„Danke Daniel, mir geht’s gut. Ich hab mich schon mit den drei Top-Spielerinnen des RV United All Girls Soccer Teams unterhalten. Ihre Trainerin kommt auch gleich. Ist doch o.k., wenn wir eine Story über die Mädchen hier im Fußballclub machen, oder?“
Da hatte sie also mal so ganz nebenbei das Kommando übernommen! Natürlich denken wir bei Fußball erst einmal an Jungs, die sich um die Lederkugel streiten, aber warum nicht ein Bericht über Mädchen aus dem Township, die hier in Harare bei Grassroute Soccer das Fußballspielen gelernt haben. Ich bin gespannt, was sie uns technisch am Ball so zeigen werden, denn ich hätte schon gern ein paar Action-Fotos von Andiswa für meinen Bericht.
„Klar doch! Aber dann will ich jetzt auch erst mal sehen, was ihr so drauf habt. Zeigt uns doch mal eine kleine Trainingseinheit!“
Ich habe kaum ausgesprochen, schon flitzen Babalwa, Sibeko und Jabulile – jede mit einem Ball – über den Platz und beeindrucken uns mit einigen Kabinettstückchen. Babalwa balanciert den Ball auf dem Kopf, runter auf die Zehenspitze und wieder zurück, von dort in den Nacken und auf die Ferse und hoch in die Luft, um ihn mit der anderen Zehenspitze wieder aufzufangen. Sie bietet uns ein ganz schönes Showprogramm! Andiswa sieht, wie beeindruckt ich bin, nimmt mich ein wenig zur Seite und spricht im Flüsterton.
„Zeig ihr deine Bewunderung und dann frag sie nach ihrer Lebensgeschichte! Dann hast du eine Story aus dem wahren Leben hier in Khayelitsha, die deine Leser wirklich beeindrucken wird!“
Sie hat also offenbar im Vorgespräch schon so einiges erfahren, was mir bei einem „normalen“ Interview verborgen bleiben würde. Die Bewunderung für meine Begleiterin steigt weiter, aber ich muss mich jetzt erst einmal auf die Fußballerinnen konzentrieren. Glücklicherweise ist die Trainerin noch nicht aufgetaucht und so kann ich mich ganz in Ruhe den drei Mädchen und ganz besonders Babalwa widmen. Ich lobe ihre fußballerischen Tricks überschwänglich und will wissen, wie das denn alles angefangen hat. Das gibt mir erst einmal einen guten Einstieg.
Noch während der Fußball-WM hat Grassroot Soccer das sogenannte Skillz-Street-Programme aufgelegt. Kinder und Jugendliche konnten nach dem Schulunterricht nicht nur Fußballspielen lernen, sondern wurden auch in Life Skills unterrichtet und über HIV/Aids aufgeklärt und getestet. Einige der älteren Mädchen haben aus diesem Programm heraus das RV United All Girls Soccer Team gebildet. Eines dieser Mädchen – Sonwabise – ist die heutige Trainerin des Teams. Ihr haben die Drei alles zu verdanken, wie sie mir erzählen. Und Babalwas Geschichte ist tatsächlich diejenige, die den Weg in unser Magazin in Deutschland finden wird.
Sie wurde zwar in Kapstadt geboren, aber ihre Eltern zogen mit ihr nach
Johannesburg, als sie sechs Jahre alt war, da beide dort Arbeit gefunden hatten. Sie verbrachte ihre gesamte Grundschulzeit – sieben Jahre – auf einer der guten Schulen in Soweto und ihre Familie lebte in einer schönen Mittelklasse-Wohngegend. Doch dann verloren beide Eltern ihre Arbeit in der gleichen Fabrik, die pleite ging und sie konnten sich diesen Lebensstil nicht mehr leisten. Beide hatten sich innerhalb der Fabrik ,hoch gearbeitet’ ohne ursprünglich die entsprechende beruflich Qualifikation zu haben. Ihre fehlende Ausbildung rächte sich nun bei der Jobsuche.
Die Großeltern lebten in Khayelitsha und so entschieden sie, fürs Erste dorthin zu ziehen, bis die Eltern in Kapstadt Fuß gefasst haben würden. Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht, da die Suche nach Arbeit extrem schwierig war. Babalwas Vater hat bis heute keinen festen Job, da er viele Tätigkeiten als ,unter seinem Niveau’ ablehnt . Er wurde drogenabhängig und ihre Mutter ertränkt ihren Kummer über die familiäre Situation immer häufiger im Alkohol.
“Nach Khayelitsha zu kommen war eine große Qual für mich. Wir hatten alles gehabt und nun standen wir plötzlich vor dem Nichts. Ich bin englischsprachig aufgewachsen, also verstand ich die hiesige Sprache Xhosa nicht richtig!”
