательство: Bookwire
Серия: Die Chroniken von Canthan
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752923780
Скачать книгу
du die königliche Familie kanntest, dann erinnerst du dich sicherlich noch an Kyle?“, fragte Aurelia aus einer Laune heraus.

      „Kyle Farland? Der kleine Junge, den der König damals aufgenommen hat?“ Lillith blickte auf.

      Aurelia nickte.

      „Sicherlich. Ein herzensguter Junge. Es war keine Überraschung, dass er später General der königlichen Leibgarde wurde. Er wäre für die Familie Algrim durch die Hölle marschiert. Ich habe die ganze Zeit daran gezweifelt, dass er für das Attentat verantwortlich sein soll. Es hätte einfach keinen Sinn ergeben“, sagte Lillith.

      Aurelia schwieg einen Augenblick. „Wie nah standen er und Amelia sich?“

      Lillith wirkte etwas überrascht, angesichts dieser Frage. „Nun... sie war wie eine Schwester für ihn. Ich glaube, die beiden trennten nur etwa fünf Jahre. Heinrich und Roderich waren ihre beiden älteren Brüder. Sie war so etwas wie das Küken in der Familie. Warum fragst du?“

      „Nur so.“ Aurelia zuckte mit den Schultern. Schweigend saßen sie einige Zeit nebeneinander.

      „Dieses Drachenherz. Du sagst, es besitzt starke magische Kräfte?“ Aurelia fuhr mit den Fingern über den glatten Stein.

      Lillith sah sie aufmerksam an. „Ja. Wenn ein Drache sein Leben aus Liebe gibt, kristallisieren sich seine Gedanken und Gefühle. Sie formen diesen Stein und schließen einen Teil seiner magischen Kräfte in ihm ein. Man sagt, dass der Stein die Farbe seiner Seele annimmt. Die Kraft des Steins reagiert auf starke Emotionen des Trägers. In der Regel auf das starke positive Gefühl der Liebe. Drachenherzen sind sehr selten, das macht sie daher auch so wertvoll.“

      „Wäre es stark genug, um einen Fluch zu brechen?“

      Lillith legte den Kopf schief und sah Aurelia eingehend an.

      „Ich schätze, dass kommt auf den Fluch an. Warum fragst du?“

      Aurelia schilderte dem Drachen kurz, was ihr mit Kyle widerfahren war. „Er sagte, dass ihn ein Schlag durchfuhren habe, als ich ihn berührte. Plötzlich konnte er seinen eigenen Herzschlag wieder spüren. Irgend wie schien der Fluch an Stärke zu verlieren. Er begann wieder zu träumen und schließlich war er wieder verwundbar. Nun... ich denke er ist wieder sterblich... wenn man es so sagen kann.“ Nachdenklich legte Lillith die Finger an die Lippen.

      „Gut möglich, dass das Drachenherz auf deine Gefühle, dein Mitleid, reagiert hat und dadurch der Fluch zu bröckeln begann.“ Sie zögerte einen Moment. „Wer, sagtest du, hat Kyle verflucht?“

      „Eine Schattengestalt. Sie bezeichnete sich selbst als Schattenkönig. Eine ähnliche Gestalt erschien, als ich Roderich... als... als er starb.“ Noch immer konnte Aurelia sich nicht damit abfinden, dass sie für seinen Tod verantwortlich war.

      Plötzlich packte Lillith Aurelia am Arm. Sie drückte so fest zu, dass es weh tat und Aurelia gequält aufschrie. „Sag das noch mal!“ Ihre Augen waren vor Schreck geweitet.

      „Was? Der Schattenkönig?“ Vergeblich versuchte Aurelia ihren Arm aus Lilliths Griff zu befreien.

      „Der Schattenkönig! Das ist der Name den sich der dunkle Herrscher damals selbst gegeben hat!“ Ihre fahle Haut wurde noch blasser. „Es kann nicht sein! Er sollte für immer versiegelt worden sein!“ Sie bemerkte Aurelias schmerzverzerrtes Gesicht und ließ sie mit einem entschuldigenden Lächeln los.

      „Es tut mir leid. Aber wenn es stimmt was du sagst, stecken wir in großen Schwierigkeiten.“ Sie stand auf und begann hin und her zulaufen. „Nicht nur Canthan... nein, der gesamte Kontinent ist in Gefahr. Er hat schon einmal versucht den Kontinent zu unterjochen und er wird es wieder tun. Damals gelang es nur knapp ihn aufzuhalten.“ Ruckartig blieb sie stehen und sah Aurelia ernst an. „Du musst sofort nach Ehrenthal zurückkehren. Du musst das Amt als Königin antreten und Canthan unter einem Banner vereinen. Schicke boten nach Arthenholm und Mherdon. Sage ihnen, dass der dunkle Herrscher womöglich zurück ist.“

      „Ich werde nichts dergleichen tun!“ Aurelia verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte Lillith wütend an. Sie würde sich nicht von einem Drachen herumkommandieren lassen.

