Selbst seine guten Gefühle für Tina hat er rigoros ganz tief in seinem Inneren verplombt und versiegelt, wie atomaren Giftmüll; den er vernünftigerweise lieber nicht mehr anrührt. Es ist besser so.
Zu Hause empfängt Malik eine ungewohnte Stille. Nur Toucou hängt lustlos vor dem Fernseher. Auf Maliks fragenden Blick bekommt er die unwirsche Erwiderung: „Amadou und Ibrahim sind bei ihren Tussis.“
„Und Sekou?“
„Der wohl auch, aber er hat nichts gesagt.“ Malik grinst und klopft ihm besänftigend auf die Schulter.
„Ist doch gut; vielleicht zieht dann bald einer aus und wir haben die Wohnung wieder für uns; eine finanzielle Entlastung wäre es auch.“
Dieser Stimmungsaufheller geht Toucou runter wie Sahne. Dankbar schaut er Malik an und spürt wieder einmal, dass sein langjähriger Kumpel genau weiß, was in ihm vorgeht. Meistens schafft er es auch, seine Laune zu verbessern, so wie jetzt. Tja, Malik ist schon immer der Schlauere von ihnen beiden gewesen und Toucou hat das nicht nur akzeptiert, sondern dankbar angenommen.
Sie schauen sich noch eine Nachrichtensendung im Fernsehen an und gehen dann früh zu Bett.
Ibrahims erstes Date
Währenddessen klingelt Ibrahim bei seiner rothaarigen Eroberung. Durch die Sprechanlage tönt ein Rauschen und eine Stimme, die Ibrahim zunächst nicht einordnen kann, geschweige denn verstehen. Panik steigt in ihm hoch. Er klingelt noch einmal. Diesmal ruft Vera, ihr Name zergeht ihm auf der Zunge, laut durch die Sprechanlage: „Ibrahim, komm hoch, vierter Stock.“
Endlich oben angelangt, hält Ibrahim sich die Seite und schnappt nach Luft; keine gute Ausgangsposition für eine coole Begrüßung. Vera steht verständnisvoll lächelnd in der halb geöffneten Wohnungstür. Aus dem Wohnzimmer ertönt Reggae Musik.
„Ich habe schon auf dich gewartet“, flötet sie und nimmt ihm die Jacke ab. „Trinkst du ein Glas Wein mit mir?“
„Nein danke, kein Alkohol.“
„Was? Bist du Moslem?“, fragt sie eindeutig enttäuscht.
„Nein, nein“, beeilt er sich zusagen, „nur, ich nicht trinke Alkohol.“
Sie geht in die Küche und kommt mit einer Saftpackung zurück. Ibrahim sitzt mit verschränkten Händen zwischen den geöffneten Beinen da und sagt verlegen: „Musik gut.“
„Ja, ich liebe Reggae“, sagt sie enthusiastisch, steht auf und beginnt sich exaltiert mit dem Weinglas in der Hand im Reggaerhythmus zu bewegen, „aber auch afrikanische Musik. Komm, sitz nicht so da, tanz’ mit mir.“ Sie leert mit einem riesigen Schluck ihr Weinglas, setzt es auf dem kleinen Tischchen ab und zerrt ihn an seinem Pullover hoch. Etwas unwillig über ihr forsches Vorgehen sperrt er sich und setzt sich wieder hin. „Was ist denn mit dir? In der Disco haben wir doch auch zusammen getanzt.“
„Ja, in Disco. Hier nicht Disco.“
Schon leicht genervt füllt Vera ihr Glas erneut und greift zu ihren Zigaretten. „Willst du eine?“
„Nein, nicht ich rauche“, und als ihre Rauchschwaden bei ihm ankommen, beginnt er wie auf Kommando zu husten. ‚Was für ein Langweiler’, stöhnt Vera in Gedanken, ‚was soll ich mit dem bloß anfangen?’
Ibrahim spürt, wie ihre Sympathien für ihn rapide sinken. Sein Verstand sagt ihm: Lass sie, sie ist nicht die Richtige für dich; sein Bauch sagt ihm, wie schön und begehrenswert sie ist. Sie sieht aus wie ein Mannequin aus den Hochglanzmagazinen, die Amadou manchmal von Touristen aus der Herberge mitgebracht hatte. Sie ist sehr schlank und fast so groß wie er, hat kupferfarbene lange Haare und bewegt sich lasziv mit blasiertem Gesichtsausdruck; so von oben herab, als hätte der Fotograf bewundernd zu ihren Füßen gearbeitet. Mit so einer Frau neben sich könnte er sich sogar vorstellen, in Deutschland zu bleiben. Sie würden ein schönes Paar abgeben; und ihre Kinder erst.
