Corinna Leuchter ist ganz angetan von meiner Idee, gemeinsam mit einer einheimischen schwarzen Fotografin ,auf die Pirsch zu gehen’, wie sie es nennt.
„Mit Ihnen an ihrer Seite kann sie sicher viel praktische Erfahrung sammeln.“
Sie meint, für eine solche Aufgabe käme aber nur jemand im dritten, also letzten Studienjahr infrage.
„Tja und da haben wir natürlich nur eine einzige Kandidatin, da unsere Stipendiaten leider meist bereits nach einem Jahr aufgeben – Fotografie ist eben ein schwieriges Studienfach. Ich werde Andiswa rufen lassen. Ihre Leistungen sind gut bis sehr gut. Ich kann sie Ihnen also mit gutem Gewissen empfehlen. Ob sie beide miteinander klarkommen, das müssen Sie dann schon selbst sehen.“
Und dann öffnet sich die Tür – das Sonnenlicht strahlt schräg durch das Fenster und gibt zuerst nur eine Silhouette frei – doch bereits in diesen gleißenden Lichtstrahlen ist es mir in der Winzigkeit eines Augenblicks klar:
Das ist Sie, die African Princess, exakt so wie sie in unserem WG-Wohnzimmer auf einem Gemälde von Xholile Khayanya zu sehen ist, das Clarence so gerne mit einem leicht hämischen Unterton kommentiert:
„Ja, ja, so stellt ihr Europäer euch die afrikanischen Schönheiten vor – und dann wollt ihr sie uns weg und mit nach Hause nehmen! Aber in echt haben die alle Haare auf den Zähnen.“
Im Augenblick interessiert mich das aber überhaupt nicht, fasziniert starre ich mein Gegenüber an, sie steht immer noch in der Türe. Dass ihre Erscheinung dort auf mich eine besondere Wirkung hat, ist wohl auch den beiden Professorinnen nicht verborgen geblieben, denn bisher hat noch niemand ein Wort gesprochen. Wenigstens fällt dadurch meine eigene Sprachlosigkeit nicht so auf, hoffe ich zumindest. Aber einen intelligenten Eindruck hinterlasse ich gerade wohl gar nicht – ich sitze da mit offenem Mund und bringe immer noch keinen Ton heraus.
Es hat mich erwischt! Und es hat keineswegs die von Psychologen immer wieder gern genannten sieben Sekunden gedauert. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde bin ich verzaubert, meine Kehle zieht sich zusammen und im Bauch fliegen die berühmten Schmetterlinge wie wild umher. So ist das also mit dem Magischen Moment, geht mir durch den Kopf – und sogleich der nächste Gedanke: Ob es ihr ähnlich ergeht? Oder ob sie bei meinem Anblick gar nichts fühlt? Dann wäre es ein sehr einseitiger Moment, überhaupt nicht magisch … Ich kann meinen Blick jedenfalls nicht von ihr abwenden, ihre Augen üben eine unglaubliche Anziehungskraft auf die meinen aus – sie hält jedenfalls meinem Blick stand und schaut mit einem tiefen Blick in meine Augen zurück. Und dann lächelt sie! Mein Herz macht einen Sprung und auch meine Zunge löst sich endlich wieder.
„Hallo, ich bin Daniel, ein Journalist aus Deutschland, und ich suche eine Fotografin, die mit mir arbeiten möchte.“
Da hellt sich ihr Gesicht noch weiter auf, sie strahlt mich regelrecht an und ich weiß, dass ich meine Mitarbeiterin gefunden habe, alles Weitere wird sich dann schon finden. Sie stellt sich mir als Andiswa Qamata vor.
„Aber hier in der Akademie nennen mich alle nur Andy.“
„Ich würde aber lieber Andiswa sagen, das ist doch dein richtiger Name.“
„Klar. Es ist halt selten, dass Weiße uns bei unserem Xhosa-Namen nennen – aber voll o.k.“
Die Professorin macht noch klar, dass ihre studentischen Aufgaben für das dritte Studienjahr auf keinen Fall unter unserer Zusammenarbeit leiden dürften.
„Die Arbeit mit Daniel ist ein Extra für dich. Du wirst von seiner journalistischen Erfahrung sicher einiges lernen können. Und für dich ist es ein toller Einstieg, wenn dein Name unter Fotos in einem deutschen Magazin steht. Also bitte, mach mir und der Akademie alle Ehre!“
Sie meint, alles Weitere könne sie uns dann wohl allein überlassen und will die Zeit nutzen, sich noch ein wenig mit ihrer alten Freundin Gina zu unterhalten. Habe ich das richtig gesehen und sie hat mir bei dem Wort ,allein’ zugezwinkert? Hat sie also gespürt, was da eben passiert ist? Wir verabschieden uns freundlich mit den üblichen Floskeln und da stehe ich nun mit Andiswa draußen in der Eingangshalle und fühle mich eher wie ein pubertierender Schuljunge als ein gestandener Journalist, von dem Andiswa einiges lernen soll.
