»Ich grüße euch, Adelus!« gab Terzios zur Antwort.
»Diese Stimme kenne ich doch!«
Der Greis wandte sich von seinen Studien ab und drehte sich zu seinen Besuchern um. Die Wiedersehensfreude im Ansatz erstickend, trat Celena einige Schritte auf den widernatürlichen Greis zu.
»Eure Nachricht deutet daraufhin, dass ihr etwas gefunden habt?«, fragte sie umgehend.
»Oh ja! Ganz und gar. Es ist ein Mittel um die Verworfenheit in uns einzukapseln. Mir fehlt nur eine kleine Winzigkeit. Eine einzige Ingredienz um es zu vollenden.«
Die schnarrende Stimme des Magiers überschlug sich regelrecht vor freudiger Aufregung.
»Einkapseln? Soll das heißen, es wird einen San-Hüter nicht heilen.« Celena verschränkte die Arme vor der Brust.
»Wieso sollte es das?« erstaunte sich der Greis.
Seine Arme nun ebenso verschränkt, deutete Terzios mit einem Nicken zu Adelus hin. »Genau das ist es, was ich meinte. Es geht nur um Macht und dem Erhalt desselbigen. Was als noble Idee begann, wurde in sich verderbt«, schnaubte er abwertend.
»Ich habe euch in all euren Ansichten stets unterstützt, werter Freund. Doch wir sind nun mal vergiftet. Nennt mir einen guten Grund, etwas ändern zu wollen, was nicht zu ändern ist.«
Der Ton des Greises erklang schriller, welcher sich mit der schon schnarrenden Stimme zu etwas Absonderlichen mischte.
Terzios Augen wurden zu gefährlich aussehenden Schlitzen.
»Die Wahrheit! Sie wäre Grund genug.«
»Ha«, stieß Adelus hervor. Er ergriff das am nächstliegende Buch und knallte es erregt zurück auf den Tisch. Staub wirbelte unverrichteter Dinge auf. »Wahrheit? Ist das alles?«
Celena mischte sich in das Gezänk ein.
»Die Lüge ist viel besser, nicht wahr? Sie ist wie eine weiche, warme Decke.«
Mit einer entschiedenen Handbewegung brachte sie jedwedes Widerwort, das sich zu erheben drohte, zum Verstummen.
»Wisst ihr, wer mir das einst gesagt hat? Thiamet selbst. Und sie hat recht. Die Lüge ist angenehmer und bequemer. Wahrlich, ich bin es leid! Ich bin es so leid bequem und warm unter einer Decke zu liegen und nicht mehr aufstehen zu wollen.«
Erleichtert über Celenas Ansicht, nickte Terzios bestätigend.
Adelus hingegen brachte einen leicht verächtlichen Ausdruck über seine Lippen. Er verstummte kurz, um dann mit nickendem Kopf hinzuzufügen: »Ihr habt eine würdige Schülerin gefunden, Terzios.«
Celena achtete nicht weiter auf den greisen Magier.
Neugierig besah sie sich den Arbeitsplatz, der mit einer Vielzahl von Fläschchen, Notizen und einer nicht zählbaren Menge an Tontöpfchen zugestellt war.
»Ihr erwähntet, dass euch eine Zutat fehlt. Welche ist es?«
Wieder auf seine wahre Begabung aufmerksam gemacht, drehte sich Adelus zu ihr um. Sein Gesichtsausdruck nahm eine mildere Form an.
»Die Tränke um primäre Vergiftungen zu heilen, werden aus einer gewissen Pflanze gewonnen. Sie ist sehr selten. Ich vermute, dass es genau diese Pflanze ist, die ich in Kombination mit meiner bisherigen Forschung benötige.«
Celena holte die Blume hervor, die sie bis eben unter ihrer Rüstung verborgen hatte. »Ist es solch eine?«
Sie hielt Adelus die Blüte mit den weißen Blättern und dem rötlichen Tupfer vor die Nase. In diesem Augenblick fiel ihr der Name dieser Pflanze wieder ein. Ihre blauen Augen leuchteten auf.
»Karmastes Gabe«, murmelte sie.
»Das ist es! Genau«, schnarrte er freudig.
Adelus nahm die Pflanze in seine spindeldürren Finger.
»Das ein so kleines, zartes Ding so viel Macht besitzen kann. Sie wächst vornehmlich auf toten Bäumen und auf Stein. Unbeachtet von allem! Unglaublich, oder?«
Die alten, trüben Augen des Greises wurden so groß wie die eines kleinen Kindes, welches sich über ein Geschenk freute.