„Hey, woran denkst du?“ Vera versucht erneut, Ibrahim aus der Reserve zu locken. ‚Das hat mir gerade noch gefehlt’, denkt sie, ‚einer der nicht redet, nicht raucht und trinkt; hoffentlich ist er wenigstens im Bett gut.’ Ibrahim hockt auf seinem Sessel wie ein von einer Schlange hypnotisiertes Kaninchen, unfähig sich zu artikulieren oder zu agieren.
Vera dreht sich einen Joint. Sie ist ohne ihn zu Phase zwei übergegangen. Nach drei Zügen reicht sie ihm der Form halber die Tüte und Ibrahim lehnt denn auch erwartungsgemäß das Angebot ab. ‚Anscheinend mag sie nur Männer, die ihre schlechten Angewohnheiten teilen.’ Hin und her gerissen zwischen seinem Begehren, diese Frau zu besitzen und seinen moralischen Grundsätzen, entschließt er sich zum Frontalangriff.
Er wechselt den Platz zu Vera auf die Couch, und als sie ihren Joint im Aschenbecher ablegt, umarmt er sie plötzlich und heftig. Dieser Überraschungscoup ist ihm gelungen. Die ohnehin vom Wein und Joint stark retardierte Vera wehrt sich kaum und findet schnell Geschmack an seiner afrikanischen Leidenschaft, obwohl ihre Umarmung eher einem Ringkampf als echter Leidenschaft gleicht.
Sie rollen wild hin und her auf der Couch und versuchen, die Lippen des Anderen zu treffen. Dabei knallen ihre Zähne schmerzhaft aufeinander. Ibrahim schnappt nach ihr, wie ein Tier nach seiner Beute. Er gräbt seine Zähne in ihre Lippen, wie um sie zu fixieren; er zupft und beißt, und endlich wühlt seine Zunge nass in ihrer Mundhöhle. Leicht angewidert nimmt er den Weingeschmack und den leicht bitteren des Nikotins an ihr wahr.
„Stopp, warte“, keucht Vera atemlos mit hochrotem Kopf und wirrem Haar, „lass uns ins Bett gehen, da ist es bequemer.“
Kaum sind sie im Bett, wirft Ibrahim sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie und dringt in sie ein. Er ist aufs Äußerste erregt, seine Bewegungen sind hart und tun Vera weh. Sie versucht einen Blickkontakt zu ihm herzustellen, ihm zu signalisieren ‚hey, ich bin auch noch da’, aber sein Blick ist voller Konzentration nach innen, auf sich selbst gerichtet. Plötzlich packt er sie brutal mit einer Hand bei den Haaren und drückt ihren Kopf nach unten, als wolle er sie in sich hinein pressen, dann ein kleiner Seufzer der Erleichterung und Ibrahim rollt schwerfällig zur Seite.
Vera hat es die Sprache verschlagen. ‚Was war das denn? Also, wenn es etwas Schönes gewesen sein sollte, ist es spurlos an mir vorbeigegangen’, und ehe sie sich aufraffen kann, ihn zur Rede zu stellen, ist Ibrahim doch tatsächlich eingeschlafen und schnarcht leise, das Gesicht völlig entspannt in seiner Armbeuge. Sie fragt sich, was sie an ihm eigentlich findet. Ein weiterer schlechter Lover hat ihr gerade noch gefehlt.
‚Wenn er nur nicht solch einen umwerfenden Körper hätte, so muskulös und ohne ein Gramm Fett, und dieses geradezu atemberaubende Hinterteil mit den phantastischen Kurven; und erst seine Haut! Samtweich und feinporig wie bei einem Baby.’ Grinsend denkt sie an ihre Freundinnen. ‚Die werden vor Neid platzen über dieses Prachtexemplar von Mann; schon alleine deswegen sollte ich ihn nicht gleich von der Bettkante stoßen.’ Und was den Sex betrifft, so müsste sie die Energie dieses Feuer spuckenden Vulkans nur für sich nutzbar machen. ‚Den erzieh ich mir’, denkt sie und beschließt, ihm noch eine Chance zu geben.
So getröstet knipst sie die kleine Nachttischlampe an und betrachtet lächelnd ihre schneeweißen Schenkel neben seinem dunklen, kupfern schimmernden Rücken; ein Kontrast, der ihr gefällt. Sie erhebt sich, um Zigaretten und ein Glas Wein ans Bett zu holen, schaltet den kleinen Fernseher ein und stopft sich beide Kissen in den Rücken.
Als Ibrahim erwacht, genügt ein Blick auf die Digitaluhr neben dem Bett und er ist mit einem Satz auf den Beinen. Er schlüpft in seine Jeans und streift sich auf dem Weg zum Wohnzimmer den Pullover über den Kopf.
„Vera, ich Morgen Frühdienst, muss gehen jetz; du anrufen?“
Sie schaut fern und sagt, ohne auch nur aufzuschauen: „Ja, aber nächstes Mal kannst du den Wein und Zigaretten mitbringen.“
Ibrahim