So musste sie die 8. Klasse, ihr erstes Jahr auf der High School, gleich wiederholen. Die Wohnsituation in Khayelitsha war auch sehr schwierig für sie: 15 Personen leben hier im Haus ihrer Großeltern mit nur zwei Schlafzimmern und zwei Wellblechhütten im Hinterhof.
“Die Menschen leben hier förmlich aufeinander! Die Gewalt auf der Straße reflektiert eigentlich nur die Gewalt in den Häusern, innerhalb der Familien. Alkohol- und Drogenexzesse sowie Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Ich kann nicht sagen, wie oft schon Männer über mich hergefallen sind – auch aus meiner eigenen Familie.“
Sie erzählt diese Dinge mit einer Selbstverständlichkeit, als würde sie von einem Familienfest am letzten Wochenende berichten. Sie sieht meinen erschrockenen, verwirrten Gesichtsausdruck und lacht.
„Ja solche Dinge sind Sie in Ihrer Welt nicht gewöhnt – aber für uns ist das Alltag!“
In der zehnten Klasse besuchte Sonwabise von Grassroot Soccer Babalwas Schule und erzählte vom Football-For-Hope Centre und dem RV United All Girls Soccer Team.
„Ich dachte immer, Fußball sei nur was für Jungs, aber Sonwabise hat so eine ganz besondere Art, über ihren Sport zu erzählen, das hat mich sofort mitgerissen und fasziniert. Ich hab mich auch immer eher für unsportlich gehalten, denn die typischen Mädchensportarten wie Turnen oder Netball, die wir in Soweto in der Schule hatten, konnten mich nie begeistern und so strengte ich mich da auch nie an. Daher wollte ich zuerst auch nicht mitmachen, aber Sonwabise versicherte uns, dass wir viel Spaß haben würden und sie uns alles über Fußball beibringen könnte. Und da sonst nie etwas Aufregendes an unserer Schule passierte, freute ich mich einfach auf eine besondere Aktivität.”
Niemals hätte Babalwa gedacht, dass Fußball einen solch weitreichenden Einfluss auf ihr Leben haben würde. Anfangs ging sie tatsächlich nur zum Sportplatz, um Spaß zu haben, aber allmählich verbesserte sich ihr Spiel und Sonwabise, die sehr schnell ihr Talent erkannte, unterstützte sie nach Kräften. Babalwa wurde immer ehrgeiziger und hatte sich insgeheim zum Ziel gesetzt bald möglich zur Topmannschaft des RV United All Girls Soccer Teams zu gehören. Babalwa engagierte sich auch als die ersten englischen Austauschschüler nach Khayelitsha kamen. Sie half Sonwabise ein Fußballspiel gegen die Engländerinnen zu organisieren, fand neue Freundinnen und hielt den Kontakt zu ihnen nach England über Facebook. So war es nicht überraschend, dass sie von ihrer Schule für den Schüleraustausch nach England ausgewählt wurde.
“Ich bin zu allen Treffen gegangen, habe alle Formulare ausgefüllt, obwohl meine Familie das Geld für den Flug nicht aufbringen konnte. Ich wollte einfach dorthin!”
Sie suchte sich einen Gelegenheitsjob und konnte so etwas Geld sparen. Es war jedoch nur ein kleiner Teil dessen, was sie benötigte. Sie schrieb eine Zeitung an und die publizierte ihre Geschichte. Ein paar Tage später meldete sich ein Fußballspieler vom Proficlub Ajax Cape Town als Sponsor! Sie konnte tatsächlich nach England fliegen!
“Das Leben bei euch in Europa ist so ganz anders. Ich glaube nicht, dass ihr wisst, wie viel Glück ihr habt! Ihr habt so viele Chancen und Möglichkeiten, die euch geboten werden. Das gibt es hier in Khayelitsha alles nicht. Aber die Schüler in meinem Alter sind dort auch sehr ehrgeizig, um ihre Ziele zu erreichen, während wir hier furchtbar träge sind. Die Menschen hier wissen einfach nichts von der Welt da draußen. Während meines Aufenthalts in England ist mir klar geworden, dass ich in meinem Leben etwas Besonderes erreichen möchte!”
Im Mutterland des Fußballs blieb ihr Talent glücklicherweise auch nicht verborgen, so dass die englischen Sportlehrer an der Partnerschule auf sie aufmerksam wurden und ihr jede Hilfe versprachen, wann immer sie diese benötigen würde. Aber sie motivierten sie auch, zuerst die Schule erfolgreich zu beenden und nicht alles auf die eine Karte zu setzen. Nun wird sie in diesem Jahr ihr Abitur machen – Matric heißt das hier in Südafrika – und danach ihren Traum von einer Profi-Fußballerin verfolgen. Bis ins RV United Team hat sie es auf jeden Fall geschafft und – wer weiß – vielleicht geht es