Neugierig blickte Elvas zu dem großgewachsenen Medicus auf.
„Gut, dass Ihr gekommen seid, Medicus Demetrios! Es zählt jede Minute!“
Sie wies mit dem Kinn in Richtung eines Eimers, der neben dem Bett auf dem Boden stand. Die trübe Flüssigkeit darin stank bestialisch.
„Das ist das Fruchtwasser. Es ist gänzlich verdorben. Ich öffnete die Fruchtblase in der Hoffnung, dass es mir helfen würde, das tote Kind hervorzuholen. Doch es liegt so verkeilt, dass es sich weder von außen noch von innen richtig drehen lässt.“
Der Medicus kniete sich an Elvas Seite. Auch er tastete nun den Leib der Frau ab. Nach einer Weile nickte er.
„Du hast Recht, Iulia Elvas. Ich will sehen, ob ich es durch den Muttermund zu fassen bekomme. Willst du mir helfen und von oben das Kind ins Becken schieben?“
Elvas stieg zu der jungen Germanin aufs Lager. Alpina reichte dem Medicus eine Schüssel mit heißem Wasser und ein Handtuch. Danach ließ sie Öl in seine Hände laufen. Demetrios rieb seine Hände und den Unterleib der Frau großzügig mit dem Öl ein, dann schob er zunächst einen, dann die weiteren Finger in den Unterleib der Frau. Sie stöhnte. Elvas drückte sanft, aber mit Nachdruck, das Kind der linken Hand des Arztes entgegen. Demetrios nickte.
„Ich kann einen Arm tasten. Er ist aus dem Muttermund vorgefallen. Leider ist die Muskulatur so verkrampft, dass ich unmöglich die zweite Hand zur Hilfe nehmen kann. Vielleicht kannst Du mir helfen, Iulia? Alpina, übernimm du den Druck auf den Bauch der Frau!“
Alpina tat wie geheißen. Sie übernahm Elvas Position.
„Iulia, versuche, die verhärtete Muskulatur zu lockern, damit ich meine zweite Hand einführen kann!“
Elvas nickte. Sie rieb den Beckenboden der stöhnenden Frau und massierte die Muskeln. Nach einiger Zeit löste sich die Spannung ein wenig. Demetrios schob seine zweite Hand mit konisch geformten Fingern weiter vor.
Die blonde Schwiegermutter trat heran und hielt die Oberschenkel der jungen Frau seitlich an deren Brustkorb. Alpina schob von oben. Eine Weile mühten sie sich zu viert, doch schließlich schüttelte der Grieche enttäuscht den Kopf.
„Das Kind hat sich so sehr verkeilt, dass ich es so nicht herausziehen kann. Die Wehen sind zu schwach, um uns zu unterstützen, und der Muttermund ist zu eng. Es bleib nichts anderes übrig – wenn wir das Leben der Frau retten wollen, muss ich eine Embryotomie vornehmen!“
Alpinas Herz tat einen Extraschlag. Sie verstand genug Griechisch, um zu verstehen, dass Demetrios das Kind aus dem Mutterleib schneiden wollte. Elvas und der Medicus wechselten Blicke, dann nickte die erfahrene Obstetrix. Demetrios zog seine Hände aus dem Unterleib der Kreissenden. Er sah die verständnislosen Gesichter der Schwangeren und ihrer Schwiegermutter und begann mit wenigen Worten das Vorgehen zu beschreiben. Die Blonde übersetzte. Demetrios fühlte inzwischen den Puls der jungen Frau. Er verzog das Gesicht.
„Wir müssen uns beeilen, Iulia!“
Der fürsorgliche Medicus verlor keine Zeit, er schritt zur Tat. Die Schwiegermutter wies er an, die junge Patientin mit dem Oberkörper hochzulagern und ihr ein Tuch über das Gesicht zu legen, damit sie nicht zusehen musste, was er tat. Dann befahl er ihr, mit Alpina gemeinsam die Frau um den Körper zu fassen und zu halten. Dabei sollte jede von ihnen ein Bein in der Kniekehle greifen und seitlich an den Körper der Patientin ziehen.
Elvas ölte bereits ihre Hände, während Demetrios eine Schüssel unterhalb der Liegestatt positionierte, an deren Kante die Frau mit dem Unterleib lag. Er richtete seine Instrumente her: ein Skalpell mit sichelförmiger Messerschneide und Spatelgriff, einen eigenartigen Ring, der in einer klauenartigen Klinge endete, mehrere Haken mit stumpfem, breiten Ende, spitze Haken, sowie eine Zange, wie sie zum Ziehen von Zähnen oder zum Entfernen von Knochensplittern aus einer Wunde verwendet wurde.