Unsere Blicke treffen sich immer wieder, aber beide schauen wir immer nur kurz in die Augen des anderen und dann wieder weg, es ist wie ein vorsichtiges, leicht verschämtes Abchecken – ohne Worte. Immerhin habe ich jetzt endlich ein wenig Zeit, sie in ihrer ganzen Gestalt etwas genauer zu betrachten. Sie hat nicht diesen typischen Körperbau der Xhosa-Frauen, den ich wohlwollend beschreibend als extrem kurvig bezeichnen würde. Ihre Figur ist eher wie die einer sportlichen Europäerin. Ihre Hautfarbe ist auch nicht sehr dunkel, sondern eher braun wie bei den Südamerikanerinnen. Und auch ihre Lippen sind eher schmal, also gar nicht so, wie das Apartheidsregime die Mitglieder der Bantuvölker kategorisiert hatte. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde vermuten, dass sie aus Brasilien oder der Karibik stammt und nicht eine echte Xhosa aus Südafrika ist.
Schließlich werde ich aber doch geschäftlich, wir müssen uns ja zu unserer ersten Reportage verabreden. Ich habe mir dazu ein Fußballprojekt in Khayelitsha ausgesucht, das ich 2010 während der Fußball-WM in seiner Aufbauphase miterlebt hatte. Es interessiert mich sehr, wie es sich in den vergangenen fünf Jahren entwickelt hat. Es wurde damals von der FIFA gesponsert und auch der Deutsche Fußballbund hatte mit geholfen, aber oft verlaufen gerade solche Vorzeige-Projekte ja leider im Sande. Im Internet habe ich schon recherchiert, dass dieses Projekt weiter erfolgreich sein soll, und so habe ich eine erste Idee für eine authentische Reportage im Township bekommen. Glücklicherweise kennt Andiswa das Projekt, denn sie wohnt gar nicht so weit von den Trainingsplätzen des Football-For-Hope-Projekts entfernt.
Das trifft sich gut, denn so können wir uns für den kommenden Samstag auf dem Trainingsplatz verabreden. Sie hat einen kurzen Fußweg dorthin und braucht nicht gleich so viel Zeit am Wochenende für unsere erste Reportage einzuplanen. Während der Woche, wenn sie in Stellenbosch studiert, muss sie täglich eineinhalb Stunden Fahrt pro Strecke zwischen daheim und der Akademie einplanen. Da bleibt also keine Zeit, um mit mir zu arbeiten.
Da kommt mir spontan die Idee ihr für heute eine Mitfahrgelegenheit anzubieten. Nicht ganz uneigennützig erkläre ich, dass Khayelitsha ja quasi auf meinem Weg zurück nach Kapstadt liegt, es mir also keine Umstände macht, sie zu Hause abzusetzen. Leider muss ich mich während der Fahrt sehr auf den Verkehr konzentrieren, kann sie also so gut wie gar nicht ansehen, aber immerhin kann ich ihren Erzählungen von den Aufgaben, die sie zurzeit im Fotografiestudium zu lösen hat, lauschen. Ich erfreue mich dabei am sanften Klang ihrer Stimme.
Sie lotst mich nach Khayelitsha hinein und erklärt mir auch gleich, wie ich schnell und sicher wieder zurück zur Autobahn finde. Das Viertel, in dem sie lebt, macht einen guten Eindruck, hier wohnen sicher keine ganz armen Leute. Leider will sie, dass ich sie an einer Straßenecke aussteigen lasse, so sehe ich nicht das Haus in dem sie wohnt.
Sie schenkt mir zum Abschied noch einmal ein Lächeln und ein Funkeln in ihren Augen. Dann steigt sie geschwind aus, dreht sich herum und verschwindet zwischen den Häusern. Ich muss mich erst einmal sammeln und das Geschehene begreifen. Es grummelt immer noch in meinem Bauch, vielleicht hat Herbert Grönemeyer ja doch recht und es sind gar keine Schmetterlinge sondern wirklich eher Flugzeuge. Aber ich muss mich wieder aufs Fahren konzentrieren, denn hier in Khayeltisha sollte ich nicht vom Weg abkommen. Da kann man sich im Labyrinth der Straßen