»Richtig! Unbeachtet von allen, weil die Menschen die Macht stets nur im Großen sehen. Sie wollen nicht die Schönheit in den kleinen, unauffälligen Dingen erkennen, die der göttliche Schöpfer schuf«, kommentierte Sebyll vom Eingang her. Sie lehnte an einem Türbalken, offensichtlich nicht gewillt näherzukommen.
»Ignorante Narren«, knurrte sie verächtlich, bevor sie den Turm verließ.
Celena blickte überrascht von der schwindenden Gestalt der blondhaarigen Frau zu Terzios, der ein entschuldigendes Lächeln aufsetzte. Dann wandte sie sich wieder Adelus zu.
»Wie lange benötigt ihr für die Fertigstellung?«
»Mit Sicherheit kann ich es nicht sagen. Einige Tage werden es bestimmt. Nur, ich muss euch nochmals darauf hinweisen. Ich kann nicht versprechen, dass es die ersehnte Heilung bringt. Möglicherweise kann ich euch damit einen Aufschub verschaffen. Es ist zumindest eine bessere Methode als meine damalige.« Während er zu Celena sprach, betrachtete er fasziniert die Pflanze in seiner Hand.
Im Hinausgehen wandte sich Celena nochmals halb zu Adelus um. Sehnsüchtig sah sie an Terzios vorbei, direkt auf die Blume, die der alte Magier hielt. »Es ist Luteks Lieblingsblume«, flüsterte sie leise.
»Hm«, brummte der alte Hüter. »Seine Mutter liebte ihren Duft.«
In seinen Augen trat ein gewisser Ausdruck von Traurigkeit.
Kapitel 3
Von der alten Festung aus waren sie viele Tage quer durch Hadaiman geritten. Stets den Blick gegen Osten gerichtet.
Wieder einmal wurden sie von der einbrechenden Nacht genötigt anzuhalten, um ein Lager aufzuschlagen. Es war gut so. Einen Tagesmarsch vor ihnen lag ihr Ziel, die Stadt Thelerm. Sie wollten nicht übermüdet und erschöpft dort ankommen.
Während Terzios sich gleich nach ihrem Mahl schlafen legte, studierte Celena den schwarzen Folianten Thiamets. Es war weit mehr als ein Zauberbuch dieser mystischen, selbst in Liedern besungener Hexe. Sie war die Frau, die Morena heranzog, und behauptete die Mutter zu sein. Morena löste sich von ihr, als sie herausfand, dass dem nicht so war.
Ein Abschnitt des Folianten glich einer historischen Aufarbeitung. Passagen davon waren äußerst interessant, denn sie beinhalteten die Geschichte der San-Hüter. Andere wiederum beschäftigten sich mit dem göttlichen Schöpfer. Thiamet würzte ihre Worte darüber mit einem Schuss Sarkasmus. Und doch, sie hatte alles, was sie über ihn wusste, mit gleicher Ernsthaftigkeit aufgeschrieben.
Ein weiterer Abschnitt ließ Celena in ihrem Studium stocken.
Sie blickte auf, während sie das Buch zuschlug. Ihr gegenüber rollte sich Terzios mit schmatzendem Geräusch von einer Seite auf die andere.
Die versiegelten Dokumente des Meisterassassinen fielen ihr wieder ein. Sie kramte sie aus der Satteltasche, die sie neben sich liegen hatte. Schnell waren die Siegel aufgebrochen und sie begann zu lesen.
Am Ende der Zeilen angekommen, hob Celena langsam ihren Kopf und starrte in die tanzenden Flammen. Die Schriftstücke hingen in ihrer erschlafften Hand, drohten gänzlich zu Boden zu fallen.
Leise fluchte sie vor sich hin.
Sie hätte Lutek niemals alleine ziehen lassen dürfen. Belothar. Sie musste schnellstens Belothar aufsuchen, sobald sie Thelerm erreichten.
»Ihr solltet es euch nicht zu sehr zu Herzen nehmen«, flüsterte Sebyll, die sich in diesem Augenblick neben Celena niederließ.
»Er muss seine eigenen Antworten finden, auch wenn ihr sie in diesem Moment in Händen haltet. Ich bin mir sicher, dass es ihm gut geht.«
»Ich bin ein Rindvieh!«, murmelte Celena.
»Sicher doch!«