wurde dabei vom Plateau geschleudert. Instinktiv presste Anschudar die Hand
vor seinen Mund, als er es in die Tiefe stürzen sah. Er trat hastig an den Rand,
um besser sehen zu können. Zwischen den Schalen war ein Schemen zu
erkennen. Ein gedrungener Leib, der sich aber zu entfalten schien, während er
zusammen mit den Schalen in die Tiefe wirbelte.
»Flieg, Showaa, flieg«, flüsterte Anschudar.
Es war eine brutale Auslese, die nur den kräftigsten Jungtieren eine
Überlebenschance gab. Viele stürzten in den Tod und wurden dann betrauert.
Doch nicht Showaa.
Sie flog.
Instinktiv breitete sie ihre noch feuchten Flugschwingen und Steuerhäute
aus, die im Sturzflug trockneten und offenbar fest genug waren, um den
Luftmassen Widerstand zu bieten. Aus dem Sturz wurde eine flache Kurve.
Dicht über dem Boden zog Showaa steil an, und Anschudar stieß einen
heiseren Jubelschrei aus. »Sie fliegt! Showaa fliegt!«
»Was sollte sie auch sonst tun?«, brummte Mordeschdar, um seine
Rührung zu verbergen. »Schließlich ist sie eine Lederschwinge.« Er räusperte
sich. »Bereite dich jetzt vor. Sie muss dich erkennen und als ihren
Schwingenreiter akzeptieren.«
Das Muttertier zog weite Kreise um den Geburtsfelsen und beobachtete
mit seinem Doppelpupillenauge aufmerksam sein geschlüpftes Junges. Ihre
Bauchseite hatte sich intensiv rot verfärbt, was ihre Aufregung zeigte.
Showaa flog, doch nun kam es darauf an, ob sie ihren Reiter auch anerkannte.
Anschudar nahm den Schwingensattel und trat an den Rand des
Geburtsfelsens. Showaa gewann an Höhe und kam näher. Obwohl noch ein
Jungtier, war sie schon jetzt ungewöhnlich groß. Von den beiden kurzen
Maultentakeln bis zur Schwanzspitze maß ein ausgewachsenes Exemplar gute
zehn Längen, ein Maß, das von der Spannweite ihrer Schwingen noch
übertroffen wurde. Der Rumpf einer Lederschwinge war schlank und leicht,
und die beiden muskulösen Beine wurden im Flug nach hinten an den Leib
gelegt. Der flache Schädel glich einem stumpfen Dreieck, in dessen breiter
Vorderseite sich das Auge befand. Es hatte eine elliptische Form und zwei
schlitzartige Pupillen. Jede von ihnen war mit einem der Maultentakel
gekoppelt und erlaubte es der Lederschwinge, ihre Beute auf große
Entfernung zu erkennen und den Brennstrahl zu fokussieren. Die Seiten des
Schädels liefen in kurze Steuerschwingen aus, die das Flugwesen äußerst
wendig machten. Unter dem Schädel befand sich der Fressschlitz, an der
Oberseite die Membranen für die Saugatmung. Der Kopf saß auf einem
schlauchartigen Hals, der in den schlanken Rumpf überging. Dort setzten die
dreieckigen Flugschwingen an. Die grau und grün schattierte Haut war ledrig
und hatte den Wesen ihre Bezeichnung eingetragen. Showaa war ein
Weibchen, und so schimmerte ihre Bauchseite in einem sanften Rot. Sobald
sie in die Brunftzeit kam, würde es einen intensiveren Ton annehmen. Ein
verlockendes Signal für jedes Männchen. Natürlich würde die intensive
Färbung auch andere Wesen auf Showaa aufmerksam machen, doch für die
Lederschwingen gab es keine natürlichen Feinde. Nichts konnte ihnen die
Herrschaft über die Lüfte streitig machen.
»Präsentiere ihr Sattel und Lenkstab«, raunte Mordeschdar mit heiserer
Stimme.
Anschudar hob beides über den Kopf und verkniff sich einen leisen Fluch,
als einer der schweren Steigbügel schmerzhaft gegen seine Wange schlug.
Mit der einen Hand den Schwingensattel, mit der anderen den Lenkstab in die
Höhe haltend, sah er nervös zu der kreisenden Lederschwinge hinüber.
Showaa schien unentschlossen, zog mit aufgeregten Schwingenschlägen an
dem Menschenwesen vorbei. Der dreieckige Kopf war ihm zugewandt, und
die beiden senkrechten Schlitzpupillen im ovalen Auge bewegten sich
unruhig hin und her. Sie spürte instinktiv, was ihre Aufgabe war. Jede
neugeborene Lederschwinge wusste es, denn seit Generationen lebten die
Wesen mit den Menschen des Horstes in enger Verbindung.
»Showaa!«, rief Anschudar fordernd.
Showaas Kopf schien sich ein wenig zu neigen, so als lausche sie dem
Klang der Stimme. Erneut umrundete sie den Geburtsfelsen, und die beiden
Maultentakel zuckten leicht. Sie waren leer und hielten noch nicht die zwei
Gelbsteine, die der Lederschwinge die Fähigkeit verleihen würden, ihre
Feinde zu brennen. Auch die Kammern in ihrem Leib waren kaum mit Gas
gefüllt. Es reichte gerade aus, Showaa leicht genug zum Flug zu machen. Erst
später, nach dem Fressen, würden die Verdauungsgase in die Hohlräume
strömen.
Dann, endlich, legte sich die junge Lederschwinge in eine sanfte Kurve.
Ihre muskulösen Beine schoben sich nach vorn, und die noch weichen Krallen
reckten sich dem Boden des Plateaus entgegen. Die Landung war noch ein
wenig ungeschickt, und Showaa musste sich mit den Flugschwingen
abstützen. Aber sie war Anschudars Ruf gefolgt.
Er wusste, was er zu tun hatte, und trat an sie heran. Showaa senkte ihren
Kopf, bis dieser fast den Boden berührte, und wendete ihren langen Hals, um
Anschudar zu beobachten. Ihre beiden Schlitzpupillen schoben sich
aufeinander zu, als sie auf ihren künftigen Reiter scharf stellte.
»Leg ihr den Sattel auf. Jetzt«, raunte Mordeschdar.
»Ja, ich weiß«, erwiderte Anschudar.
Showaa zuckte leicht zusammen, als der Sattel ihre Haut berührte.
Anschudar hatte die Handgriffe oft geübt, und seine Bewegungen waren
schnell und sicher. Er legte Showaa den breiten Sattelgurt um den Hals, direkt
vor dem Ansatz der Flugschwingen, und strich ihr sanft über die Kehlhaut.
Instinktiv zog sich Showaas Muskulatur zusammen, und Anschudar konnte
den Gurt endgültig festziehen. Mordeschdar