Zeit ist nicht das Problem. Jens Wollmerath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens Wollmerath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847629283
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wieder. Nichtstun! Ist wohl weiter verbreitet als ich dachte.

      „Und was maachst du,Karrl?“

      „Ach, nichts Aufregendes. Ich hab jetzt so einen Job an der Uni!“

      „Besser als Baustelle!“

      Eine Weile diskutierten sie noch über andere Arbeitsmöglichkeiten für Jegor. Karl beschloss, seinen Freund Steve bei nächster Gelegenheit zu fragen, ob er eine Idee hätte. Nach einer guten Stunde verabschiedete sich Jegor.

      „Muss noch mal zu Arzt. Er ist Russe und stellt keine dumme Fragen!“ sagte er und drückte Karl die Hand.

      Der blieb noch eine Weile in dem Café sitzen und starrte aus dem Fenster. Auf den Pflastersteinen der Fußgängerzone rannten die Menschen mit prall gefüllten Einkaufstaschen vorbei und strebten ihrem Feierabend entgegen.

       Sonntag, 10. März

       Schon wieder zwei Tage vorbei und ich habe nichts gemacht. Schlafe jeden Morgen bis um 11 und gehe, wenn überhaupt, gegen Abend kurz raus, um mir was zu essen zu holen. Die Langeweile ist zermürbend. Zeit wird wirklich zu einem Problem, wenn man nicht weiß, womit man sie füllen kann.

       Es wird jeden Tag schlimmer. Habe allen erzählt, ich hätte an einem wichtigen Projekt zu arbeiten. Kann aber niemandem sagen, was ich wirklich mache. Oder besser gesagt, nicht mache. Steve ruft auch nicht mehr an. Der perfektioniert seine Bar und ist wahrscheinlich doch sauer, dass er schuftet, während ich rumsitze. Weiß ja selbst noch nicht einmal, was das Ganze soll. Alles, wozu ich in der Lage bin ist atmen, essen und schlafen. Letzteres in einem Ausmaß, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Der Termin mit den Professoren rückt näher. Ich habe nicht den leisesten Schimmer, was ich denen berichten soll.

       14

      „Sie sehen ja schrecklich aus!“

      Professor Hardenberg blickte Karl ein wenig ungläubig an.

      Aus dem Gesicht in der Farbe eines Briekäses stachen Bartstoppeln wie Antennen hervor. Die Tränensäcke übertrafen den Durchmesser der Augen um ein Vielfaches und der Rücken bog sich wie unter einem Zementquader.

      „Was haben Sie denn bloß gemacht? Sie sehen aus wie ein Schmerzpatient.“

      Der Professor führte Karl am Arm in sein Zimmer und drückte ihn in einen der Ledersessel.

      „Nichts“, kam es leise über Karls Lippen, „absolut nichts. Genau wie besprochen.“

      Hardenberg nickte und kritzelte etwas in ein Notizbüchlein, bevor er sich auch setzte.

      „Warten wir noch kurz, bis Dr. Kiefer kommt“, murmelte er und ließ den Bleistift zwischen seinen Fingern wippen.

       Fühle mich ganz übel. Was werden die wohl von mir denken? Erfülle ich ihre Erwartungen? Wahrscheinlich ist das Projekt jetzt schon an seinem vorzeitigen Ende angelangt. Es ist einfach undenkbar, dass man noch weiteres Geld in die zunehmende Verwahrlosung eines Versagers steckt. Dann halt doch wieder Paketdienst oder Baustelle.

      In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und Dr. Kiefer betrat das Büro.

      „Na junger Freund, wie bekommt Ihnen der Trank der Götter?“

       Sehr witzig. Spar dir deine geistreichen Kommentare.

      „Sehen Sie mich an, die Langeweile beginnt mich von innen heraus zu zerfressen“, erwiderte Karl bitter und blickte die beiden Projektleiter finster an.

