Die heutige Conferenz galt dem Gegenstand, wie es möglich sei, einen andern Zustand herbei zu führen, und ob es nicht gerathen wäre, unverweilt Einen aus ihrer Mitte nach England zu senden, um von dort wirksame - das heißt bewaffnete Hülfe gegen die Uebergriffe der Franzosen zu erbitten, die ja schon im ganzen Land die Herren spielten.
Das arme und fremde junge Weib wurde aber nichtsdestoweniger von der Gattin des „Mitonare Mahova", wie der würdige Geistliche uud Friedensrichter hieß, auf das Freundlichste aufgenommen. Die Gastfreundschaft dieser Inseln kennt keine Grenzen, und selbst die ärmsten Eingeborenen theilen willig das Letzte mit dem Fremden, wenn er ihre Hütte betritt.
Maita bekam Speise und Trank - eine milchgefüllte Cocosnuß wurde ihr gebracht, gebackene Brodfrucht und kleine saftig gebratene Fische. - Auch eine weiche, zartgeflochtene Matte breitete die alte gute Frau für sie aus, auf der sie ruhen konnte von ihrem langen Marsch, nnd dann erst mußte sie erzählen, was sie hierher geführt. Freilich machte die alte Indianerin, die Frau des Mitonare, große Augen, als sie erfuhr, daß ihr junger Gast noch zu denen gehöre, die ihre „Irrthümer" nicht abgeschworen und an ihren früheren Götzen hingen, und sie fürchtete deshalb fast die Rückkehr ihres Gatten, der in solchen Dingen entsetzlich streng war. Aber ihrer Gastfreundschaft konnte das keinen Abbruch thun: die Fremde - ob Heidin oder Christin - mußte erst ausruhen und Trank und Speise zu sich nehmen, und alles Andere fand sich dann nachher, wenn ihr Gatte, der Mitonare, kam - sie war jedenfalls eine bessere Christin als wahrscheinlich der Mitonare selber.
Der fromme Mann kam endlich, und es war ein strenges Examen, das er mit dem armen jungen Weibe anstellte. Er frug sie auch weit weniger nach dem, was sie hergeführt, nach dem Leid, was ihr angethan, sondern mehr, viel mehr nach der Veranlassung, daß noch Eingeborene auf der Nachbarinsel, auf welcher die frommen weißen Männer schon so lange gewirkt, dem bösen heidnischen Glauben anhängen könnten, /84/ und ob sie denn gar nicht die einstigen Strafen des Himmels fürchteten.
Maita wich den Fragen aus. Nicht deshalb war sie hergekommen, um über die alte Lehre zu streiten, der treu anhängend ihre Eltern und Voreltern gestorben waren; nur ihr Recht wollte sie au einem Abtrünnigen verfolgen, der den Eid gebrochen, und kein Vergehen war von den Göttern mit strengeren Strafen belegt worden, als gerade dieses. Dem Friedensrichter blieb denn auch, da sie hartnäckig auf ihrem Verlangen bestand, eine öffentliche Gerichtssitzung zusammen zu berufen, nichts Anderes übrig, als ihr zu willfahren. Er durfte es - wie er recht gut wußte - nicht zurückweisen, ohne sich selber in Mißcredit zu setzen, und seine Boten eilten deshalb bald nachher durch ganz Papetee, um diejenigen der Eingeborenen, die berechtigt waren, in einem solchen Rath zu sitzen, dazu einzuladen. Auch der Verklagte, dessen Namen und jetzige Familie die gute Frau des Mitonare schon lange vor dem indeß zahlreich eingetroffenen Besuch herausbekommen, wurde vorgefordert, um sich gegen die Anschuldigung der Fremden zu vertheidigen, und die Familie von dessen Frau eilte natürlich ebenfalls herbei.
Alúa's Eltern waren reich und angesehen in Papetee. Ein großer Cocospalmenhain gehörte ihnen, ebenso eine neu angelegte Zuckerplantage; ihr Vater besaß sogar einen kleinen Kutter, auf welchem er mit den zu windwärts gelegenen Inseln Handel trieb und dort Cocosnußöl und beech la mar3 eintauschte, während er ihnen von den Missionären oder landenden Walfischfängern eingetauschte europäische Stoffe und Schmuck oder Eisenwaaren - ja man sagte: auch heimlich spirituöse Getränke brachte. Es verstand sich von selbst, daß den Nachbarn eine solche Klage nicht gleichgültig sein konnte, die sich gegen eine der angesehensten Familien des Orts richtete und schon durch ihre Öffentlichkeit den bösen Zungen der Insel Gelegenheit gab, üble Nachreden über sie durch das Land zu tragen. Wenn das Gericht sich aber auch nicht umgehen ließ, so hatte die arme Fremde doch, außer in dem Mitgefühl des weiblichen Theils der Bevölkerung - nur auf geringe Unterstützung zu rechnen. Die ganze Sache war dem /85/ aristokratischen Theil der Bevölkerung unangenehm, und je eher und rascher sie deshalb beigelegt wurde, desto besser.
