ZUGVOGEL. K. Uiberall-James. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: K. Uiberall-James
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783847619789
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Sie erhebt sich unwillig und begleitet ihn zur Wohnungstür. Sie wollen sich einen Abschiedskuss geben und stoßen mit den Köpfen zusammen. Ibrahim schaut Vera, die sich die schmerzende Stirn reibt, verzweifelt an. ‚Was mache ich bloß falsch?’, geht ihm durch den Kopf und sie lacht, weil er so tragisch komisch aussieht. Dann schiebt sie ihn zur Tür raus. „Bis nächstes Mal.“ Ibrahim rennt zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe runter, um den letzten Bus noch zu erreichen; er hat Glück.

       Zeitgleich

      Amadou und Emily riskieren vorsichtig einen zweiten Versuch, sich einander zu nähern. Dieses Mal erreicht Amadou schon fünfzehn Minuten vor der verabredeten Zeit ihr Haus, aber er traut sich nicht, jetzt schon zu klingeln. Stattdessen schlendert er zum Kiosk, um eine Tafel Schokolade zu kaufen. Bei so viel Auswahl kann er sich minutenlang nicht entscheiden, welche von den vielen herrlichen Sorten er nehmen soll; in Afrika hat er selten die Qual der Wahl, weil es meistens nur eine Sorte im Dorfsupermarkt gibt.

      Pünktlich, auf die Minute genau, steht er dann vor Emilys Tür. Er hält ihr die Nuss-Nugat-Schokolade entgegen und lächelt sie entwaffnend an. ‚Wie er so dasteht, einfach zum Verlieben’ schießt Emily durch den Kopf und fällt ihm strahlend um den Hals.

      „Wie schön, dass du pünktlich bist“, muss sie noch wohlwollend anmerken.

      „Ich Afrikaner, aber lernen schnell“, kann Amadou sich nicht verkneifen und denkt: ‚Ich bin doch nicht blöd.’

      Sie trinken gemeinsam Tee und versuchen dabei, seinem geringen Wortschatz entsprechend, ein wenig Konversation zu machen, und das klappt auch verhältnismäßig gut. Aber irgendwann ist nicht nur Amadous Geduld, sondern auch sein begrenzter Wortschatz am Ende. Er beginnt, sie mit zarten Küssen zu überschütten und versucht zu erspüren, was sie will. Emily drängt sich mit jeder Faser ihres Körpers an ihn. Seine sensiblen Küsse und Berührungen treiben sie zur Raserei.

      ‚Genauso romantisch habe ich es mir vorgestellt’, denkt sie begeistert.

      Amadou hebt sie hoch, ohne seine Lippen von ihren zu lösen, seine Augen schauen fragend nach dem Schlafzimmer, und Emily nickt zur gegenüberliegenden Tür.

      Wortlos legt er sie aufs Bett und beginnt behutsam und vorsichtig, sie zu entkleiden. Er schaut ihr dabei nicht in die Augen, wie um sicherzugehen, dass ihre Augen ihm nicht noch so kurz vor seinem Ziel einen Rückzieher signalisieren. Seine Hände zittern ein wenig, aber es gibt kein Zurück mehr. Alles, was Emily nun noch trägt, ist ein betörendes Lächeln und einen bezaubernden Slip mit rosa Blümchen bedruckt.

      ‚Sieht er mich überhaupt?’, denkt sie unsicher, ‚und gefällt ihm, was er sieht? Warum sagt er nichts?’

      Im selben Moment beginnt Amadou, wie um ihre letzten Zweifel zu beseitigen, sanft ihre Brüste zu massieren; und als sie ihn auf Armlänge von sich hält, um sich selbst der letzten Hülle zu entledigen, reißt er sich wortlos und fieberhaft die eigene Kleidung vom Körper. Emily zuckt ein wenig zusammen, als sie ihn plötzlich hart und unabwendbar an ihrem Bauch spürt. Aber Amadou lässt sich nicht beirren und drückt unnachgiebig ihre Beine auseinander. Ohne sie noch einmal zu küssen oder auch nur anzuschauen, dringt er bis zum Anschlag in sie ein.

      Emily stöhnt und klagt: „Hör auf, das tut weh“, aber Amadou hört nichts mehr. Seine Hände fixieren ihre Pobacken wie ein Schraubstock und der Rhythmus seiner Stöße wird immer schneller. Salziger Schweiß tropft von seiner Stirn auf Emilys Gesicht. Sie versucht ihm auszuweichen, aber ein Tropfen trifft sie ins Auge. Sie blinzelt verzweifelt, versucht die Tränen des Schmerzes und der Enttäuschung aufzuhalten, aber es gelingt ihr nicht. Amadou merkt von alledem nichts. Aufrecht und mit seitlich aufgestützten Händen hat sein Körper nur noch Kontakt mit ihrem Becken; er keucht leise und verbissen, er schaut sie immer noch nicht an. Plötzlich stöhnt er kurz auf, presst die Worte „du gut“ hervor und lässt sich wie ein nasser Sack auf Emily fallen.

