Hoffentlich musst du nicht in den Krieg. Gerhard Ebert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Ebert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037869
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Leben noch nie zu sehen bekommen: eine gewaltige Fülle rosafrischen Fleisches, aufgeteilt auf zwei Hügel, die sich in dem Rhythmus auf und ab bewegten, in dem die Frau atmete. Tom durchzuckte ein undefinierbares Gefühl. Schnell schaute er weg.

      Doch das hielt er nicht lange aus. Langsam wanderte sein Blick wieder zu der Dame. So etwas musste sie sein: eine Dame! Eine normale Frau, wie er sie von zu Hause kannte, würde den Knopf nicht offen lassen. Als er sie verstohlen wieder musterte, sah er, wie sie zu Opa blinzelte. Und der blinzelte zurück. Im gleichen Moment schlug sie ein Bein über das andere, wodurch allerhand Schenkel unter dem Rock sichtbar wurde. Ziemlich dick, dachte Tom. Jedenfalls empfand er das so. Er wusste nicht, warum.

      Und überhaupt, diese Dame war, im Vergleich mit Mutter etwa, die sich immer als dick bezeichnete, sogar eigentlich sozusagen unverschämt dick. Wie alt mochte sie sein? Tom überlegte. Er kam zu keinem rechten Ergebnis. Auf alle Fälle jünger als Mutter, vielleicht so dreißig. Er beschloss, sich nicht mehr für sie zu interessieren. Auch Opa schien zu einer ähnlichen Entscheidung gekommen zu sein, denn fast demonstrativ schaute er zum Fenster hinaus, obwohl just nur Wald, Wald und noch einmal Wald vorbeihuschte.

      Jetzt gab es Bewegung draußen auf dem Gang. Ein Mann in Uniform schlug einen Gong, öffnete die Abteiltür und fragte, ob man im Speisewagen einen Platz wünsche. Speisewagen! Was ist denn das? Die Dame bekundete sofort ihr Interesse und bekam ein Billet.

      "Die Herrschaften auch?" fragte der Herr, offenbar ein Kellner.

      Opa schaute einen Moment unschlüssig zu Tom. In dessen Gesicht musste er gelesen haben, wie gern der den Speisewagen kennen lernen würde.

      "Ja, zwei Plätze bitte", sagte Opa.

      "Schön", sagte Tom.

      "Auch Appetit, junger Mann?" mischte sich der Kellner ein. Tom wusste nicht, ob er antworten sollte. Eigentlich, fand er, ging dem Herrn nicht an, ob Tom Hunger hatte oder nicht. Er zuckte unschlüssig mit den Schultern. Aber so wichtig schien dem Mann Toms Appetit nun auch wieder nicht zu sein, denn schon hatte er das Abteil wieder verlassen.

      "Sie können schon Platz nehmen", hatte er noch gesagt.

      Die Dame stand prompt auf und musterte Opa, als erwarte sie irgendeine Regung. Aber der schaute auf die Billets, tat so, als merke er ihr Interesse nicht. Tom gewahrte bei der Gelegenheit, dass diese ihm zu dicke Dame auch unverschämt dicke Lippen hatte, die obendrein ausschauten, als seien sie knallrot angemalt. Da Opa sich nicht regte, schob sie die Tür zur Seite und ging hinaus.

      Kaum hatte sie das Abteil verlassen, brummte Opa mit blitzenden Augen unwirsch: "Ein leichtes Mädchen!"

      Tom muss sehr dumm und ratlos geguckt haben, denn schon winkte Opa ab und sagte: "Vergiss es!"

      Was dem Tom nun freilich nicht gelang. Ein leichtes Mädchen? So eine Dicke? Zu gern hätte er zurückgefragt, aber das ging nicht. Wer weiß, was Opa denken würde, wenn er, Tom, sich für ein „leichtes Mädchen“ interessieren würde. Was immer das sein mochte. Er musste unbedingt so tun, als sei ihm völlig gleichgültig, wer da in ihrem Abteil in der Ecke saß. Zum Glück hatte sich Opa inzwischen erhoben, knüpfte seine Weste zu, die er gern der Bequemlichkeit halber öffnete, und wandte sich zur Tür.

      "Komm", sagte er, "wir gehen Mittag essen."

      Das war nun wirklich eine feine Sache. Man konnte in einem D-Zug wie in einem Restaurant futtern! Aber vorher musste man den Speisewagen finden. Kaum stand Opa draußen auf dem Gang, wollte er von Tom wissen, in welche Richtung sie gehen mussten. Da war Tom überfragt. Opa hielt ihm vor, er hätte doch in Leipzig, als er draußen am Zug entlang gelaufen sei, den roten Mitropa-Wagen sehen müssen. Ein roter Wagen? Da war guter Rat teuer.

      Zum Glück kam gerade der Kellner von seiner Tour zurück, und damit war klar, in welche Richtung sie gehen mussten. Aber so einfach war das gar nicht. Der Zug schlingerte elendig. Und diese Übergänge von Waggon zu Waggon! Wahre Höllenschlünde! Unten rasten die Schwellen vorbei. Überall Lücken, durch die Luft pfiff. Tom schienen die Löcher so groß, dass solch schlanker Bursche wie er glatt hätte durchfallen können. Jedenfalls war Tom heilfroh, als sie endlich angelangt waren.

