Hoffentlich musst du nicht in den Krieg. Gerhard Ebert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Ebert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037869
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in zwei Meter Entfernung vorbei donnerte, musste man sich ganz schön am Zaun festhalten.

      Nun also eine Reise mit der Eisenbahn! Nicht etwa nur drei, vier Stationen im vertrauten Muldental entlang, etwa nach Waldenburg oder Rochlitz, sondern weit ins Fremde, über Leipzig hinaus bis nach Bremen in die Nähe der Nordsee. Tom barst geradezu vor Erwartung. Aber zu Hause hielt er sich zurück. Besonders gegenüber dem Bruder. Klar, der war noch zu klein, den konnte Opa nicht mitnehmen. Aber letztlich war es eine Bevorzugung, und das war ihm peinlich. Außerdem hatte sich Tom angewöhnt, erst an das echt zu glauben, was wirklich geschah. Denn nichts war so blöd wie eine Erwartung, die sich nicht erfüllte. Das hatte er schon mitbekommen vom Leben.

      2.Erhebung im Abteil

      Der Tag kam. Die Reise begann. Opa Arno hatte offenbar auf Ersparnisse zurückgegriffen. Am Morgen fuhr er vornehm mit einem Taxi vor. Mutter und Tom stiegen ein, nachdem der Fahrer das Gepäck verstaut hatte. Im Nu waren sie am Bahnhof, hatten dann auf dem Bahnsteig noch Zeit. Das passte Tom ganz und gar nicht, denn Mutter störte ihn jetzt mit ihren nicht enden wollenden, ach so lieb gemeinten Ratschlägen. Tante Erna keinen Ärger machen! Brav zu Opa sein! Sich immer die Hände waschen, wenn es zu Tische ging! Meine Güte! Er würde ja nicht im Sandkasten spielen. Aus dem Alter war er nun wirklich heraus.

      Endlich schnaufte der Zug heran. Küsschen von Mutti, rasch hinein und ans Fenster. Schon Ärger! Opa hatte erwartet, dass Tom ein bisschen mit zufasst beim Gepäck. Na, das wird sich machen lassen. Signal auf grün, erhobene Kelle des Stationsvorstehers, der Zug rollt an. Mutti bleibt zurück, winkt mit einem Taschentuch. Sie hatte Tränen in den Augen. Tom erkannte das gerade noch. Abschied. Er begriff das nicht so richtig. Auch bewegten ihn im Moment ganz andere Dinge.

      Bummelzug! Ach, du glaubst es nicht! Halt selbst an kleinster Station. Schönbörnchen zum Beispiel. Meerane hat da vergleichsweise schon einen großen Bahnhof. Und alsbald umsteigen! Gößnitz! Elend langer Bahnsteig. Koffer schleppen. Zwei kleine für ihn. Aber schwer genug! Wieder Bummelzug. Viele Leute unterwegs. Komisch! Überall Leute. Mit Koffern, mit Kindern, große, kleine. Aber so weit wie er, Tom, schienen sie alle nicht zu fahren. Das war eigentlich ein gutes Gefühl.

      Endlich Leipzig. Welch unheimlich großer Bahnhof! Überdachte riesige Hallen! Und die Züge fahren nicht hindurch, wie eigentlich richtig und üblich wäre, sondern bis zu einem sogenannten Prellbock. Da steht dann die stolze Lok wie eingeklemmt von den Wagen. Viel zu wenig Zeit, sich das alles genau anzusehen. Opa drängt. Er muss den Bahnsteig finden, von dem aus die Reise fortgesetzt werden soll. Bisher hatten sie ja nur in einem Personenzug gesessen. Nun soll es in einem D-Zug weitergehen. Und sie haben wenig Zeit umzusteigen.

      Während Opa einen Fahrplan studiert, schaut sich Tom um. Sieh da! Oben ist immer ein Draht über dem Gleis. Ab Leipzig kann man also mit einem elektrischen Zug fahren. Ob auch nach Bremen? Opa winkt ungeduldig. Sie laufen los. Tom muss wieder seine zwei kleinen Koffer allein tragen, denn Opa hat mit den seinen genug. Umsteigen ist eigentlich blöd, denkt Tom. Der Weg ist lang, die Koffer schwer. Aber er schleppt tapfer. Zum Glück muss Opa verschnaufen. Also kann auch Tom seine Bürde absetzen. Dieses Gewimmel um ihn herum. Ob das jeden Tag hier so ist? Wohin diese vielen Leute verreisen mögen? Elegante Damen und Herren, schlampig gekleidete Leute auch. Opa winkt einen Herrn in bunter Uniform heran. Ein Gepäckträger, stellt sich heraus. Na prima, das hätte er gleich so machen sollen. Jetzt kamen sie flott voran, wenn es auch für Tom eine arge Schlepperei war. Der Mann brachte sie zum Zug, half beim Einsteigen.