      „Geh runter von mir! Du bist ja klatschnass und drückst mir die Luft ab.“ Amadou macht keine Anstalten, sie freizugeben - es ist so schön warm und weich auf ihr - also stemmt Emily ihn mit aller Kraft von sich herunter. Nur sehr widerwillig lässt er sich auf die Seite rollen, legt dafür aber sofort besitzergreifend seinen Arm auf ihre Brust.

      ‚Scheiße’, denkt Emily und Amadou säuselt mit halb geschlossenen Lidern träumerisch: „Das sehr gut. Du glücklich?“ Und bevor sie eine Antwort geben kann, ist er eingeschlafen.

      Eine halbe Ewigkeit liegt sie enttäuscht im Dunkeln, seinen schweren Arm auf ihrer Brust, der sie zu Unbeweglichkeit verdammt und überlegt, ob sie ihn nach Hause schicken soll. Andererseits genießt sie seine männliche Präsenz in ihrem Single-Bett, es duftet leicht nach Kokosöl, Schweiß und Sperma. Emily zieht den Duft nach Vitalität tief durch die Nase ein. Sie fühlt sich sehr lebendig. Sicher, ihre Wunschvorstellungen von der ersten gemeinsamen Nacht hat Amadou nicht erfüllt, ‚aber wie soll er denn auch, wenn wir uns noch nicht richtig verständigen können?’

      Um ihn nicht zu wecken, schiebt sie behutsam seinen Arm von ihrem Körper und kuschelt sich eng an ihn. Als Amadou im Halbschlaf ihre Haut spürt, greift er mit geschlossenen Augen besitzergreifend nach ihr und Emily rieseln von dieser Geste kleine Glücksgefühle wie glitzernder weißer Seesand zwischen den Schulterblättern herab. Für einen Moment erzeugt dieses Gefühl ein fast schmerzhaftes Ziehen in ihrem Unterleib. ‚Ist das Liebe?’, fragt sie sich und lauscht hingerissen seinem ruhigen Atem. Lange liegt sie noch wach und starrt mit weit geöffneten Pupillen in die geheimnisvolle Nacht, wo ihre ungestillte Sehnsucht, ihre Träume, Fragen und Vorstellungen lauern.

       Der erste Schnee

      Früh am Montagmorgen zieht Emily Amadou übermütig die Bettdecke weg und schreit begeistert: „Es schneit!“, und als er ein wenig orientierungslos und fröstelnd die Schultern hochzieht, schmeichelt sie: „Komm, steh auf und schau dir das an.“ Sanft zieht sie ihn am Arm hoch und legt ihm auch noch fürsorglich seinen Pullover um die Schultern. Widerstrebend folgt er ihr zum Fenster.

      „Na?“, fragt sie Beifall heischend, „ist das nicht schön?“

      „Wow“, entweicht es Amadou ehrfürchtig, „das sehr schön“, und mit einem Blick in den Himmel, von dem dicke flauschige Schneeflocken herabsegeln, sagt er verschmitzt: „das wie oben jemand viel weiße Huhn …“, und er stellt pantomimisch dar, wie man Hühner rupft.

      Emily lacht und meint: „Ja, in Deutschland erzählen wir den Kindern etwas ganz Ähnliches; wir sagen ihnen, dass da oben Frau Holle die Federbetten ausschüttelt, und dabei fallen weiße Federn herunter.“ Sie holt ein buntes Buch aus dem Regal und blättert eifrig darin, bis sie gefunden hat, was sie sucht. „Hier, da ist es; das ist das Märchen von Frau Holle“, und hält es Amadou hin.

       „Ah, verstehen, du das erzählen für Kinder.“

      „Ja“, strahlt sie ihn an, „heute werden die Kinder viel Spaß haben. Wir werden einen Schneemann bauen.“ Amadou schaut sie fragend an. „Du kannst uns ja heute am Spielplatz treffen und mitmachen.“ Amadou versteht ‚heute’ und ‚Spielplatz’ und nickt eifrig.

      „Jetzt muss ich aber schnell Frühstück machen, sonst komm‘ ich zu spät zur Arbeit“.

      Amadou bleibt mit staunenden Augen am Fenster zurück. Er beobachtet, wie sich das Tageslicht langsam und zögernd aus der Umklammerung der Morgendämmerung löst und den Blick auf eine Szene freigibt, die so gut wie keine Schatten aufweist; die Helligkeit des Schnees scheint jeden Winkel der kleinen Straße gleichmäßig auszuleuchten.

      ‚Was für eine fantastische Welt’, denkt er, ‚alles, was vorher schmutziggrau, hart und triste aussah, ist auf einmal weich und zart, sauber und hell.’ Sämtliche Geräusche, die er von draußen wahrnimmt, klingen irgendwie gedämpft. Und er lächelt, als die Autos mit Tempo 30, teilweise noch mit einer lustigen Schneehaube bedeckt, fast lautlos über den Schnee schleichen. Auch die Menschen bewegen sich langsamer als sonst. Sie stapfen mit dicken Stiefeln,