      Große Fenster. Bequeme Sitze. Gedeckte Tische. Saubere, freundliche Menschen. Wunderbar! Wie im Märchen! Und das leichte Mädchen an einem anderen Tisch. Eigentlich schade. Tom hätte zu gern gewusst, was solch ein Mädchen isst. Jedenfalls war er ziemlich abgelenkt, so dass ihm eine Gabel vom Tisch fiel, was nun wirklich nicht hätte passieren dürfen.

      "Träum nicht!" rügte Opa.

      Schon stand ein Kellner an ihrem Tisch und reichte eine neue Gabel, was immerhin auch ganz interessant war. Und zu Opa gewandt sagte er, er solle sich nicht bemühen, die Gabel werde sich schon finden. Tom, der brav aufstehen wollte, um das Ding zu suchen, wurde angehalten, schön sitzen zu bleiben. Gerade jagte der Zug durch irgendeine Kurve, und ein anderer Kellner hatte Mühe, die vollen Gläser auf seinem Tablett heil an Ort und Stelle zu befördern. Tom bekam eine Cola, Opa sein Bier. Wernesgrüner, darauf hatte er bestanden.

      Alsbald kamen die Speisen. Opa hatte für sie beide Wiener Schnitzel bestellt. Es schmeckte einfach wundervoll! Tom fühlte sich sehr, sehr wohl. Gern wäre er noch in diesem geräumigen Wagen geblieben, doch Opa drängte zum Aufbruch, nachdem er gegessen und sein Bier ausgetrunken hatte. Er wollte, meinte er, ihre Koffer nicht so lange allein im Zugabteil lassen. Das war zu verstehen. Noch einmal kam der beschwerliche Trab durch die Höllenschlünde zwischen den Waggons.

      Nachdem sie wieder in ihrem Abteil angelangt waren, wo sie übrigens alle Gepäckstücke noch vorhanden fanden, schien eigentlich die Zeit gekommen, mit vollem Bauche einfach nur so zu dösen. Doch es geschah etwas Ungeheuerliches. Es kam aus heiterem Himmel und war unfassbar.

      Tom hatte ein Weilchen gesessen und schläfrig ein bisschen vor sich hin geduselt. Opa hatte sich an seinen Mantel gelehnt und war eingeschlummert. Die leichte Dame hatte irgendeine Zeitschrift zur Hand genommen und sich darin vertieft. Tom verspürte nicht einmal eine Neigung, sie insgeheim zu beobachten. Er war fertig mit ihr. Ja, sie war dick, nicht fett, aber zu dick, und sonst gab es nichts an ihr zu bewundern. Die beiden Fleischberge machten ihn zwar irgendwie unruhig, aber jetzt waren sie hinter der Zeitung verschwunden.

      Tom überkam angenehme Schläfrigkeit. Dieses gleichmäßige Rütteln des Waggons löste und lockerte. Entspannt hockte er auf seinem Sitz. Plötzlich spürte er eine ihm vertraute Regung. Langsam, ganz langsam erhob sich sein Pimmel! Allmählich und unerbittlich geradezu majestätisch. Tom war total ratlos. Was jetzt? Verstohlen verschaffte er seinem Struller erst einmal Platz in der Hose. Was gar nicht so einfach war; denn er konnte sich ja nicht nach Belieben bewegen. Tom schaute. Die beiden schienen seine Not nicht bemerkt zu haben.

      Inzwischen hatte er einen prallen Pimmel, dass ihm ganz heiß wurde. Was sollte werden? Er konnte doch jetzt nicht seine Hose beschmutzen. Mit dem steifen Ding aufstehen und sich in den Gang verdrücken oder zur Toilette gehen, war ausgeschlossen. Heimlich, dabei immer Opa und die Dame kontrollierend, legte er seine Hand auf die Stelle, um die Erhebung unter der Hose zu verdecken. Himmel, was tun? Warum eigentlich nicht einfach den Hosenstall aufsperren und den strammen Schwengel in die frische Luft herauslassen? Für einen Moment stellte sich Tom vor, was wohl das leichte Mädchen für Augen machen würde.

      Blöd, elend blöd das alles. Weshalb schwoll sein Pimmel an? Hatte das irgendeinen tieferen Sinn? Tom konnte sich's nicht erklären. Plötzlich guckte die Dame zu ihm, ließ den Blick langsam zu seiner Hand wandern. Ihm schoss das Blut in den Kopf. Wahrscheinlich sah er jetzt knallrot aus im Gesicht. Tom wünschte, im Boden zu versinken. Ganz ruhig! sagte er sich. Die Madame konnte nichts bemerkt haben. Dass sie lächelte, musste reiner Zufall sein.

      Da! Ein Bahnhof! Das war die Rettung. Der Zug verlangsamte die Fahrt, hielt, Leute stiegen ein und aus. Tom spürte, dass sich die Lage bei ihm da unten entspannte. Meine Güte, was einem alles passieren kann!

      Wie die Stadt hieß, in der der Zug gehalten hatte, war Tom entgangen. Opa, der aufgewacht war und es wissen wollte, war verwundert. Aber Tom konnte ihm ja nicht sagen, was ihn eigentlich beschäftig hatte. Opa lehnte sich wieder zurück, die Madame war hinaus auf den Gang getreten,