      Zu dumm, jetzt hatte Tom in aller Aufregung versäumt zu gucken, ob da eine E-Lok vorgespannt war. Moment! Er erinnerte sich. Eben, als sie den Bahnsteig betreten hatten, waren sie an einer E-Lok vorbeigekommen. Klar, das musste eine sein. Sie sah aus wie ein normaler Waggon, hatte aber oben auf dem Dach solch Drahtgestell für den Strom. Doch in diese Richtung würden sie nicht fahren, da war ja der Prellbock. Plötzlich ruckte der Wagen.

      "Die Lok wird vorgespannt", meinte Opa.

      "Eine E-Lok?"

      "Schau nach", antwortete Opa, "wir haben noch Zeit."

      "Hinausgehen und gucken?" fragte Tom überrascht.

      "Was sonst", brummte der Großvater und schien nicht gewillt, der Sache weitere Aufmerksamkeit zu schenken.

      Das war ja ungeheuerlich! Wenn das Mutter wüsste! Er sollte hier in diesem fremden großen Bahnhof ganz allein hinausgehen auf den Bahnsteig und sich umschauen!

      "Beeil dich aber", sagte Opa noch.

      "Ja, bin gleich zurück", erwiderte Tom und flitzte auch schon durch den Gang zur Waggontür. Zum Glück stand sie offen. Das Hinaussteigen war nicht einfach, weil solch ein Waggon natürlich für Erwachsene konstruiert ist. Aber Tom war nicht aufzuhalten. Schnell lief er den Zug entlang nach vorn zur Lok. Und tatsächlich, er konnte es sehen, da stand solch Wagen mit Drahtgestell auf dem Dach. Nun nicht unnötig Zeit verlieren! Tom machte kehrt. Das Vertrauen, das ihm Opa eben gezeigt hatte, durfte nicht leichtfertig verspielt werden. Denn so ein bisschen besondere Freiheit konnte auf der Reise wichtig werden.

      Da war schon der Ärger! Eine lange Sekunde des Schreckens. In welchen Waggon musste er zurücksteigen? Tom wusste es nicht. Er hatte beim Aussteigen nicht achtgegeben. Nun auch noch eine schnarrende Stimme im Lautsprecher! Irgendwer forderte auf zum Einsteigen in den D-Zug nach Bremen. Tom hastete. Verdammt, das durfte nicht schief gehen. Gar nicht auszudenken, wenn Opa jetzt losbrausen und er mutterseelenallein und ohne Geld zurückbleiben würde.

      "Zum Zug?" fragte plötzlich eine Stimme neben ihm.

      Der Schaffner! Rettung in der Not!

      "Ja, zu Großvater", hauchte Tom hastig und mit weichen Knien.

      "Dann such drin!" meinte der Mann, hievte Tom hoch in einen Waggon und knallte die Tür hinter ihm zu. Das war also erst einmal geschafft. Wie wunderbar, dass man in solch einem D-Zug von Waggon zu Waggon laufen konnte!

      Aber neuer Ärger! Die Tür zum Durchgang ließ sich nur schwer bewegen. Tom schaffte es nicht. Ratlos stand er erst einmal davor. Zum Glück kam eine junge Frau, der er sich anschließen konnte. Und da war auch Großvater! Er stand im Gang, hatte ein Fenster heruntergelassen und schaute hinaus.

      "Bin da", sagte Tom.

      "Na und?" fragte Großvater. Tom war unsicher. Sollte das eine Vorhaltung sein, ein Vorwurf?

      „Ja, ich, das...", druckste Tom.

      "E-Lok?" fragte Opa.

      "Ach so, ja!" antwortete Tom erleichtert.

      Draußen ertönte ein Pfiff. Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Opa ging ins Abteil, setzte sich und zeigte neben sich zum Fenster:

      "Dein Platz!"

      Opa schimpfte nicht, das war schön.

      "Ich hatte mich mit der Zeit verkalkuliert", sagte er noch, "gut, dass du aufgepasst hast".

      "Und ich wusste nicht mehr, wo ich ausgestiegen war."

      "Wir sind Waggon fünf."

      Inzwischen rüttelte der Zug über viele, viele Weichen. Tom schaute hinaus. Toll, am Fenster zu sitzen. Und auch noch in Fahrtrichtung! Er konnte sehen, wie sich der Zug durch Kurven schlängelte. Irgendwie ein Wunder, wenn er das richtige Gleis nach Bremen fand. Kaum hatten sie die Stadt verlassen und freie Landschaft erreicht, gab es draußen meist nur Wälder, Wiesen, Felder und dazwischen große und kleine Häuser zu besichtigen. Manchmal brauste der Zug durch irgendeine Station. Aber das ging so schnell, dass etwas Rechtes kaum zu erkennen war. Gab es einen Bahnsteig, standen hier und da Leute herum. Bald wurde das Hinausschauen langweilig. Tom rutschte ungeduldig auf seinem Sitz hin und her.

      Erst jetzt hatte er ein Auge für eine Frau, die schräg gegenüber in der Ecke an der Abteiltür saß und soeben ihren Mantel ausgezogen hatte. Als sie wieder Platz nahm, dabei Tom durchdringend musterte, was er nicht zu deuten wusste, fiel ihm ihre offene Bluse auf. Jedenfalls