      „Aber, aber“, beschwichtigte Kiefer, „wer hat denn gesagt, dass Sie sich langweilen sollen. Sie sollen lediglich nicht arbeiten.“

      „Das scheint aber aufs Gleiche hinaus zu laufen“, brummte Karl, „Ich habe wirklich alles versucht. Musik hören, Fernsehen, Computer, Einkaufen!“

      „Das ist schon alles? Versuchen Sie es doch mal mit…“

      „Nein Herr Kollege“, unterbrach ihn Hardenberg, „keine Hilfestellung.“

      „Sie haben Recht, Professor. Entschuldigen Sie.“

      Kiefer wandte sich ab und lief vor dem Bücherregal hin und her.

       Allein, ich bin völlig allein. Die interessieren sich gar nicht für mich. Was wollen die bloß von mir? Ich sitze hier wie ein Sack Dörrobst und die verbieten sich gegenseitig mir irgendwelche Hilfestellungen zu geben. Mann, ich weiß nicht mehr weiter.

      Hardenberg schien Karls Gedanken gelesen zu haben.

      „Jetzt machen Sie sich mal nicht so viele Sorgen, Herr Grün. Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dass der Anfang schwierig wird, war uns allen klar.“

      „Mir nicht, um ehrlich zu sein. Und Anfang von was denn?“

      „Das werden Sie dann sehen“, sagte Hardenberg milde lächelnd, „Glauben Sie mir, Sie brauchen sehr viel Geduld.“ Seine Augen hatten wieder diese eigenartige Leuchtkraft.

      „Wofür? Um zu sehen, wie ich mich in ein psychisches und soziales Wrack verwandele?“

      Karl klammerte sich mit beiden Händen an die Armlehnen des Sessels.

      „Vielen Dank, aber dann sollten wir dieses Projekt vielleicht beenden.“

      „Herr Grün, seien Sie doch nicht so verkrampft.“

      Dr. Kiefer drehte sich wieder zu Karl.

      „Sehen Sie es doch einfach als Geschenk. Sie bekommen Ihr Geld und können tun und lassen, was Sie wollen. Der Frühling steht vor der Tür. Setzen Sie sich unter einen Kirschbaum und geben Sie sich der Muße hin!“

      „Muße! Ich kann dieses Wort langsam nicht mehr hören“, entfuhr es Karl. „Das ist doch alles Mumpitz!“

      „Und so leuchtet denn ein, dass man auch für den würdigen Genuss der Muße erzogen werden und manches lernen muss, und dass diese Seite der Erziehung und des Unterrichts ihrer selbst wegen da ist, während das, was für die Arbeit gelernt wird, der Notdurft dient und Mittel zum Zweck ist“, sagte Hardenberg und zog seine Stirn nachdenklich in Falten.

      „Bitte was?“

      Karl blickte den Professor verständnislos an.

      „Aristoteles“, antwortete Hardenberg ruhig, „aus seiner ‚Politik’!“

       Das ist ja wie beim Laienfilm hier. Und ich bin nur Komparse. Der Regisseur pennt und das Drehbuch haben sie auf der Rückbank des Nachtbusses vergessen. Oder ich habe offensichtlich im Studium doch zu häufig gefehlt. Denn diese Philosophiedozenten hier sind absolut und ganz sicher nicht mehr ganz im Takt.

      „Machen Sie sich nichts draus“, ergriff Kiefer das Wort. „Wenn es gar nicht klappt, dann denken Sie daran, die meisten Menschen sind nicht geeignet, nichts zu machen.“

      „Ist das jetzt von Ihnen?“

      „Nein, Kästner!“

       Keine Ahnung, welcher Tag

       Na, das war ja ein brillantes Meeting mit meinen Koryphäen aus der Forschung. Ich bin genauso schlau, wie vorher. Und freue mich schon auf weitere Wochen endloser Langeweile bis zu unserem nächsten Treffen. Aber mit Zitaten um sich werfen, das können sie. Statt mir einfach zu sagen, was ich tun soll. Nein, alles wird in Rätsel verpackt. Ich bin wirklich stinksauer. Noch so ein Monat und die können ihr Projekt vergessen.

       Und dann noch dieser merkwürdige Traum: Ich saß in einem Park auf einem Maulwurfshügel, plötzlich sah die Umgebung aus wie eine Mischung aus Garten Eden und Schlaraffenland, es fing an zu regnen, aber aus den