      „Wie bitte?“ Lillith stemmte die Fäuste in die Hüften.

      „Ich werde nicht zurückkehren. Ich werde auch keine Königin sein. Dies ist mein Leben und ich werde es leben, wie ich es möchte!“

      Ein gefährlicher Ausdruck trat in Lilliths Augen, als sie sprach. „Hör mir gut zu. Eine ganze Familie hat ihr Leben dafür geopfert, um dich zu schützten. Deine leibliche Mutter hat ihr Leben gegeben, damit du überlebst! Willst du es ihnen etwa so danken?! Das Land braucht dich! Also höre auf, mit deinem Schicksal zu hadern und trete dein Erbe an!“

      „Warum fragt eigentlich keiner, wie ich mich dabei fühle?!“ schrie Aurelia auf. „Glaubst du nicht auch, dass das alles etwas plötzlich kommt? Wie würdest du dich an meiner Stelle fühlen?“

      Lillith erwiderte nichts. Schweigend sah sie Aurelia an. „Du hast Recht. Es muss alles sehr verwirrend sein. Ich kann mir keine Vorstellung davon machen, wie es in deinem Inneren aussehen mag. Trotzdem. Auch wenn du keine echte Nachtschatten bist, hattest du eine Familie und ich glaube, dass sie dich sehr geliebt hat.“ Sie kam näher und legte Aurelia die Hände auf die Schultern. „Behalte dies im Herzen. Du bist nicht allein. Da draußen gibt es Menschen, die für dich da sind. Ihres und unser Leben stehen auf dem Spiel.“ Sie zog sie in eine feste Umarmung. „Es wird kein leichter Weg, aber wir werden ihn gemeinsam gehen.“

      Aurelia drückte ihre Gesicht an Lilliths Schulter. Sie roch nach der kalten Nachtluft, nach Nebel und nach Wald. Es war ein seltsamer Geruch, aber er beruhigte sie auf irgendeine Art und Weise. Sie dachte über Lilliths Worte nach und die Gesichter von Meister Albion und Constantin erschienen vor ihrem inneren Auge. Plötzlich erinnerte sie sich an Kyles Worte, als er vor ihrer verschlossenen Tür gestanden hatte. Mit einem Mal verstand sie die Bedeutung dahinter und ein scharfer Stich durchfuhr ihr Herz. Sie kämpfte die Tränen nieder und löste sich aus der Umarmung. „Ich werde zurückkehren“, sagte sie schließlich.

      Kapitel 4

      Nach einer sehr kurzen Nacht machte sich Aurelia am nächsten Morgen an den Abstieg. Lillith hatte sich in ihre Drachengestalt verwandelt und war nach einer kurzen Verabschiedung nach Nordosten geflogen. Sie wollte sich mit den Ältesten ihres Volkes treffen und sich beratschlagen.

      Erleichtert stellte Aurelia fest, dass sich der Abstieg leichter gestaltete als der Aufstieg und sie deutlich schneller voran kam. Wenn alles gut ging, würde sie am Nachmittag bereits den Fuß des Gebirges erreicht haben. Stellte sich nur noch die Frage, wie sie wieder zurück zum Schloss gelangen sollte. Mit etwas Glück hatte der Bauer das Pferd noch nicht zurück gebracht. Vielleicht konnte sie sich auch notfalls irgendwo ein Pferd borgen, schließlich war sie die zukünftige Königin.

      Bei dem Gedanken musste sie lachen. Sie bezweifelte stark, dass irgendjemand ihr diese Geschichte glauben würde.

      Langsam zog die Sonne über den Himmel, während Aurelia immer weiter hinabkletterte. Als sie fast am Ende des Pfades angelangt war, wurden die Schatten länger. Sie legte eine kurze Pause ein und schaute auf, um ein letztes Mal die Aussicht zu genießen. Die kleinen Bauernhöfe wirkten wie Puppenhäuser. Zwischen ihnen konnte sie einen einzelnen Reiter erkennen, der scheinbar von Tür zu Tür ritt. Er war viel zu weit weg, als dass sie genauere Details hätte erkennen könne, aber auch ohne diese hatte sie eine starke Vermutung um wen es sich dabei handelte. Ihr Herz wurde schwer und sie schluckte hart an dem Klos in ihrem Hals, während sie das letzte Stück des Pfades hinabstieg.

      Unten angelangt, sah sie auch schon den Reiter auf sich zukommen. Scheinbar hatte er die Felsen nach dem Pfad in die Berge abgesucht. Als er nahe genug heran war, sprang er von seinem Pferd, noch ehe es vollständig zum Halten kommen konnte. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und blieb dicht vor ihr stehen. Sein Haar stand wirr in alle Richtungen und unter seinen grünen Augen lagen dunkle Schatten.

      „Endlich