Trotzdem vergingen noch immer wenigstens einige Stunden, bis die nöthige Zahl der Beisitzer herzugerufen, und der kaum hundert Schritt von der Berathungshütte entfernt wohnende Verklagte - der Indianer Patoi herbeigeholt werden konnte, um der Klage der Fremden Rede zu stehen.
Welch ein wunderliches und doch wie malerisches Bild bot aber die Versammlung dieser einfachen Insulaner, die hier über das Vergehen Eines ihrer Landsleute zu Gericht sitzen und ihn in der nächsten Stunde entweder freisprechen oder verurteilen sollten.
Die Sonne stand zu hoch am Himmel, um das Verhör in der eng eingeschlossenen und nur wenig dem frischen Luftzug offenstehenden Hütte abzuhalten. Draußen, im Schatten einer Anzahl von Brodfrucht-, Manga- und Orangenbäumen war es kühler, und dorthin konnte auch die frische Seebrise streichen, die von Point Venus herüberwehte.
Man konnte sich keinen prachtvolleren Gcrichtssaal denken. Gerade über der Stelle, auf welcher Mahova, der eingeborene Missionär und Friedensrichter, Platz genommen, stieg der schlanke Stamm einer mächtigen Cocospalme weit über das viel niedrigere Wipfelwerk der Fruchtbäume empor und wölbte seine gefiederte Krone im Sonnenlicht. Ein kleines Gestell war hier von Bambus aufgerichtet, auf dem Mahova, etwas erhöht über die Menge, saß und sie dadurch übersehen konnte. Rechts und links kauerten auf Matten die verschiedenen vornehmeren Eingeborenen, die zu einem solchen Verhör gewöhnlich zugezogen wurden - eine Art von Geschworenen, und um diese her und vor ihnen einen Ring bildend, standen in kleinen Trupps und Gruppen die verschiedenen Nachbarn und sonstigen eingeborenen Bewohner von Papetee, zumeist Frauen und Mädchen, die aber den lebendigsten Antheil an dem Allen nahmen.
Noch weilte die Fremde in Mahova's Hütte, denn der Verklagte war noch nicht erschienen, er zögerte eigentlich ein wenig lange und mißbrauchte die Geduld seiner Richter. Aber das hatte nicht viel zu sagen, denn es giebt kaum etwas auf der /86/ weiten Welt, was ein Indianer lieber thäte, als gerade warten. Einen Verlust an Zeit, so lange er nicht hungrig oder durstig ist, kennt er nicht. Sein größtes Vergnügen ist dabei, unter einem Baum zu liegen und zu dem Wipfel hinauf zu sehen; was that es deshalb, wenn sie hier vielleicht eine halbe Stunde länger in Gesellschaft sitzen blieben und sich angenehm mit einander unterhielten. Es war nicht der Mühe werth, auch nur ein Wort deshalb zu verlieren.
Jetzt trat Patoi in den Kreis. Die Mädchen gaben ihm Raum und flüsterten mit einander. Er war ein hübscher schlanker Mann und ordentlich stutzerhaft gekleidet. Er trug keine europäische Mode, sondern ging einfach in die indianische Tracht gehüllt: einen Pareu von hellblauem gestreiften Baumwollenzeug, der bei uns allerdings den Gedanken au einen Bettüberzug geweckt haben würde - ein tehei oder Schultertuch von dunkelblauem, mit weißen Sternen überstreutem Kattun, aber einen eigenthümlichen Schmuck von rothen bibidios und den Auswüchsen der reifenden Pandanusfrucht diademartig in den mit Cocosnußöl erst frisch und fast zu reich getränkten Locken, auch ein paar große weiße Sternblumen hinter den Ohren, wie es sonst eigentlich nur die Mädchen gebrauchen.
Es war augenscheinlich, er hatte sich zu diesem Verhör recht eigentlich herausgeputzt, um jedenfalls einen besseren Eindruck auf die Richter zu machen und besonders vornehm auszusehen. Ein beifälliges Murmeln lief auch durch die Versammlung, als er den Ring betrat, was ihm wohl schwerlich entging. Er nahm aber trotzdem eine vollkommen gleichgültige Miene an, und sich mit einer leichten Verbeugung au Mahova wendend, sagte er freundlich, aber doch auch mit einem gewissen vornehmen Blick:
„Mitonare Mahova, ich bin vorgefordert, um hier auf die Klage einer fremden Frau zu antworten. - Wo ist sie, daß ich ihre Anschuldigungen zurückweisen kann?"
,,Hier! Patoi," sagte da plötzlich - ehe Mahova nur ein Wort darauf erwidern konnte, Maita, die jene Aufforderung gehört hatte und keinen weiteren Ruf abwartete. - In ihr tehei fest eingehüllt, die Arme auf der Brust gekreuzt, trat sie ruhig vor, und ihre Locken mit einem raschen Wurf des /87/ Kopfes aus der Stirn schleudernd, ihm fest und mit finsterem Blick entgegen.
„Und