Demetrios wusch sich erneut die Hände und trocknete sie ab. Dann nickte er Elvas kurz zu. Sie schob vorsichtig ihre Finger in den Unterleib der Frau und begann, die Schamlippen nach außen zu dehnen. Ferun stöhnte auf und begann sich gegen die Behandlung zu wehren. Alpina und die Schwiegermutter mussten sie nun mit aller Kraft niederhalten. Der Medicus nahm den Ring mit dem kleinen, klauenförmigen Messerchen und schob ihn sich über den rechten Daumen. Er begann die linke Hand einzuführen und nach dem Kind zu tasten. Einige Zeit später schob er, während Ferun sich in einer Wehe aufbäumte, die rechte Hand nach. Alpina konnte sehen, wie er die Rechte drehte, er schob und zog. Schließlich zog er ein kleines, blutiges Stück hervor und ließ es in die Schüssel gleiten. Entsetzt weiteten sich die Augen der Schwiegermutter, und Alpina musste die Übelkeit bekämpfen, die in ihr aufstieg.
Der Medicus wechselte das Instrument. Er nahm jetzt das lange, dünne Sichelmesser, barg es in der konisch geformten Hand und schob es erneut bis zum Uterus vor. Eine Wehe erfasste die Frau, sie schrie auf und sackte dann wie leblos in sich zusammen. Alpina hielt den Atem an. Demetrios schwitzte. Sein Gesicht rötete sich, er arbeitete zügig und zielsicher. Das Instrument kam blutverschmiert wieder zum Vorschein. Er legte es ab und griff nach der Zange. Stück für Stück beförderte er das tote Kind hervor und warf die blutigen Körperteile in die dafür bereitgestellte Schüssel. Zuletzt ergriff er die Nabelschnur und schob die Linke zurück in den Körper, um auch die Plazenta vollständig zu lösen. Alpina würgte beim Anblick der schwärzlich-schleimigen Anteile, die in dem blutigen Gemisch in der Schüssel schwammen. Es roch nach Verwesung.
Demetrios schob noch einmal die Hand bis in den Uterus. Er entfernte geronnenes Blut und Gewebsreste gewissenhaft. Dann atmete er tief durch.
„Gut soweit! Vielen Dank, euch beiden! Wir müssen ihr nun Umschläge mit Wollwatte machen. Tränke sie in Essig mit einem Spritzer Rosenöl. Ich habe welches in meiner Kiste. Die getränkte Wolle binden wir ihr auf den Unterleib.“
Die erfahrene Obstetrix machte sich an die Arbeit, während der Medicus seine Hände wusch. Alpina half der blonden Germanin, ihre Schwiegertochter zu waschen und zu betten. Ferun war noch immer ohne Bewusstsein. Sie war blass. Ihre Hände und Füße fühlten sich kalt an. Elvas brachte den Umschlag, und gemeinsam banden sie ihn der jungen Frau um den Unterleib.
Demetrios wusch seine Instrumente und packte alles ein. Dann setze er sich zu der Bewusstlosen an die Bettkante. Er kontrollierte den Puls, die Atmung und die Temperatur.
„Wir können jetzt nur hoffen und zu den Moiren beten, äh, zu den Parzen, wie ihr Römer sie nennt. Es sieht nicht gut aus, wie ihr vermutlich schon geahnt habt.“
Zur Übersetzerin gewandt, sagte er: „Gebt ihr, wenn sie erwacht, einen Trank aus heißem Wasser und Honig. Gegen das Fieber hilft Weidenrinde.“
Er drehte sich zu Elvas um. „Gehe ich Recht in der Annahme, dass Su sie weiterhin betreuen wirst?“
Die Obstetrix nickte.
„Wenn Du meine Hilfe brauchst, dann schick nach mir! Ich werde jederzeit wieder meine Fähigkeiten in Deine Dienste stellen!“ Demetrios lächelte gewinnend und verbeugte sich leicht vor Elvas. Im Hinausgehen wies er die Mutter des Schusters an, ihren Sohn am kommenden Tag zur Bezahlung ins Valetudinarium zu schicken. Dann drückte er ihr die Schüssel mit den blutigen Überresten des Kindes in die Hand. „Das hier opfert ihr am besten am Altar der Hekate Trivia, ebenso wie alle verunreinigten Stoffstücke.“
***
Elvas und Alpina verließen die Wöchnerin erst, nachdem alles aufgeräumt war, und die Entsühnung durch eine Reinigungspriesterin stattgefunden hatte. Die Frau begleitete die Obstetrices mit der blutigen Schüssel und den befleckten Laken und Kleidern zum nächsten Tempelchen der Trivia, wie die dunkle Unterweltsgöttin und Herrin über die Wegkreuzungen im Lateinischen genannt wurde. Sie verbrannten die Überreste des toten Kindes und ließen sich von der Priesterin mit Gebeten, Gesängen, Beschwörungen und einem Räucheropfer reinigen. Dann traten sie den Heimweg an. Es war bereits dunkel geworden.
Celsa überraschte die erschöpften Frauen mit einer kräftigen Suppe aus Graupen und Bohnen,